US-Datenskandal: George W. Bushs vierte Amtszeit?












Viel Kritik allerorten: René Walter von Nerdcore.de macht sich mit diesem Plakat (Ausschnitt) über Obama lustig.





11. Juni 2013

Klaus Linsenmeier




Guantanamo, Drohnenkrieg und jetzt der Skandal um die NSA, die nationale Sicherheitsbehörde. Statt mutiger Reformen bringt Obamas zweite Amtszeit eine Abwehrschlacht gegen Skandale.


Die gesetzlichen Grundlagen für die gigantische Sammlung von Daten wurden wenige Tage nach den Anschlägen des 11. Septembers mit dem „Patriot Act“ gelegt. Dieser fand damals im noch unter Schock stehenden Kongress eine breite Mehrheit. Liberale Amerikaner machen das Gesetz seit Langem verantwortlich für das, was sie das  Ausufern des Überwachungsstaates nennen.


Das Gesetz regelt die Arbeit der 16 staatlichen Geheimdienste des Landes, darunter auch der National Security Authority, der NSA. Insgesamt beschäftigen die Dienste schätzungsweise 850.000 Mitarbeiter/innen. Sicherheit ist in den USA längst eine eigene Industrie geworden, eine lukrative gar, mit einem Gesamtvolumen von 60 Milliarden Dollar im Jahr. Der flüchtige 29-jährige Informant Edward Snowden hat, ohne einen Universitätsabschluss, etwa 122.000 Dollar bei einer privaten Sicherheitsfirma verdient, die wiederum ihre Dienste an die NSA verkauft hat.


In dem jetzt aufgeflogenen Programm, das selbst streng geheim (‚classified“) ist, schöpft die NSA Daten von allen namhaften Internetprovidern ab. Google, Facebook, Apple, Microsoft, Yahoo, Skype, alles was Rang und Namen hat im Internet, sie alle geben haufenweise  Daten ab an die Schlapphüte aus Washington. Den Internet-Providern ist die Sache peinlich. Einige wollen vom Abschöpfen ihrer Daten nichts gewusst haben, andere geben an, das Gesetz ermächtige die  Regierung zur Schnüffelei, gegen die sie machtlos seien.

850.000 Menschen arbeiten bei den Geheimdiensten


Nie zuvor wurden größere Datenmengen gesammelt als in den letzten sieben Jahren von der NSA. Die Regierung bemühte sich rasch, die  Legalität des Systems erklären. Die progressive Demokratin Diane Feinstein,  Senatorin aus Kalifornien, die zugleich Vorsitzende des für die Nachrichtendienste zuständigen Ausschusses ist, versicherte umgehend, dass das Treiben der Dienste die USA sicherer gemacht habe. Aus dem Weißen Haus wird betont, dass es sich im Wesentlichen um Daten von Ausländern handele. Diese für die politische Heimatfront gedachte Versicherung wiederum bringt die Verbündeten in Verlegenheit. Was etwa wusste die  deutsche Bundesregierung von den Umtrieben der amerikanischen Dienste?


Die politische Szene der USA ist irritiert. Nach den Gesetzen der politischen Kommunikation muss rasch kommentiert werden. So finden sich denn auch Zustimmung und Ablehnung in allen politischen Strömungen. Progressive äußern sich kritisch aus Überzeugung oder springen „ihrem“ Präsidenten zur Seite. Ostküsten-Liberale, zu deren Sprachrohr die Washington Post ebenso wie die New York Times gehören, stellen den Vergleich zu Watergate her, jenem Lausch-Skandal, der Richard Nixon das Amt gekostet hat. Auch dieser wurde damals von der Washington Post an die Öffentlichkeit gebracht. Kritisch äußern sich selbst konservative Libertäre, die im Sammeln der Daten-Massen einen weiteren Übergriff des Staates vermuten.


Schwierig ist die Lage der Regierungslinken. Sie sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, mit den Gesetzen des verhassten Vorgängers Bush nun dessen Politik weiterzuführen. In Washington ist deshalb scherzhaft davon die Rede, dass Obama Bushs vierte Amtszeit betreibe.


Eher konservative Demokraten wie Republikaner verteidigen die Schnüffelei. Diese, so ihr Argument, habe bereits weitere Terrorangriffe verhindert. Belege dafür gibt es keine, doch ist der Verweis auf die Terrorgefahr auch in der zweiten Amtszeit von Obama noch immer ein populäres Argument.


Obama hat noch ein weiteres Problem: Nicht nur in der Frage des völkerrechtswidrigen Gefängnisses in Guantanamo ist es dem Präsidenten nicht gelungen, sich von Bush abzusetzen. Der Drohnenkrieg ist  unter Obama sogar erheblich ausgeweitet worden. Vor fünf Jahren ist Obama dezidiert mit einem Programm des transparenten Staates angetreten. Daraus ist nichts geworden.

Transparenz? Fehlanzeige.


Schlimmer noch: da es der Regierung nicht gelingen will, die undichten Stellen im Staatsapparat zu stopfen, häufen sich die Übergriffe gegenüber den Medien, wie kürzlich gegenüber der Nachrichten-Agentur AP. Um die Weitergabe von Informationen zu unterbinden werden Journalisten, die „gestohlene“ Informationen haben, abgeschöpft und kriminalisiert.  


In diesen Tagen steht ein weiterer Whistleblower, Bradley Manning, wegen Geheimnisverrat vor Gericht. Während Teile der Gesellschaft in ihm und im aktuellen NSA-Whistleblower Edward Snowden gemeine Landesverräter sehen, feiern andere die beiden als Retter der offenen Gesellschaft.


Diese Fälle werden die amerikanische Öffentlichkeit noch eine Weile beschäftigen, denn es geht um Grundsätzliches wie Sicherheit und den Schutz der Privatsphäre. Da fast alle der involvierten Firmen international tätig sind, ist das kein exklusiv amerikanisches Thema. Frau Merkel sollte ihren Besucher Obama kommende Wochen fragen, welche Daten er über sie gespeichert hat. Die Bundeskanzlerin dürfte vom üppigen Angebot überwältig sein.

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Klaus Linsenmeier ist Büroleiter der Heinrich Böll Stiftung Northamerika/Washington.