Die Tagung am 15. März widmete sich der Frage, wie die Wirtschaft in Städten „grüner“ werden kann bzw. welche Wirtschaft zu einer Regenerativen Stadt passt. „Ecosmart Urban Economy“ ist dabei eine Leitidee für ein städtisches Wirtschaftssystem, in dem mithilfe moderner Informationstechnologie Industrie- und Dienstleistungssektoren transformiert und integriert werden. Einerseits sollen die Unternehmen selbst ökologisch nachhaltiger werden, andererseits sollen sie Produkte und Dienstleistungen bereitstellen, die ein klimafreundlicheres, ressourcenschonendes Leben ermöglichen.
Sabine Drewes: Die Wirtschaft in der Stadt soll grüner werden
Die Vision der Regenerativen Stadt und Ecosmart Urban Economy, dies machte Sabine Drewes (Heinrich-Böll-Stiftung) in ihrer Begrüßung deutlich, griffen ineinander. Viele Städte wollten bis 2050 klimaneutral werden. Dies löse Innovations- und Veränderungsdruck in der privaten Wirtschaft aus. Das Ziel sei aber je nach Wirtschaftsstruktur der Städte unterschiedlich leicht oder schwer erreichbar. Während Kopenhagen, eine Hauptstadt der Kreativwirtschaft, schon heute einen CO2-Ausstoß pro Jahr von 3 t pro Kopf habe, seien dies in einer Industriestadt wie Hamburg mit Hafen und Aluhütte 9 t. Die Veranstaltung „Regenerative Stadt III“ nehme die ökologische und ökonomische Perspektive gleichermaßen in den Blick: Die Frage aus Sicht der Regenerativen Stadt wäre: Wie können existierende Unternehmen ressourcensparender werden? Man könne das Thema aber auch, und deswegen sei man bei dieser Veranstaltung eine Kooperation mit der Stiftung Neue Verantwortung eingegangen, aus Sicht der Wirtschaft angehen. Die Wirtschaft und auch die Industrie brauchen offensichtlich Stadtnähe. Daher stelle sich die Frage: Wie grün müssen Unternehmen sein, damit sie in die Stadt passen? Welche infrastrukturellen und politischen Rahmenbedingungen wünschen sich Unternehmen, insbesondere die der Grünen Wirtschaft?
Stefan Schurig: Die Regenerative Stadt
Stefan Schurig vom World Future Council skizzierte die Vision der Regenerativen Stadt. Die Regenerative Stadt sei „ein System, das seinen gesamten Stoffwechsel so organisiert, dass es sich selbst versorgt und möglichst geringe Umweltkosten produziert.“ Das beträfe Energieversorgung, Mobilität, Lebensmittelkonsum bis hin zur Rückgewinnung von Nährstoffen aus Abwässern. Die Regenerative Stadt erhalte sich nicht über die massive Verwendung von fossilen Rohstoffen, sie sei keine „Petropolis“. Sie breche daher mit der Entwicklungskurve der modernen Stadt, deren rasante Entwicklung eben auf fossilen Rohstoffen beruhe. Der lineare und umweltschädliche Stoffwechsel der „Petropolis“ soll in der regenerativen „Ecopolis“ in einen zirkulären Prozess umgewandelt werden.
Gerade weil bis 2050 zwei Drittel von neun Milliarden Menschen in Städten leben würden, müssten Transformationsprozesse rasch und dort anfangen: „Wenn wir es in der Stadt nicht schaffen, das Steuer rumzureißen, können wir gleich einpacken“, sagte Schurig. Schurig formulierte einige Leitgedanken für die städtische Transformation in Richtung regenerative Stadt. Sie müsse unabhängig von Legislaturperioden und politischen Personal verfolgt werden. Die Wirtschaftsförderung und lokale Industriepolitik brauche langfristige Masterpläne, die auf Unternehmensseite Investitionssicherheit bieten. Es bringe gar nichts, die ökonomische Perspektive auszuklammern. „Make the economy case“, plädierte Schurig. Man müsse gezielt für Arbeitsplätze, Produktion und Unternehmertum in der Stadt sorgen. Die Regenerative Stadt breche im Kern nicht mit dem gängigen Wachstumsmodell. Es wird jedoch auf Strukturveränderungen gesetzt, die das Wachstums- und Wohlstandsmodell in einem regenerativen Prozess ermöglichen. Weder „Degrowth“ noch „Deglobalisierung“ seien explizite Zielvisionen der Regenerativen Stadt, strich Schurig auf Nachfrage aus dem Publikum heraus.
Martin Schössler: Wie die Reindustrialisierung von Städten gelingt
Martin Schössler berichtete aus dem Forschungsprojekt Future Urban Industries der Stiftung Neue Verantwortung. Das Projekt geht der Frage nach, unter welchen Bedingungen es gelingt, Wirtschaftsunternehmen und insbesondere Industrie innerhalb von Städten anzusiedeln. Man wisse, dass viele Industriebetriebe an einem Ort gleichzeitig forschen, entwickeln, produzieren und vermarkten wollen. Das Sinnbild dafür sei das der „gestapelten Fabrik“. Eine lokale Bündelung von Industrieprozessen sei positiv für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Bisher sei es eher die Regel, sagte Schössler, dass Produktionsanlagen auf den grünen Wiesen angesiedelt würden, entfernt von städtischen Standorten. Gerade in den Städten seien aber die Produktionsfaktoren Wissen und Humankapital reichlich vorhanden. Betriebswirtschaftlich sei es wünschenswert, diese räumliche Lücke zu schließen, indem Produktionsanlagen wieder in die Stadt verlagert würden. Ein Hindernis dafür sei, dass es in vielen Städten keine Flächen mehr für Industrie und Gewerbe gebe. Städtische Politik wäre gut beraten, zugunsten urbaner Industrie Prioritäten bei der Ausweisung von Flächen und Gebäuden zu setzen.
Die Umfragen im Rahmen von Future Urban Industries hätten ergeben, dass der Industrieansiedlung für die zukünftige Entwicklung des urbanen Raumes eine große Bedeutung beigemessen würde. Jedoch seien damit weniger die traditionellen Industrien wie Bergbau, Kohle, Chemie, Maschinen- und Automobilbau gemeint, sondern Informations- und Kommunikationstechnologien, Medizintechnik und Biotechnologie sowie das „neue“ Manufakturwesen. Unter „neuen“ Manufakturen oder „Manufakturen 2.0“ werden Mischungen aus traditionellem Handwerk mit modernen Vertriebs- und Kommunikationswegen verstanden. Als Beispiel wurde die Berliner Brillenmanufaktur Mykita genannt. Zu dieser Firma hatte am Vormitta eine Exkursion stattgefunden.
Ulrich Petschow: Ökologisch orientierte Wirtschaftsförderung in Berlin und Brandenburg
Der Input von Ulrich Petschow basierte auf der Expertise „Nachhaltige Entwicklung der Wirtschafts- und Arbeitspolitik Berlin-Brandenburg“, die Petschow im Jahr 2012 für die Landesregierung Brandenburg verfasst hat. Petschow geht davon aus, dass sich regionale Wirtschafts- und Arbeitspolitik und insbesondere die regionale Wirtschaftsförderung als Bestandteil eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses betrachten sollten. Gesellschaftliche Transformation versteht Petschow, in Anlehnung an den WBGU-Bericht, als einen Prozess, der auf die Beendigung der fossilen Wirtschaftsweise abzielt. Wirtschaftsförderung müsse technische und soziale Innovationen in einem nachhaltigen Sinne unterstützen. Es sei nicht nur wichtig, bestimmte Technologien zu fördern, sondern in einem weiter reichenden Ansatz ganze Lebens- und Produktionsweisen. Vor dem Hintergrund der Energiewende ergebe sich für die Wirtschaftsförderung in der Metropolregion Berlin-Brandenburg die Notwendigkeit - respektive Chance - mit der Clusterförderung-Strategie zu brechen und stattdessen verstärkt auf eine Lead-Market-Strategie in der Metropolregion zu setzen. Clusterförderung biete unter anderem deswegen nicht die richtigen Konzepte, weil es sie eher auf bestehende, alte Industriestrukturen setze und zu sehr angebotsorientiert sei. Eine regionale, nachfrageorientierte Lead-Market-Strategie im Bereich Erneuerbarer Energien könnte Nachhaltigkeitsanforderungen der Wirtschaftsförderung demgegenüber besser entsprechen.
In der an die Inputs anschließenden Diskussion wurde kritisch angemerkt, inwiefern Schösslers These von der Reindustrialisierung der Stadt haltbar sei. Wenn sich Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologien, Medizintechnik und Biotechnologie oder „neue Manufakturen“ in Städten ansiedelten, sei das keine Reindustrialisierung mit Unternehmen, die dem primären oder sekundären Industriesektor zuzuordnen sind.
Walter Oppermann: Volkswagen Blue Factory
Volkswagen, erklärte Walter Oppermann zu Beginn seines Vortrags, wolle nicht nur Weltmarktführer in der Autoproduktion sein, sondern auch in Sachen Nachhaltigkeit. Die Strategie und das Unternehmensprogramm dazu heißt „Think Blue Factory”. Operationales Ziel bis zum Jahr 2018 sei es, dass die VW-Werke ihren Energie- und Wasserverbrauch pro Fahrzeug und gefertigtem Komponententeil um 25 Prozent senken, 25 Prozent weniger Abfall und Lösungsmittelemissionen erzeugen und 25 Prozent weniger CO2 ausstoßen.
Ein anschauliches Beispiel für diese Anstrengungen, berichtete Oppermann, sei das VW-Werk in Emden, wo unter anderem der Passat “BlueMotion” gefertigt wird. Im Werk Emden werde bereits ein hoher Anteil regenerativer Energie durch eigene Windkraft-, Biomasse- und Solaranlagen sowie Geothermie erzeugt. Zur Erschließung von Erdwärme wurden in der neuen Karosseriehalle knapp 5.000 Gründungspfähle als „Energiepfähle“ eingestampft. Das soll 2 MW Energieleistung bringen. Der Konzern werde bis Ende 2013 gut 100 Millionen Euro in Emden investieren, was laut Oppermann, die größte Standortinvestition dieser Art darstelle.
Günter Schleiff: Die CO2-neutrale Wechselrichter-Fabrik
Der Architekt Günther Schleiff erklärte die CO2-Neutralitätsstrategie der SMA Solar Technology AG. Das Kasseler Unternehmen ist Technologiemarktführer für Wechselrichter und hat nach eigenen Angaben einen Weltmarktanteil von 40 Prozent. Wechselrichter werden gebraucht um Gleichstrom aus Solarmodulen in Wechselstrom umzuwandeln. SMA ist mit seinem Produktangebot ein Akteur und Zulieferer der Green Economy. Für die Unternehmensspitze sei es darum selbstverständlich, so Schleiff, im Gebäudebestand und in Betriebsprozessen CO2-Neutralität anzustreben. Die Energie für die Produktion beziehe SMA aus gebäudeintegrierten Photovoltaik-Anlagen, einem eigenen gasbetriebenen Blockheizkraftwerk sowie einer Biogasanlage. In Spitzenlastzeiten würde Ökostrom aus regionalen Quellen hinzu geschaltet. Die neueren Gebäude erfüllten die Wärmestandards von Niedrigenergiehäusern, die Gebäudehüllen zeichnen sich durch viele Fenster, Sonnenschutz und Winddichte aus. Um einen der größten Energieverbrauchsposten in den Produktionshallen, die Beleuchtung, möglichst gering zu halten, seien Beleuchtungssätze mit einem Wirkungsgrad von 99 Prozent installiert worden. SMA habe ein CO2-Monitoring eingeführt, um herauszufinden. womit der eigene Energiebedarf noch weiter reduziert werden könnte und wo noch Effizienzpotenziale liegen.
Diskussion: Politische und kulturelle Weichenstellung für Ecosmart Urban Economy
In der abschließenden Diskussionsrunde berichtete Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, wie sie die Berliner Wirtschaftsförderung wahrnimmt. Offensichtlich sei in Berlin „Industrie viele Jahre kein Thema gewesen“. Seit der Deindustrialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wende sei es nicht wirklich gelungen, Industrie in großem Stil im Stadtbereich anzusiedeln. Pop bemängelte, dass industriepolitisch nicht gefördert worden wäre, „was hätte blühen und wachsen“ können. Dabei verfüge die Stadt über überdurchschnittlich viel Humankapital und immer noch große Freiflächen, die für Industrie und Gewerbe erschlossen werden könnten - auch ohne anderen Nutzungskonzepten Konkurrenz machen zu müssen. Seit rund zehn Jahren verstehe sich Berlin als Hauptstadt der Creative Industries und Start-Ups. Pop wünschte sich, dass mit staatlicher Hilfe „das Digitale mit dem Analogen besser verbunden“ werden könnte. Nicht nur die „Kopfarbeit“, das Forschen, Entwickeln und Vermarkten, soll in Berlin stattfinden, sondern auch die Produktion und das Handwerk.
Es wurde diskutiert, mit welchen Maßnahmen und Instrumenten Landes- und Kommunalpolitik Ecosmart Urban Economy konkret fördern und etablieren könnte. Birthe Bruckhoff von der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH (Mülheim) berichtete mit Erfahrungen aus dem Ruhrgebiet, dass für eine Änderung der Wirtschaftsstruktur die Etablierung von Lead Markets zielführender sei als Cluster- und Branchenförderung. Ihr Unternehmen habe außerdem ein Instrument entwickelt, mit dem Flächen wieder in Gewerbeflächen umgewandelt werden könnten. Dies sei nicht unbedingt erforderlich in Berlin, aber in dicht besiedelten Städten wie Hamburg, München und Stuttgart.
Jan Michael Hess, Organisator des Ecosummits, konzentrierte den Blick auf die Start-Up bzw. Cleantech-Szene. Cleantech-Unternehmen verkaufen Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen, die für Business- oder Endkunden Leistung und Effizienz steigern und gleichzeitig Kosten, Energieverbrauch und Abfälle reduzieren. Innovative Start-Ups wie Carzapp, das eine Hardware für Carsharing entwickelt und vermarktet, brauche zunächst schlichtweg Kapital. Eine gute staatliche Finanzierungsmöglichkeit sei der Hightech-Gründerfond des Bundes. Private Investitionen in Form von Venture Capital seien für beiden Seiten, Investoren wie Unternehmen, mit größerem Risiko verbunden als etwa private Investitionen mittels Crowdfunding. Crowdfunding sei eine innovative Kapitalisierungsform und eben auch interessant für Kleinanleger/innen, die sich an Grüner Wirtschaft beteiligen wollen.
Aus der Perspektive des Weltkonzerns unterstrich Walter Oppermann, dass sich Investitionen in Nachhaltigkeit immer betriebswirtschaftlich rechnen müssten, damit sie für Unternehmen interessant sind. Wirtschaftlichkeit stelle sich aber aus der Perspektive eines börsennotierten Unternehmens anders da als etwa für Privatpersonen. So müsse sich in der Volkswagen-AG jede Investition nach 18 Monaten rechnen. Unter diesen Bedingungen seien nicht einmal die subventionierten Solarpaneele rentabel. Zweitens brauche es Leadership für Nachhaltigkeit an der Unternehmensspitze. Drittens müsse im ganzen Unternehmen die Einsicht wachsen, dass Investitionen sich lohnen und auch für die Umwelt, das Gemeinwohl, gut sind. „Zwangsmaßnahmen der Politik“ in Form verschärfter Umweltauflagen und ordnungspolitischer Regulatorik seien tendenziell nicht effektiv oder würden unerwünschte Konsequenzen haben.
Pop hielt top-down beschlossene Zwangsmaßnahmen auch für kontraproduktiv, sie habe mehr Sympathien für Gesetzesinitiativen die bottom-up entstehen, wie das Berliner Klimaschutzgesetz. Das Berliner Klimaschutzgesetz war 2009 von Umwelt-, Mieter,- und Unternehmensverbänden erarbeitet worden, dann aber von der Landesregierung auf Eis gelegt worden: „Das ist jetzt praktisch tot und Berlin hat eine Chance verpasst“, bedauerte Pop. Land und Kommunen sollten Ecosmart Urban Economy mit finanziellen Anreizen helfen, nach dem Motto: die „Guten“ belohnen, die „Bösen“ sanktionieren. Darüber hinaus gebe es verwaltungstechnische Möglichkeiten wie ökologischere Vorgaben in Ausschreibungstexten, die konsequenter und konkreter angewendet werden sollten, um Ecosmart Urban Economy zu stärken.
Neben der politisch-systemischen Sicht auf Ecosmart Urban Economy wurde auch auf kulturelle und individuelle Voraussetzungen zum Gedeihen der Ecosmart Urban Economy hingewiesen. Jan Michael Hess appellierte an Ecological Entrepreneuership in der Gründerszene und generell in der Wirtschaft. Gerade deutsche Unternehmen trügen qua ihrer gebündelten Wirtschaftsstärke in Europa die Pflicht, ökologisch-innovativ voran zu gehen. Hess plädierte dafür, Erfolgsgeschichten der Grünen Wirtschaft zu erzählen, ein begeisterndes Narrativ aufzubauen.