Im § 328 seiner Rechtsphilosophie beschreibt Hegel, wie durch die Erfindung des Feuergewehrs „die bloß persönliche Gestalt der Tapferkeit in die abstraktere“ Form verwandelt worden sei. Das Schießpulver und die Entwicklung von Waffen, die mit Hilfe des Schießpulvers Projektile gegen den Gegner zu schießen vermögen, war danach ein Schritt vom Konkreten zum Allgemeinen und passte sich damit ein in einen Gang der Geschichte, den Hegel als Fortschritt begriffen hat. „Das Prinzip der modernen Welt“, so begründet er dies, „der Gedanke und das Allgemeine, hat der Tapferkeit die höhere Gestalt gegeben, dass ihre Äußerung mechanischer zu sein scheint und nicht als Tun dieser besonderen Person, sondern nur als Gliedes eines Ganzen, – ebenso, dass sie als nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen ein feindseliges Ganzes überhaupt gekehrt“ sei.
Die Entwicklung der Kriegstechnik
Es ist bemerkenswert, dass von Hegel hier nicht die Wehrverfassung, sondern die Entwicklung der Kriegstechnik als beschleunigender Faktor bei der Integration des heroischen Einzelnen in den Gesamtverband, der Gleichmachung der Vorkämpfer mit den Männern in den hinteren Reihen ausgemacht wird. Dass die Hoplitenphalanx der antiken Griechen die Vorbedingung für die Entstehung der Demokratie gewesen sei, ist ein Topos der einschlägigen Literatur: Erst da, wo jeder männliche Erwachsene in gleicher Weise dem Gemeinwesen, der Polis diente, konnte man auf den Gedanken kommen, dass die Gleichen im Kriege auch Gleiche in der Volksversammlung sein sollten. Aber das Kämpfen in der Phalanx der Schwerbewaffneten war nur möglich bei taktischer Disziplin, unbedingtem Vertrauen in den Nebenmann, der Insistenz auf dem Rechtshändertum usw., kurzum: einer gewollten und durchgesetzten Gleichmachung der Bürger, während Schießpulver und Feuergewehr, also waffentechnische Entwicklungen, den so gar nicht intendierten Effekt einer Vergleichgültigung des Gegners hatten und dadurch, wie Hegel herausstellt, auch das Ethos des Kämpfers veränderten.
Noch viel besser als die Wechselbeziehung zwischen Staatsverfassung und Wehrverfassung passte ihm eine Entwicklung ins Konzept, die so gar nicht intendiert wurde, sondern ihre Wirkung hinter dem Rücken der handelnden Personen und sicherlich auch gegen deren Ziele und Absichten entwickelte. Feuergewehr und Schießpulver waren Hegel zufolge keine Zerstörer der Tapferkeit, wie die adligen Ritter behaupteten, sondern sie wirkten als politische Gleichmacher, die den Aufstieg des Bürgertums ermöglicht und beschleunigt haben.
Solche philosophischen Deutungen des waffentechnischen Fortschritts sind uns fremd geworden. Doch nicht nur das – wir wehren uns gegen sie, und in der Regel bringen wir dabei die Ethik in Stellung, um den Fortschritt der Kriegstechnologie, zumindest aber deren Folgen, in Grenzen zu halten. Dagegen hatte Hegel, um noch einmal auf ihn zurückzukommen, den Fortschritt der Waffentechnik als ein Movens für den Fortschritt der Ethik angesehen. Das Ethos des Kriegers oder eine Ethik des Krieges gegen die technologische Entwicklung aufzurufen, um diese zu begrenzen, wäre für ihn damit gleichbedeutend gewesen, sich auf die Seite des Konservatismus, wenn nicht der Reaktion zu schlagen. Man muss sich das vor Augen führen, um die Problemstellung des Themas zu erfassen, über das ich zu Ihnen spreche.
Wir sehen uns nicht mehr als die Profiteure von Entwicklungen, sondern wollen uns diesen entgegenstellen, und dabei bedienen wir uns der Ethik und des Rechts als Fesselungssysteme, mit denen wir eine selbstläufig und bedrohlich gewordene Entwicklung zu bremsen und in bestimmte Bahnen zu lenken versuchen. Diese Umstellung gegenüber Hegels Zuversicht in dem Einklang von Fortschritt und Ethik geht zurück bis auf die Haager Konferenzen am Ende des 19. Jahrhunderts, als man u.a. versuchte, dem Gebrauch von Gift in der Kriegsführung einen Riegel vorzuschieben, was bekanntlich für den Ersten Weltkrieg nicht gelungen ist, und auf die Zeit um 1910, als einzelne vor einer Militarisierung des Luftraums warnten, nachdem die Brüder Wright gerade erst ihre eigentümlichen Vorrichtungen zum Fliegen gebracht hatten. Bertha von Suttner war eine der ersten, die auf die Folgen der Luftkriegführung als eine „Barbarisierung des Krieges“ hingewiesen hat, aber auch hier brachte der Erste Weltkrieg bereits frühe Formen strategischer Bombenangriffe mit sich. Die Dinge sind uns über den Kopf gewachsen. Wir fürchten sie mehr, als dass wir sie schätzen. Also versuchen wir sie wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Erfolge dabei sind freilich überschaubar.
Die Umkehrung eines jahrhundertelangen Trends
Nun könnte man die jüngste waffentechnologische Entwicklung als Umkehrung eines jahrhundertelangen Trends zur Entwicklung immer größerer, immer stärkerer, immer wirkungsvolleren Waffen verstehen. Die moderne Elektronik, lenkbare Raketen, vor allem aber Kampfdrohnen haben den allgemeinen Feind wieder zurückverwandelt in den bestimmten, den konkreten Feind, den wir uns aussuchen und den wir ganz gezielt bekämpfen. Dadurch ist es möglich geworden, die Anzahl derer, die bei einem Angriff mitgetroffen werden, ohne eigentlich dessen Ziel zu sein, also die sog. unschuldigen Opfer, immer stärker zu begrenzen. Es spricht vieles dafür, dass das Ausmaß der Kollateralschäden in dem Maße zurückgegangen ist, wie an die Stelle von Jagdbombern, die mit den alten Eisenbomben angegriffen haben, Kampfdrohnen getreten sind, die überaus zielgenaue Raketen verschießen. Wenn es hierbei zu Fehlern kommt, liegt das in der Regel nicht an der Ungenauigkeit oder Streuung des Waffensystems, sondern an Defiziten bei der Identifikation der Ziele. Nicht die Technik, sondern der Mensch hat dann versagt – und das nicht, jedenfalls in der Regel nicht – aufgrund ethischer, sondern infolge kognitiver Defizite.
Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen, Aufklärungs- und Kampfdrohnen seien Systeme, die von ihren technischen Fähigkeiten her darauf angelegt sind, diese kognitiven Defizite zu minimieren, indem sie die Zeit der Zielbeobachtung verlängern und den Entscheidungsstress in der Angriffssituation minimieren. Der Hunderte Kilometer vom Ziel entfernte Feuerleitoffizier kann seine Drohne eine Schleife und noch eine Schleife fliegen lassen, um sicher zu sein, dass es sich bei seinem Ziel um eine Gruppe feindlicher Kämpfer und keine Hochzeitsgesellschaft handelt, und gerade weil er so weit vom Einsatzort entfernt ist, vermag er seine Entscheidungen überlegt und ohne größeren Stress zu treffen. Er sitzt zwar am Joy-Stick, aber er befindet sich gerade nicht in der Situation des Spielers von War Games, bei der plötzlich und unvermittelt neue Herausforderungen auftreten, auf die er unmittelbar reagieren muss; die Technik verschafft ihm vielmehr Beobachtungszeit und Entscheidungsgelassenheit. Genau das ist erstaunlicherweise in der jüngsten Diskussion um die Anschaffung und den Einsatz von Kampfdrohnen skandalisiert worden.
Die fehlende Symmetrie in der Konfrontation der Kämpfer
Es sind die Ideale und Imaginationen einer heroischen Gesellschaft, die gegen die Technologie der modernen Gefechtsfeldbewirtschaftung ins Feld geführt werden: die fehlende Symmetrie in der Konfrontation der Kämpfer, die tendenzielle Unsichtbarkeit und Unverwundbarkeit einer Seite, die sich nicht zum Kampf stellt, sondern ihn mit Geräten austrägt, die somit „feige“ agiert usw. Es ist, um dies zu pointieren, das Ethos des Westerns, wo im symmetrisch ausgetragenen Zweikampf der bessere Mann gewinnt, das hier gegen die Entwicklung der modernen Waffen ins Spiel gebracht wird.
Wo es prinzipiell möglich wäre, in posthegelianischer Manier eine neue Einsinnigkeit von Waffenentwicklung und ethischem Fortschritt zu identifizieren, wird damit ein traditionelles Ethos des Kämpfertums aufgerufen, das der Welt aristokratischen Rittertums angehörte und das in den Narrativen des Westerns und der an ihn angelehnten Kriegsfilme in nostalgischer Form konserviert worden ist. Schießpulver und Feuergewehr hatten dieses Ethos eigentlich bereits aufgelöst. Mehr noch: der am Zweikampf orientierten Ritterschaft war jede Fernwaffe ein Greuel, und deswegen behandelte sie Bogenschützen und Armbrustkämpfer, wenn sie deren habhaft wurde, wie Kriegsverbrecher und verstümmelte sie.
Das berühmt gewordene V aus Zeige- und Mittelfinger, das die englische Langbogener in der Schlacht von Azincourt den französischen Rittern entgegenhielten, war zunächst gar kein ‚Victory‘-Zeichen, sondern das Aufzeigen der Finger, mit denen man den Bogen spannte und schoss. Fielen die Bogenschützen in ritterliche Hände, so wurden ihnen, wenn man sie denn überhaupt am Leben ließ, diese Finger abgehackt, damit sie nicht noch einmal solche „Kriegsverbrechen“ begehen konnten. Soviel zur Ritterlichkeit und deren spezifischem Ethos. Wer eine bestimmte Ethik des Krieges durchsetzen will, darf nicht zimperlich sein. Wer Ethik, um dem zu entgehen, nur als Selbstbindung versteht und nicht gleichzeitig auf die Bindung des Gegenübers achtet, hat vom Wesen des Kampfes nichts verstanden.
Am Schluss haben sich die Bogenschützen dennoch durchgesetzt, nicht nur bei Azincourt, und die Ethik des Rittertums ist durch Schießpulver und Feuergewehr obsolet geworden. Sie hat freilich ihren Platz behalten, und das vor allem dort, wo sich kleine heroische Gemeinschaften gegen den Rest der Gesellschaft abgrenzten und unter Verweis auf ihr Heroentum und ihre heroische Ethik Sonderrechte, Privilegien für sich beanspruchte. Die Uniform wurde dabei zum Zeichen dessen, dass ihr Träger ein besonderes Ethos verkörperte, das dem Rest der Gesellschaft unzugänglich war.
Das Militär der europäischen Moderne hat sich in seiner Abgrenzung gegen die Gesellschaft nicht durch die Beherrschung einer avancierten Kriegstechnologie, sondern durch das heroische Ethos des Kriegers konstituiert. Postheroische Gesellschaften, wie die unsere eine ist, sollten also mit äußerster Vorsicht zu Werke gehen, wenn sie über die Ethik des Krieges sprechen. Sie spielen mit einem heißen Eisen, zumal dann, wenn sie diese Ethik benutzen, um von den Soldaten mehr einzufordern, als sie sich selbst zumuten würden. Gerade die Ethik kann ein Mittel sein, einen Staat im Staate zu konstituieren. Der „Bürger in Uniform“ ist waffentechnisch der Kampfdrohne sehr viel näher als der Soldat einer klassischen Armee und er zieht ihren Gebrauch dem Einsatz leichter Infanterie in feindlichem Gelände vor, der das Ziel hat, in direkter Feindberührung eine tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung auszuschalten. Pointiert formuliert: In der Kritik an den Drohnen äußert sich die Ethik einer vorbürgerlichen Gesellschaft mit heroischen Idealen in nostalgischer Form. Es ist eine Kritik, die sich selbst nicht begriffen hat.
Sich sich selbst begreifen
Was ist die Voraussetzung des Sich-Selbst-Begreifens? Es ist die Akzeptanz, dass wir in einer postheroischen Gesellschaft leben und dass die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert werden, asymmetrischer Art sind. Nicht der Kampf unter den Bedingungen von symmetrischer Reziprozität, sondern die Reflexion auf unsere Vulnerabilität und deren Verminderung ist der Schlüssel zu einer Ethik bei der Schaffung von Sicherheit für postheroische Gesellschaften. Lassen Sie mich diese drei Leitbegriffe – postheroisch, asymmetrisch, vulnerabel – kurz skizzieren: Postheroisch sind Gesellschaften dann, wenn aus ihnen die Ideen von Opfer und Ehre verschwunden sind bzw., konkreter, wenn vom Opfer nicht mehr als sacrificium, sondern nur noch als victima die Rede ist. Viktimisierung anstelle sakrifizieller Opfer heißt, dass das Opfer nicht als rettende oder erlösende Tat, sondern als Geltendmachen von Entschädigungsansprüchen begriffen wird. Der Anteil der aggregierten Versicherungssumme am Volksvermögen ist ein Indikator für den Grad des Postheroischen in einer Gesellschaft.
Ausschlaggebend für die Transformation einer heroischen und eine postheroische Gesellschaft sind der Rückgang der demographischen Reproduktionsraten und die schwindende Bedeutung des Religiösen. Das Erste ist die Bedingung der Möglichkeit des Heroischen, das zweite das Anreizsystem, um sich heroisch zu verhalten. Weil der Heldentod einer anderen Logik folgt als der des Tauschs, bedarf es einer religiösen Leitidee oder einer politischen Religion, um ihn notfalls einfordern zu können oder zu ihm zu motivieren. Dazu sind postheroische Gesellschaften nur noch rudimentär in der Lage. Blicken wir zurück auf die beiden Weltkriege, so können wir sagen, dass das gut so ist. Aber postheroische Gesellschaften sind dadurch auch extrem verwundbar und erpressbar.
Die Verwundbarkeit der postheroischen Gesellschaft
Das Problem des Postheroischen ist, dass es nicht überall gleichzeitig entstanden ist und sich durchgesetzt hat. Postheroische Gesellschaften werden durch heroische Gemeinschaften herausgefordert. Nun sind postheroische Gesellschaften diesen heroischen Gemeinschaften waffentechnisch überlegen, und zwar derart überlegen, dass eine symmetrische Konfrontation für die Heroen aussichtlos ist. Sie hätten keine Chance. Also entwickeln sie Methoden asymmetrischer Kriegsführung, die, allgemein formuliert, dadurch gekennzeichnet sind, dass sie aus der Stärke des Angegriffenen dessen Schwäche machen. Dadurch bekommt der Schwache eine Chance, aber diese Chance kann er nur wahrnehmen durch seine Bereitschaft zum heroischen Selbstopfer.
Nicht von ungefähr ist gerade der Selbstmordattentäter zum Inbegriff asymmetrischen Kämpfens in unserer Gegenwart geworden: Er bedient sich der Infrastruktur postheroischer Gesellschaften, der U-Bahnen, der Flugverbindungen, der Hochhäuser, um deren labile Kollektivpsyche, also ihr gesteigertes Sicherheitsbedürfnis, anzugreifen. An diesem Punkt vor allem sind postheroische Gesellschaften vulnerabel, und diese Vulnerabilität könnten sie nur beseitigen durch kollektive Regression: Sie müssten wieder heroisch werden.
Vulnerabilität also ist der Schlüsselbegriff für die Sicherheitskonzeptionen des 21. Jahrhunderts. Unter den Bedingungen der Symmetrie wurde diese Vulnerabilität durch erhöhte Vulneranz begrenzt, also die Fähigkeit, einem gleichartigen Gegner dasselbe anzutun, was dieser einem selbst zufügen konnte. Die Voraussetzung für diese symmetrischen Vulneranzsysteme, gewöhnlich mit dem Begriff der Abschreckung belegt, war die Gleichartigkeit der Akteure, also ein body politic, durch den Vulnerabilität als Angriffsbereich für Vulneranz entstand.
Genau das aber fehlt bei den Trägern des Heroischen im Zeitalter der Postmoderne: Netzwerke bilden keinen body politic aus, sie sind weitgehend unsichtbar und unangreifbar, deswegen sind sie nicht abzuschrecken. Drohnen, Roboter und ähnliches sind die Instrumente, mit denen postheroische Gesellschaften sich asymmetrisch agierender heroischer Gemeinschaften erwehren. Keine Frage – auch diese Art des Sich-Erwehrens bedarf einer Ethik, aber das kann nicht die Ethik der heroischen Gesellschaften sein. „Die Waffen sind das Wesen des Kämpfers“, heißt es bei Hegel. Drohnen und Überwachungssysteme sind die Waffen postheroischer Gesellschaften.
Prof. Münkler hat den Lehrstuhl für Theorie der Politik im Fachbereich Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin inne. Seit Oktober 2012 bis September 2013 ist er im Rahmen des Opus-Magnum-Stipendiums der Volkswagen- sowie der Thyssen-Stiftung für die Arbeit an einem Buch über den Ersten Weltkrieg von seinen Lehrverpflichtungen befreit.
Zuvor war Prof. Münkler als Koordinator des Exzellenzclusters „Security and Risk“ der Humboldt-Universität zu Berlin (2006/07) tätig. Seit 2009 gehört er dem Sonderforschungsbereich 644 „Transformationen der Antike“ (A11: Imperiale Deutungsmuster: Das Imperium Romanum als politische Reflexionskategorie) an. 2004/05 war er Gastprofessor am Wissenschaftszentrum für Sozialwissenschaften Berlin, 2001 Akademieprofessur an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
1993 war er Gastdozent am Institut für Höhere Studien Wien. Er hat sich an zahlreichen Forschungsprogrammen der DFG, der VW- und der Thyssenstiftung beteiligt, mehrere Arbeitsgruppen an der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften geleitet und zahlreiche Preise erhalten. 2009 erhielt er den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse.