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Intelligent wachsen. Die grüne Revolution

Vierzig Jahre nach dem Donnerschlag, den der Club of Rome mit seinem Report zu den „Grenzen des Wachstums“ auslöste, hat der Ruf nach der „Postwachstumsgesellschaft“ wieder Hochkonjunktur – zumindest in akademischen Kreisen, in den Feuilletons und auf alternativen Konferenzen. So anregend die Debatte um „Wohlstand ohne Wachstum“ auch sein mag: sie blendet aus, dass wir erst am Anfang einer stürmischen Wachstumsperiode der Weltwirtschaft stehen. Angetrieben wird sie von den Wünschen, Ambitionen und dem Unternehmergeist von Milliarden Menschen, die auf dem Weg in die industrielle Moderne sind.

Die globale Wirtschaftsleistung wird sich in den kommenden 20-25 Jahren glatt verdoppeln. Das ist eine gute und eine alarmierende Nachricht zugleich. Gut, weil damit sinkende Kindersterblichkeit, längere Lebenserwartung, bessere Bildung und sozialer Aufstieg in großem Stil einhergehen. Alarmierend, weil eine Verdoppelung des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen von heute auf einen ökologischen Super-Gau hinausliefe. Das alte, ressourcenfressende und energieintensive Wachstumsmodell ist nicht steigerbar. Deshalb lautet die zentrale Herausforderung der kommenden Jahrzehnte, das globale Wachstum in eine grüne Richtung zu lenken. Im Kern geht es um eine Entkopplung von wirtschaftlicher Wertschöpfung und Naturverbrauch.

Auch in Europa schwimmt die Mehrheit der Bevölkerung keineswegs im Wohlstand. Die Wirtschaftskrise hat die Reserven vieler Menschen aufgezehrt. Damit alle ein Leben auf der Höhe ihrer Möglichkeiten führen können, braucht es nicht nur eine gerechtere Verteilung des Reichtums, sondern eine prosperierende Wirtschaft mit einer starken industriellen Basis. Der Weg aus der Krise führt über eine Innovations­offensive, die Europa an die Spitze der ökologischen Modernisierung hievt. Wir können uns größere Ziele stecken als die gerechte Verteilung eines schrumpfenden Wohlstands: Europa hat das Potential, zum Vorreiter der neuen industriellen Revolution zu werden. Deshalb wäre es fatal, bei der Energiewende auf die Bremse zu treten: Sie ist ein globales Referenzprojekt, dass der Abschied von der fossil-nuklearen Energieversorgung ein ökonomisches Erfolgsmodell sein kann.

Nachhaltiges Wachstum erfordert eine doppelte Kraftanstrengung: die kontinuierliche Steigerung der Ressourceneffizienz sowie die weitgehende Dekarbonisierung der Ökonomie, also der Übergang von fossilen zu erneuerbaren Ressourcen. Die alte Formel: Steigerung des Outputs (der Produktion) durch gesteigerten Input (Rohstoffe, Energie) führt zum Ruin des Planeten. Die Formel der Zukunft heißt: Aus weniger mehr machen. In den letzten 150 Jahren hat der Kapitalismus vor allem die Arbeitsproduktivität, also die Wertschöpfung pro Arbeitsstunde, in immer neue Höhen getrieben. Künftig geht es darum, vor allem die Ressourcenproduktivität zu steigern. Ein wirkungsvoller Hebel ist die stärkere Besteuerung des Verbrauchs knapper Ressourcen. Im Gegenzug kann die steuerliche Belastung von Arbeitseinkommen reduziert werden.

Die ökologische Transformation des Kapitalismus ist ein gewaltiges Innovations- und Investitionsprogramm: es geht um ressourceneffiziente Technologien, regenerative Energien, intelligente Stromnetze, neue Werkstoffe, vernetzte Stoffkreisläufe, Elektromobilität, Modernisierung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, Umbau der Städte, CO2-Recycling, High-Tech-Biolandwirtschaft etc. Die grüne industrielle Revolution wird so zum Katalysator für eine neue lange Welle des Wachstums, vergleichbar der Elektrifizierung oder dem Siegeszug der digitalen Technologien. Dagegen fallen in einer schrumpfenden Ökonomie auch die Investitionen und die Innovationsrate sinkt. Angesichts des Wettlaufs mit der Klimakrise brauchen wir aber eine Beschleunigung des ökologischen Umbaus.

„Zurück zur Natur“ ist für bald 9 Milliarden Menschen nicht möglich. Wir müssen vorwärts zu einer neuen Synthese zwischen Natur und Technik: vom Raubbau an der Natur zum Stoffwechsel mit der Natur. Dazu gehört das Prinzip vernetzter Stoffkreisläufe: alle Reststoffe werden zum Ausgangspunkt neuer Produktionsprozesse. Aus organischen Abfällen werden Kraftstoffe, Papier oder Bio-Kunststoffe, Kohlendioxid dient als Grundstoff für die Chemieindustrie, Elektronikgeräte und Autos werden vollständig wiederverwertet.

Grenzen des Wachstums, Wachstum der Grenzen

Die menschliche Zivilisation hängt an einem halbwegs stabilen Klima, an der Fruchtbarkeit landwirtschaftlicher Böden und an intakten Wasserkreisläufen. Überschreiten wir die Belastungsgrenzen der Ökosysteme, drohen schwere Krisen und Verwerfungen. Insofern gibt es sehr wohl ökologische Grenzen des Wachstums. Der springende Punkt ist, dass aus diesen „roten Linien“ keine fixen Grenzen für Produktion und Konsum folgen. Was dem Menschen auf unserem Planeten möglich ist, wird nicht in erster Linie von geophysikalischen Faktoren bestimmt. Unsere allerwichtigste Ressource heißt Kreativität. Dazu gehört auch die Fähigkeit, Knappheitskrisen durch Innovationen zu überwinden. Auch der Faktor Energie ist nicht begrenzt. Das Kraftwerk Sonne ist eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle. Dabei geht es nicht nur um die Gewinnung von Strom und Wärme aus Sonnenenergie, sondern um die Photosynthese – die Umwandlung von Sonnenlicht, Wasser und CO2 in biochemische Energie. Auch die Geothermie bietet ein gewaltiges Energiepotential für lange Zeiträume.

Auf Erfindungsreichtum und Unternehmergeist als Produktivkraft zu setzen, enthebt uns nicht von persönlicher Verantwortung. Es ist gut und richtig, weniger Fleisch zu essen, mit Rad oder Bahn zu fahren und keine Produkte zu kaufen, für die Menschen geschunden oder Regenwälder abgeholzt werden. Aber ein nüchterner Blick auf die Größe der ökologischen Herausforderung zeigt, dass sie mit dem Appell zur Genügsamkeit nicht zu lösen ist. „Weniger vom Gleichen“ ist nicht genug. Um das Klima zu stabilisieren, ist eine Halbierung der globalen CO2-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts nötig. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und der Hoffnung von Milliarden Menschen auf sozialen Aufstieg ist das nicht zu schaffen, indem wir uns zur Enthaltsamkeit verdonnern. Ohne großangelegte Effizienzrevolution und den Übergang zu erneuerbaren Energien werden wir den Wettlauf mit dem Klimawandel nicht gewinnen. Zügeln müssen wir unseren Naturverbrauch, nicht unsere Freude an neuen Dingen, Komfort, Mobilität, Mode, Technik und Kommunikation. Das sind irreversible Attribute der Moderne. Ziel ökologischer Politik ist eine neue Produktionsweise, nicht ein neuer Mensch.

Wer den Ausweg aus der ökologischen Krise in einer drastischen Reduktion von Produktion und Konsum sucht, landet früher oder später bei autoritären Konsequenzen. Wenn die Appelle zu Genügsamkeit und Verzicht nicht freiwillig befolgt werden, braucht es eine starke Zentralgewalt, um die ökologische Vernunft zu erzwingen: Die Demokratie wird der Ökologie geopfert. Diese Tendenz zur umfassenden Kontrolle von Wirtschaft und Gesellschaft (bis hin zu den Geburtenraten) ist schon im berühmten Bericht des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972 angelegt. Dagegen gilt es die Allianz von Ökologie und Demokratie zu verteidigen: Erstens um der Freiheit selbst willen, die keinem anderen Zweck geopfert werden darf. Zweitens sind offene, demokratisch verfasste Gesellschaften auch überlegen, wenn es darum geht, Krisen durch Innovationen zu überwinden. Der Niedergang des realen Sozialismus war dafür ein schlagendes Beispiel. Eine lebendige Zivilgesellschaft, freie Medien, unabhängige Forschung und der Wettbewerb um die besten Lösungen sind immer noch das beste Korrektiv gegen Fehlentwicklungen.

Auch in der Wirtschaft gibt es interessante Entwicklungen, an die wir anknüpfen können. Trotz aller Exzesse der Finanzindustrie zeichnet sich ein neuer Trend zur moralischen Aufladung der Ökonomie ab. Skandale um Steuerhinterziehung oder betrügerische Bereicherung verstärken den Ruf nach Rückbesinnung auf die Tugenden des „ehrbaren Kaufmanns“. Tatsächlich spielen Werte in einer modernen Ökonomie eine wachsende Rolle für das Konsumverhalten von Bürgern wie für den Erfolg von Unternehmen. Die Stichworte lauten Fair Trade, Ächtung von Kinderarbeit, wachsender Druck zur Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards, Kritik an Massentierhaltung. Nachhaltige Investmentfonds sind im Kommen. Kein westliches Unternehmen kann sich leisten, diese Trends einfach zu ignorieren. Gleichzeitig beobachten wir eine Renaissance der gemeinnützigen Ökonomie: Genossenschaften, Non-Profit-Unternehmen, eine neue Ökonomie des Teilens. Unter jungen Leuten ist das Prinzip „Nutzen statt Besitzen“ populär, Tauschportale im Internet florieren und selbst die großen Autokonzerne bauen Car Sharing – Projekte auf. Das heißt nicht, dass alles auf gutem Weg ist. Aber der Wandel geht eher nach vorn als zurück.


Der Aufbruch in die ökologische Moderne gelingt nur im Zusammenwirken vieler Akteure:
 

  1. Die Politik muss die ökologischen Leitplanken für die Wirtschaft vorgeben und die Weichen in Richtung „Grüne Innovation“ stellen. Dazu gehören die Fortsetzung der ökologischen Steuerreform, ein effektiver Emissionshandel, klare Prioritäten in der Forschungspolitik und bei öffentlichen Investitionen sowie das Arsenal ordnungspolitischer Vorgaben: Grenzwerte, Recyclingquoten, Informationspflichten etc.
  2. Nicht weniger wichtig ist die Rolle der Zivilgesellschaft: Umweltbewegung, Verbraucherinitiativen, Gewerkschaften, Genossenschaften, kritische Konsument/innen, kurz: die Macht des Skandals, der Bürger und der Kunden.
  3. Schließlich die Wissenschaft: nie forschten so viele Wissenschaftler/innen an neuen Lösungen, nie entwickelte sich das wissenschaftliche Wissen so rapide wie heute.
  4. Last not least die Unternehmen mit ihrem geballten technischen Know-how und ihrer Investitionskraft. Wir brauchen die Allianz mit Unternehmen, die erkannt haben, dass Ökologie, soziale Werte und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehören.

Vom Verfasser ist erschienen: „Intelligent wachsen. Die grüne Revolution“ im Hanser-Verlag.


Dieser Artikel erschien am 27. Mai 2013 in GEGENBLENDE - Das gewerkschaftliche Debattenmagzin des DGB.