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„Desinteresse sieht anders aus“

Es gibt in Deutschland durchaus Solidarität mit der syrischen Revolution. Auch wenn die Empathie und Unterstützung für die aufständischen Syrer immer wieder von Relativierungen, Zweifeln und sogar Verständnis für die Baath-Diktatur überschattet wird. Wie kaum je in einem anderen Kampf um Freiheit gegen einen brutalen Diktator stellen gerade sich selbst als „links“ oder emanzipatorisch verstehende Menschen in Frage, ob der Kampf der Aktivist/innen in Syrien überhaupt berechtigt ist.

Adopt a Revolution

Ein Gradmesser für die Sympathien, die die syrischen Aktivist/innen hierzulande tatsächlich genießen, ist die Spendeninitiative „Adopt a Revolution – den syrischen Frühling unterstützen“. Im Frühjahr 2012 bezeichnete die tageszeitung sie als eine „Solidaritätskampagne wie es sie seit langem nicht mehr gegeben hat“. Adopt a Revolution gründete sich im Dezember 2011, um Geld für die politische Arbeit der Lokalen Koordinierungskomitees in den syrischen Städten zu sammeln. Die Komitees verwenden das Geld für die Organisation von Demonstrationen gegen das Regime, den Ankauf von Kameras, Büromiete und Internetrechnungen. Viele geben ihre eigenen Untergrundzeitungen heraus. War zunächst nur die Unterstützung einer Handvoll Komitees geplant, konnten die Berliner und Leipziger Spendensammler bald schon Geld an über 30 Komitees schicken. Ebenso erfolgreich war die Initiative bei der Pressearbeit. Alle großen deutschen Zeitungen, ZDF und Arte machten die Initiative zum Reportagethema. Die Tagesschau berichtete – und schließlich riefen sogar das britische Staatsfernsehen BBC, der französische Sender France 24 und die amerikanische Tageszeitung USA Today in dem kleinen Hinterhofbüro an. Desinteresse sieht anders aus.

Die Journalisten fanden die Solidarität mit der syrischen Revolution bewundernswert. Doch dass sie so zahlreich berichteten, hängt wohl auch mit der Besonderheit des Anliegens zusammen. Eine Solidaritätskampagne mit dem arabischen Frühling gab es bis dahin nicht. Das liegt zum einen daran, dass internationale Solidarität aus der Mode gekommen ist. Zum anderen sind viele gegenüber dem arabischen Frühling im Allgemeinen und der syrischen Revolution im Besonderen skeptisch. Das hat historische Gründe.

Internationale Solidarität, wie sie sich in den 1970er und 1980er Jahren in Kampagnen etwa für Nicaragua und El Salvador zeigte, basierte meist auf einer enggeführten weltpolitischen Analyse: In der Logik des Kalten Krieges standen dann auf der einen Seite die Guten – die Befreiungsbewegungen – und auf der anderen die Bösen – die USA und ihre europäischen Vasallen, die die Diktatoren stützten. Die Genossen in Lateinamerika wurden also nicht nur unterstützt, weil sie für sich in ihrem Land etwas Besseres erreichen wollten, sondern vor allem auch, weil sie gegen den US-Imperialismus kämpften.

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts verebbte diese Art der Solidarität. Erst ein Jahrzehnt später, Ende der 1990er Jahre entstand plötzlich eine neue Form des „Internationalismus“. Diese globalisierungskritische Bewegung sah sich nicht mehr als Unterstützer von Befreiungsbewegungen, sondern wollte soziale Kämpfe weltweit vernetzen. In der arabischen Welt gab es zwar auch Kämpfe, die sich an Geschlechterfragen, Verteilungsgerechtigkeit, Bildungschancen, urbanen und ökologischen Fragestellungen entzündeten, aber die arabischen Intellektuellen und Aktivist/innen, die auf internationale Treffen reisten und auf englisch etwas über ihre Länder vermitteln konnten, hatten ganz andere Themen, wie den Israel-Palästina-Konflikt und den Kampf gegen westliche Einmischung in ihrer Region.

Die Analyse westlicher Einmischung gerät zu kurz

Tatsächlich haben sich die USA und europäische Regierungen lange kräftig in der Region eingemischt. Sie unterstützten Islamisten gegen Kommunisten und Diktatoren gegen Islamisten. Nur: Die Analyse dieser westlichen Einmischung geriet arg kurz. Man führte schlicht alles „westliche“ Handeln im Nahen Osten auf die Abhängigkeit vom Erdöl und die Unterstützung der Interessen Israels zurück. Darin scheinen sich bis heute arabische Intellektuelle mit europäischen Linken bis hin zu FAZ-Kommentatoren einig. Diese kurz gegriffenen Erklärungen sind deshalb umso erstaunlicher, als die Entwicklungen ihnen teilweise widersprechen.

Spätestens mit dem arabischen Frühling wurde deutlich, dass die Menschen in der arabischen Welt nicht zuerst unter den westlichen Mächten und Israel litten, sondern unter ihren hausgemachten Diktaturen und der allgegenwärtigen Korruption. Doch obwohl das so offensichtlich war, schickten sich einige an, für Tunesien und Ägypten die alte Analyse zurechtzubiegen: Die beiden Regime waren lange von den USA und den Europäern unterstützt worden. Die Diktatoren konnten als Schergen des Imperialismus qualifiziert und die Revolutionen somit als anti-imperialistische umgedeutet werden. Genau das war auch die Argumentation des syrischen Diktators Bashar al-Assad, als er Anfang 2011 nach dem Sturz Mubaraks und Ben Alis behauptete, in seinem Land könne so etwas nicht passieren. Syrien sei schließlich ein Bollwerk des Anti-Imperialismus und das einzige arabische Land, das fest an der Seite der Palästinenser stehe.

Die westlichen Regierungen ducken sich weg

Dass das Regime in Syrien eine brutale Diktatur ist, war zwar in Europa bekannt. Aber je komplizierter der Konflikt wurde, je mehr Akteure sich einmischten, umso verlockender wurde wohl vielen diese so einfache wie durchsichtige Erklärung des syrischen Diktators. Als sich dann auch noch die USA und Saudi Arabien und schließlich sogar Israel gegen Assad stellten, schien alles wieder zu passen: Die USA, Erdöl und Israel.

Auf Veranstaltungen von Adopt a Revolution begegnen uns immer wieder solche Argumentationen – und zwar keinesfalls nur von sogenannten anti-imperialistischen Linken, sondern auch in Kirchengemeinden und bei Mitgliedern etablierter Volksparteien.

Die syrischen Aktivist/innen kommen in dieser Argumentation nicht vor oder werden – im schlimmsten Fall – sogar als Erfüllungsgehilfen westlicher Interessen gesehen. Dass westliches Handeln und vermeintliche und tatsächliche Interessen derzeit weit auseinanderklaffen, wird nicht zur Kenntnis genommen.

Es ist ja richtig: Tatsächlich läge es im Interesse der USA und der EU die „Achse des Bösen“ Iran-Syrien-Hisbollah schwächen zu wollen, Israels Sicherheit zu erhöhen oder eine dem Westen freundlich gesonnene Demokratie zu schaffen. Doch genau diese Interessen verfolgen sie eben nicht. Die westlichen Regierungen ducken sich weg. Selbst die billig zu habende finanzielle und logistische Unterstützung demokratischer Kräfte in Syrien fällt so mager aus, dass man daran zweifeln möchte, ob ihr Erfolg überhaupt gewünscht wird.

Die banale Wahrheit ist wahrscheinlich, dass auch den USA und den Europäern der syrische Konflikt zu kompliziert ist, dass auch ihr Weltkompass durcheinander geraten ist.

Zusätzlich verstellt der Islamismus den Blick auf die Aktivist/innen. Man begegnet hierzulande häufig Erstaunen, wenn man berichtet, dass immer noch regelmäßig friedliche Demonstrationen stattfinden und vor allem, dass sich viele davon gegen die extrem islamistischen geprägten   Rebellengruppen richten.

Die Furcht vor dem Islamismus ist dabei durchaus berechtigt. Aber das erklärt nicht, warum im Westen nichts anderes daneben wahrgenommen wird. Hier gibt es wohl zwei unterschiedliche Motive. Für die einen ist der Islamismus sowieso nur das Produkt westlicher Einmischung. Wer die Existenz der Al Nusra-Brigade grob gesprochen mit Afghanistan und Palästina begründet, hat seine alten Gewissheiten, dass alles die Schuld der USA ist, wieder gerettet. Weit verbreiteter aber ist die Tendenz, das Handeln der Menschen der Region generell mit dem Islam zu erklären: Im Positiven wie im Negativen. Eher „rechte“ Kulturrelativisten haben schon immer vor der Aggression des Islam gewarnt, eher linke Kulturrelativisten predigen Toleranz gegenüber dem Islam, vergessen aber darüber, dass Muslime zu allererst auch Menschen sind, die nicht nur ein Recht auf Religion, sondern auch auf alle anderen Menschenrechte haben.
Doch während diese Diskurse sehr dominant sind, erleben wir bei Adopt a Revolution auch ein großes Bedürfnis, die Aktivist/innen in Syrien unterstützen zu wollen. Vielen Menschen in Deutschland ist klar, dass es um einen echten Befreiungskampf gegen eine brutale Diktatur und für Demokratie und Menschenrechte geht. Hier könnte ein Ansatz zu einem neuen Internationalismus liegen, der danach fragt, wofür die Menschen kämpfen und sie nicht erst einmal in ein geopolitisches Geflecht einordnet, das man heute ohnehin nicht mehr einfach erklären kann.