In seinem 2008 veröffentlichten Essay "Maschinenwinter“ prangert der Journalist und Autor Dietmar Daths an, dass alle technologischen Entwicklungen bisher nicht dazu geführt haben, drängende Probleme wie den Klimawandel, die Umweltverschmutzung und die Armut in der Welt zu lösen. Er fordert eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft, um die Maschinen wieder in den Dienst der Menschen zu stellen.
Weniger radikal und dafür durchweg optimistischer war die Tonalität bei der 2-tägigen Konferenz „Maschinenfrühling – Innovationen für ein besseres Morgen“. Mit dem Fokus auf die Schlüsselbereiche Industrie, Mobilität und Energie diskutierten Referent/innen und Teilnehmer/innen, ob wir bereits auf der Schwelle zu einem ökologischen Zeitalter stehen, in der technologische Innovationen unsere ökologischen Probleme lösen und eine neue Phase des Wohlstands einläuten können.
Ist das Grün am Horizont schon ein Bote für den Aufbruch in eine ökologische Moderne? Hat der „Maschinenfrühling“ den „Maschinenwinter“ bereits abgelöst?
Was die grüne Revolution kosten könnte
Wie sowohl Wirtschaft und Gesellschaft auf ein ökologisches Fundament gestellt werden können und welche politischen Rahmenbedingungen dafür notwendig sind – darauf hatten die geladenen Redner/innen sehr unterschiedliche Antworten. Für den Biologen und Physiker Ernst-Ulrich von Weizsäcker braucht es dafür nichts weniger als eine "Effizienzrevolution". In seinem mittlerweile in zwölf Sprachen übersetzten Bestseller "Faktor Fünf" kommt er zu dem Schluss, das sich die Ressourcenproduktivität weltweit um 75-80 Prozent, also um den Faktor 5, steigern ließe. Doch seit dem Gasboom in den USA durch Fracking und das Scheitern internationaler Klimaverhandlungen sind globale Bemühungen zum mehr Energie- und Ressourceneffizienz merklich in den Hintergrund gerückt. "Was wir jetzt brauchen, ist ein echter Maschinenfrühling", so der Umweltwissenschaftler. "Und den bekommen wir nur, wenn wir eine neue industrielle Revolution mit einem gesellschaftlichen Umdenken verbinden, hin zu einer Lebensweise des Verzichts und des Maßhaltens." Ein schwieriges Unterfangen, wie Weizsäcker selbst zugibt, wo doch Menschen nur ungern verzichten und auch der politische Wille fehle, in vielen Bereichen zu investieren – etwa in die energieeffiziente Sanierung des Gebäudebestands.
Die Kosten einer globalen ökologischen Transformation zu ermitteln, erscheint mit einem langfristigen Blick in die Zukunft als kühnes Unterfangen. Richard Rosen, Direktor und Mitbegründer des Bostoner Tellus Institute, wagt ihn: Seine Untersuchung "The Great Transition Scenario" (Powerpoint-Datei) reicht bis ins Jahr 2100. Und seine Prognosen sind düsterer, als sich die meisten Anwesenden der Konferenz vorstellen wollen. Denn der Übergang in eine ökologische Moderne wird teuer: "Nicht nur der deutsche, auch der globale Umbau der Wirtschafts- und Energiesysteme wird weit mehr kosten, als zahlreiche Studien bislang veranschlagen". Der Physiker und Nachhaltigkeitsexperte kommt auf die spektakuläre Summe von 3-4 Billionen US-Dollar pro Jahr, die für die Finanzierung des Übergangs in ein nachhaltiges Zeitalter notwendig sei. Davon kommen allein jeweils eine Billion auf die USA und Europa zu. Ein "Maschinenfrühling" ist für Rosen nur dann möglich, wenn Innovationen mit passenden Finanzierungsmodellen kombiniert werden, also die Investitionsquoten steigen. Dazu gehöre neben einer weltweiten Annäherung der Einkommensstruktur auch eine 20-Stunden-Arbeitswoche. Zumindest letztere Prognose sorgte wieder für Entspannung im Saal.
Energiewende: „Das bedeutendste Projekt unserer Generation“
Die Kosten der Transformation in der Energiebranche werden gigantisch, da ist sich nicht nur Rosen sicher. Die Herausforderungen sind groß: Noch immer fehlt ein funktionierender europäischer Energie-Binnenmarkt, die Kohleverbrennung steigt als Antwort auf den Gasboom in den USA weiter an und der Emissionshandel ist gescheitert. Die Streichung der Förderungen von Erneuerbaren als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise und der Einbruch der Solarindustrie lähmen den Ausbau alternativer Energien in Europa. Dabei könnten gerade jetzt technologische Innovationen zum Jobmotor in vielen Regionen werden.
Auch hierzulande steht die Energiewende, die Deutschland zum internationalen Vorreiter beim Ausbau der Erneuerbaren machen soll, auf tönernen Füssen. Einen ersten Anteil von 25 Prozent in den Strommarkt zu integrieren, war vergleichsweise einfach. Weitaus schwieriger wird es mit den kommenden 25 Prozent, sollte der Netzausbau nicht zügig voranschreiten und langfristige Investitionen gesichert werden. Die Energiewende muss zudem nicht nur im Strom- sondern vor allem im Wärmemarkt vorankommen, der rund 75 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland ausmacht. Soviel steht fest: Ohne die Beteiligung der Bevölkerung wird dieses Mammutprojekt kaum zu bewältigen sein.
Aber welche politischen Rahmensetzungen sollte der Staat setzen, um den Weg für eine ökologische Transformation zu ebnen? Claudia Langer hat dazu eine sehr genaue Vorstellung. Die Geschäftsführerin der Plattform für nachhaltige Lebensstile utopia.de, hoffte bereits vor vielen Jahren auf einen „Maschinenfrühling“. Jetzt ist sie enttäuscht und wütend. Denn die Menge an nachhaltigen Verbrauchern habe nicht die kritische Masse erreicht, beklagt sie. Und viele Unternehmen seien bei ihren vollmundigen Versprechen, grüner zu werden, geblieben. Deshalb hat sie – zusammen mit 28 Unterstützen (unter ihnen auch Ernst-Ulrich von Weizsäcker) – ein "Generationen-Manifest" veröffentlicht: Ein Pamphlet mit Warnungen und Forderungen, für das sie 100.000 Unterzeichner sucht und mit dem sie Politikern ein Versprechen abringen will. "Die Energiewende ist das bedeutendste Projekt unserer Generation. Ich will die Politik haftbar machen, sollte sie es gefährden, denn uns läuft die Zeit davon".
Die grüne Zukunft braucht mehr Standards und Rahmensetzung
Zielführende Rahmensetzungen könnten das Korsett für Industrie sein, um sich auf mehr Nachhaltigkeit auszurichten – ein Kleid, in dass sie sich aber bislang nicht zwängen mussten. Globale Marktplayer müssen sich nur marginal an die Spielregeln der Nachhaltigkeit halten. Das zeigt der weitreichende Lobbyismus in den großen Branchen oder das Scheitern des Emissionshandels, der energieintensive Industrien von der Bepreisung ihres CO2-Ausstosses teilweise oder sogar ganz befreite, damit sie nicht ins Ausland abwandern und Arbeitsplätze gefährdet würden.
Obwohl die Erfolgsstory der deutschen Solarindustrie ausgeträumt ist, wachsen deutsche Unternehmen im Nachhaltigkeitsbereich – etwa in Greentech-Branche. Bei einem traumhaften Umsatzzuwachs der Sparte von zwölf Prozent im Jahr kommt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Markus Kerber ins Schwärmen. Er kann politischen Rahmenbedingungen, die Vorgaben in der Effizienzsteigerung und nachhaltige Produktionsweisen vorsehen, natürlich nur bedingt etwas abgewinnen. Doch auch er plädiert für einen Maschinenfrühling, ja gar eine Maschinendekade, in der "Deutschland im technologischen Bereich Güter und Produkte anbietet, die konkurrenzlos sind in Nachhaltigkeit und Effizienz".
Was mit einer sauberen Mobilität noch in die Gänge kommt
Die Schlacht um die Mobilität der Zukunft wird sich voraussichtlich in ländlichen Räumen entscheiden. Schließlich sind Konzepte zu einem nachhaltigen ÖPNV oder Carsharing in Städten viel leichter umzusetzen. "Noch geht die rechtliche Rahmensetzung in eine falsche Richtung", moniert der Verkehrswissenschaftler und begeisterte Fußgänger Heiner Monheim: "In der Stadtplanung landen wir immer bei mehr Autoverkehr."
Eine Welt mit weniger Autos mag sich Wolfgang Steiger, zuständig für den Geschäftsbereich Zukunftstechnologien bei Volkswagen, nicht wirklich vorstellen. Die Automobilindustrie sei schon jetzt mit den Effizienzvorgaben für neu zugelassene PKW im globalen Kampf um Marktanteile arg strapaziert. Machbar sei aber eine "Effizienzsteigerung bei der konventionellen Brennstofftechnik und der Elektrifizierung des Verkehrs".
Wie nachhaltig und sozial verträglich die Konzepte für die Elektrifizierung des Verkehrs wirklich sind, bleibt fraglich. Im ÖPNV haben etwa Elektrobusse, gespeist mit erneuerbarem Strom, reale Zukunftsaussichten – vorausgesetzt die öffentliche Hand investiert. 2014 kommen 14 neue Elektro-Autos auf den Markt. Und da die Abnehmer fehlen, sind Kaufprämien und Steuerabschreibungsmodelle im Gespräch, um die teuren Hybride und Plug-Ins abzusetzen. Was jedoch aus den Beschäftigten der konventionellen Automobilindustrie werden soll, die keine Zukunft im Markt der Elektromobilität haben, dieser Frage müssen wir uns ebenfalls stellen, erklärt Berthold Huber, Erster Vorsitzender der IG Metall. Er fordert einen "sozial-ökologischen New Deal", der die strukturellen Probleme in Industriezweigen löst und Beteiligungsprozesse organisiert, damit "technologische Innovationen auch sozialverträglich umgesetzt" werden. Eine gigantische Aufgabe, die Gewerkschaften und Betriebsräte nicht allein werden lösen können.
Woran grüne Pioniere tüfteln
Dass Innovationen auch ein Jobmotor sein können, zeigen viele grüne Produktneuheiten, von denen einige auch in den Labs zu sehen waren. In Kurzvorträgen stellen Start-Ups und Forschungsprojekte ihre Entwicklungen vor. Die Teltower Biopos e.V. etwa produziert aus nachwachsenden Rohstoffen Güter des täglichen Gebrauchs: aus Milchsäure entstehen mit Hilfe chemischer Verfahren T-Shirts und aus Maisstärke stellen die Entwickler Verpackungen her. Biopos steht für „Forschungsinstitut Bioaktive Polymersysteme“ und versammelt eine Forschungs- und Entwicklungseinrichtung aus Berliner und Brandenburger Universitäten. Die Wissenschaftler waren auf der Suche nach Ersatzstoffen für Erdöl, das in den meisten Verpackungsstoffen verarbeitet wird. Und wurde fündig. Mit ihren Produktentwicklungen leisten sie nicht nur einen Beitrag bei der Vermeidung von Erdöl – sie schaffen auch neue Betätigungsfelder für Landwirte in der Region.
Wie Fisch- und Gemüsezucht mitten in der Stadt erfolgreich kombiniert werden kann zeigt das Konzept von Efficient City Farming (ECF). Mit dem System Aquaponic wirtschaftet die Gemüse- und Fischaufzucht in einer Art Container: wassersparend und effizient. Im unteren Teil gedeihen die Fische und liefern den natürlichen Dünger für das Gemüse, dass im oberen Teil des Tanks angepflanzt ist. Nach einer Testphase in der Berliner Malzfabrik wollen die Gründer Ende des Jahres ihre erste Stadtfarm bauen und 300 Berliner mit selbst angebautem Gemüse und frischem Barsch beliefern.
Michael Braungart, kann mit seinem Konzept "Cradle to Cradle" vermutlich mit der visionärsten Produktionsphilosophie aufwarten. Seit den 1980er Jahren entwickelt der Umweltchemiker und Materialforscher in seinem Hamburger EPEA-Institut Güter, die in all ihren Einzelteilen wiederverwertbar sind: Kompostierbare T-Shirts, Teppiche, die die Luft reinigen, und neuerdings auch einen Fernseher, der ganz ohne schädliche Chemikalien auskommt. (Link zum Video) So entstehen Produkte, die nach dem Vorbild der Natur in Stoffkreisläufe zurückgeführt werden können. Leider sind diese noch zu teuer, um eine breite Käuferschaft zu bedienen. Noch immer muss an neuen Materialien und Produktionsmethoden weiter geforscht werden – und diese Investitionen wagen nur sehr mutige Unternehmen. Es fehle noch immer "eine politische Intervention", so Braungart, "damit Standards eingeführt werden, die Produkte langlebig, giftfrei und für eine weitere Verwertung brauchbar machen".
Keine Revolution ohne eine politische Gesellschaft
Es gibt also eine Menge, wenn auch noch zarter Vorboten eines "Maschinenfrühlings". Damit ein "Maschinensommer" daraus werden kann, in dem die Gesellschaften die Früchte der ökologischen Transformation ernten können, müssen technologische Innovationen jetzt sozial verträglich und ökologisch clever gesät wurden. "Dafür brauchen wir politische Weichenstellungen wie eine ökologische Steuerreform, neue Effizienzstandards, ordnungspolitische Maßnahmen und einer Verdopplung der Investitionsraten", so Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Und ohne eine neue und tragfähige ökonomische Basis für den Sozialstaat sei eine "ökologische Transformation für die Gesellschaft" nicht zu haben.
Dafür müsste Politik aktiver in das Marktgeschehen eingreifen und dem starken Lobbyismus widerstehen. Bislang sieht es jedoch nicht danach aus, als werde sich daran bald etwas ändern. Hier sind die Wähler/innen und eine aktive Zivilgesellschaft gefragt, um eine neue Priorisierung von Themen in der Politik einzufordern. Dass ein „Maschinensommer“ ohne eine Politisierung der Gesellschaft nicht zu erwarten ist – darin waren sich ausnahmsweise alle einig.