Unsere Arbeit in Lateinamerika

In den letzten eineinhalb Jahrzehnten fand in Lateinamerika eine wirtschaftliche und politische Emanzipation von den USA und Europa statt. Dies zeigt sich nicht zuletzt in einem neuen  Selbstbewusstsein, sowohl der Staatsoberhäupter auf der weltpolitischen Bühne als auch innerhalb der Bevölkerung in den einzelnen Ländern.

Angesichts der anhaltend hohen Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt lässt sich seit Ende der 1990er Jahre in Lateinamerika eine Renaissance eines rohstoffbasierten Wirtschafts- und Entwicklungsmodelles beobachten. Die Tatsache, dass Lateinamerika im Gegensatz zur EU die 2007 begonnene Wirtschafts- und Finanzkrise relativ gut überstanden hat und die meisten Länder – wenn auch in unterschiedlichem Maße - wieder auf Wachstumskurs sind, gilt als Beleg dafür, dass der eingeschlagene Entwicklungsweg richtig ist. Der alte Fluch der „offenen Adern Lateinamerikas“ scheint sich ins Gegenteil gewandelt zu haben, und der Weg der Ressourcenausbeutung verspricht Wohlstand und soziale Entwicklung. Hier unterscheiden sich die Regierungen Lateinamerikas unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung wenig. Unterschiedlich ist nur der Umgang mit den Staatseinnahmen. Während die einen diese vorwiegend einer kleinen Elite überlassen, investieren die eher links orientierten Regierungen in breite  Sozialprogramme. Tatsächlich sind die Armutsraten in den meisten lateinamerikanischen Ländern zurückgegangen. Allerdings schafft der eingeschlagene Weg kaum Arbeitsplätze, die soziale Schere bleibt bestehen.  Eine Ausnahme bildet Brasilien, wo die Reallöhne der unteren Einkommensschichten prozentual gestiegen sind und auch mehr Arbeitsplätze entstanden. Trotz aller ökonomischen Entwicklung bleibt Lateinamerika der Kontinent mit der größten sozialen Ungleichheit.

Herausforderungen ökologische Nachhaltigkeit, demokratische Teilhabe, Geschlechtergerechtigkeit

Die ökologischen Kosten dieses Entwicklungsmodells sind sehr hoch. Bergbau und Exportlandwirtschaft (Soja u.a.) verschlingen bzw. verschmutzen riesige Wasserreserven, genveränderte Monokulturen führen zu starker Pestizidbelastung und zur Degradierung von Böden, die Flächenausdehnung für den Anbau führt zu Zerstörung sensibler, bislang noch intakter Ökosysteme.

Nicht alle Bevölkerungsgruppen profitieren von dem eingeschlagenen Weg. Es kommt zu großflächigen Umsiedlungen bzw. Vertreibungen von Bevölkerungsgruppen – hier sind häufig gerade indigene Bevölkerungsgruppen und Kleinbauern/bäuerinnen betroffen. Lokale Mitsprache- und Beteiligungsrechte werden umgangen bzw. gesetzlich eingeschränkt. Kritiker/innen werden in aller Regel diskreditiert und auch kriminalisiert. Nicht selten werden in diesem Zusammenhang Menschenrechte verletzt.

Das Modell hat auch Auswirkungen auf rechtsstaatliche und politische Strukturen. Zentralisierungstendenzen und Priorisierung bestimmter Projekte führen zu Prekarisierung und Exklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen und zur massiven Beeinträchtigung von elementaren Menschenrechten. Zwar sind verfassungsrechtliche Grundlagen für die Anerkennung individueller und teilweise auch kollektiver Rechte z.B. indigener Gemeinschaften in der Regel gegeben, aber die institutionellen Rahmenbedingungen in Justiz, öffentlicher Verwaltung und auf den verschiedenen Regierungsebenen sind vor allem außerhalb der Hauptstädte als defizitär zu betrachten. Außerdem fehlen Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger/innen. Frauen haben keine gleichberechtigte Teilhabe und sind die, die Auswirkungen dieser Politik aufzufangen haben. Geschlechtergerechtigkeit generell stellt in Lateinamerika ein großes Problem dar. Neben ökonomischer und politischer Benachteiligung spielt vor allem das Thema Gewalt gegen Frauen eine große Rolle.

Die Protestwelle im Juni 2013 in Brasilien zeigte einmal mehr die Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung mit diesem Entwicklungsmodell. In Brasilien richtet sie sich vor allem gegen die grassierende Korruption und darauf, dass auf Druck der FIFA und des IOC Milliarden Investitionen in den Ausbau von Sportstätten und entsprechender Infrastruktur für die Fußballweltmeisterschaft floßen und bis 2016 für die Olympischen Sommerspiele fließen werden, während notwendige Investitionen in das Sozialsystem wie Schulen, Gesundheitsversorgung und öffentliches Transportwesen unterbleiben. Auch in anderen lateinamerikanischen Ländern nehmen langsam Proteste und Mobilisierung gegen eine Politik zu, die vor allem auf die Verbesserung oder Erleichterung von Investitionsrahmenbedingungen in den Branchen der herrschenden Export-Matrix (Bergbau und Agroexporte) abzielt, und dabei ökologische Nachhaltigkeit und Umweltschutz unterminiert, und demokratische Teilhabe insbesondere auf der lokalen und regionalen Ebene aushebelt.

Die inhaltliche Arbeit der Stiftung in Lateinamerika setzt an diesen regionalen Herausforderungen an. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft gelegt, aber es wird auch mit anderen Sektoren wie Politik und Verwaltung kooperiert. Über die Bereitstellung von Wissen, die Befähigung bestimmter Bevölkerungsgruppen zur Wahrnehmung von Rechten sowie die Schaffung von Dialogräumen für unterschiedliche Akteure leistet die Stiftung einen wichtigen und wirksamen Beitrag zur Konsolidierung demokratischer und sozial und ökologisch nachhaltiger Gesellschaften.

Unsere Regional- und Landesbüros befinden sich in Mexiko, Brasilien und Chile. In Deutschland tragen unter dem Titel „Dialog mit Deutschland und Europa“ Diskussionsveranstaltungen, Fachgespräche und Publikationen dazu bei, eine differenziertere Wahrnehmung von Lateinamerika in Deutschland bzw. Europa und den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Interdependenzen beider Kontinente zu fördern.

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