Wende im Wahlkampf
Während die Kampagne der CPP eher schleppend verlief und vor allem durch den bestellten Jubel bezahlter Claqueure auffiel, wurde die oppositionelle CNRP von einer Welle der Euphorie getragen. Insbesondere junge Wählerinnen und Wähler unter 25 Jahren, die immerhin rund ein Drittel aller Wahlberechtigten darstellen, bekannten sich ungewohnt offen zur Opposition und trugen damit erheblich zur Schaffung einer allgemeinen Wechselstimmung bei, die letztendlich auch ältere Kambodschanerinnen und Kambodschaner beeindruckte. Sie alle einte vor allem der Wunsch nach Wandel („doh“) und personellem Wechsel: Viele Menschen sind Premier Minister Hun Sen, autoritärer Regierungschef seit Ende 1984, überdrüssig geworden. Mit ihm verbinden viele Khmer eine Politik, die den Lebensalltag der Menschen völlig aus dem Blick verloren hat und lediglich die Interessen der sowieso schon Reichen und Mächtigen verfolgt.
Für die seit 2012 existierende CNRP und ihre Vorgängerparteien (Sam Rainsy Partei und Menschenrechtspartei) ist es seit Jahren Routine, gegen wachsende soziale Ungleichheit, ausufernde Korruption und die vielen kleinen wie großen Ungerechtigkeiten im Alltag zu wettern. Neu war nun allerdings, dass dies dann auch in breite Unterstützung im Wahlvolk umschlug. Doch der Wahlkampf der CNRP umfasste noch eine weitere, besorgniserregende Komponente: Mit der Bedienung fremdenfeindlicher Ressentiments gegenüber den im Land lebenden Vietnamesen erlebte der Wahlkampf zweifellos einen unerwarteten Tiefpunkt.
Aber auch der Höhepunkt ist untrennbar mit der CNRP verbunden: Deren Präsident Sam Rainsy kehrte nach über dreieinhalb Jahren im selbstgewählten Exil in seine Heimat zurück, nachdem er von König Norodom Sihamoni begnadigt worden war. Je nach Sichtweise geschah dies im letzten Augenblick oder aber – neun Tage vor der Wahl – zum dramaturgisch günstigsten Zeitpunkt. Obwohl Sam Rainsy das aktive wie passive Wahlrecht weiter verwehrt blieb, absolvierte er in der letzten Woche noch einen Kampagnenmarathon durch das ganze Land. Dabei pulverisierte er nicht nur sämtliche politische Versammlungsrekorde der letzten Jahre (allein am 24. Juli in Siem Reap kamen seinetwegen 100.000 Menschen zusammen), sondern zeigte eindrucksvoll, dass er trotz der langen Abwesenheit der unumstrittene Führer der Opposition und der für Hun Sen einzige ernstzunehmende Herausforderer ist.
Unglaubwürdig und weder frei noch fair
Technisch gesehen waren Kambodschas Wahlen eine Farce. Bereits einige Monate vor dem Urnengang hatten Nichtregierungsorganisationen auf massive Fehler in den Wählerlisten hingewiesen. Stichproben aus zwei unabhängig voneinander durchgeführten Erhebungen wiesen darauf hin, dass wohl rund eine Millionen Kambodschanerinnen und Kambodschaner gar nicht als Wähler registriert waren – die Opposition spricht sogar von 1,3 Millionen „entrechteten Wählerinnen und Wählern“ – und eine ebenso große Zahl an Personen in den örtlichen Wählerlisten standen, die den Anwohnern unbekannt waren. Vier Tage vor den Wahlen berichtete die Phnom Penh Post über weitere schwerwiegende Probleme: Vor allem in den umkämpften Provinzen gab es weit mehr Registrierungen als Wähler. Besonders betroffen waren die Provinzen Kampong Cham, Prey Veng, Kandal und Phnom Penh. Allein in der Hauptstadt betraf dies 83 von 96 Gemeinden – mit insgesamt 145.000 mehr Wahlberechtigten als theoretisch möglich.
Wenn das das einzige Handicap gewesen wäre: Zwischen der letzten Wählerinnen- und Wählerregistrierungsperiode im letzten Jahr und den Wahlen am 28. Juli wurden fast eine halbe Millionen Sonderausweispapiere für Wählerinnen und Wähler ausgestellt. Die Anträge wurden jeweils von den Gemeindebürgermeistern bzw. Gemeindebürgermeisterinnen als Ersatz für sonst notwendige Ausweispapiere genehmigt – 97 Prozent von ihnen gehören der CPP an. Der Verdacht liegt nahe, dass Unterstützerinnen und Unterstützer der CPP nicht nur im eigenen Namen, sondern auch mit den Sonderausweispapieren als sogenannte Geisterwähler ihr Kreuz gemacht haben. Eine Mehrfachstimmabgabe sollte zwar durch Spezialtinte, in die jede Wählerin und jeder Wähler einen Zeigefinger tauchen muss, verhindert werden, doch diese Tinte erwies sich nachweislich als leicht entfernbar – mit gewöhnlichen Bleichmitteln, über die viele kambodschanische Haushalte verfügen.
Obwohl die CNRP Anfang August der Nationalen Wahlkommission (NWK) 18.400 Beschwerden präsentierte, die sich insbesondere auf diese Problematiken beziehen, deutet sich bereits an, dass eine Überprüfung dieser Unregelmäßigkeiten wohl ausbleiben wird. Die NWK gilt allgemein als von der regierenden CPP kontrolliert und zeigt kaum Willen, zu einer effektiven Aufklärung beizutragen. Insbesondere wird bemängelt, dass sie weder vor den Augen der Öffentlichkeit die Wahlzettel nachzählen wird, noch ermöglicht sie der Opposition oder unabhängigen Nichtregierungsorganisationen einen Blick auf die offiziellen Meldebögen, mit denen die Gemeinden die Wahlergebnisse an die NWK gemeldet hatten.
Aufgrund dieses Verhaltens scheint nachvollziehbar, dass jedem Ergebnis zugunsten der CPP, das die NWK verkünden wird, die notwendige Glaubwürdigkeit fehlt und von der Opposition fast schon zwingend nicht anerkannt werden kann. Die vorliegenden Indizien für einen massiven Wahlbetrug sind überwältigend und fallen angesichts der nicht vorhandenen Transparenz umso schwerer ins Gewicht. Dabei sind die sonstigen Rahmenbedingungen – u.a. kontrolliert die CPP nahezu vollständig die elektronischen Medien, nutzt die staatliche Infrastruktur für ihren Wahlkampf, den sie insbesondere von nahestehenden Großunternehmern bzw. -unternehmerinnen finanzieren ließ – noch gar nicht berücksichtigt. Lediglich eines kann man mit größter Sicherheit sagen: Wären die Wahlen frei und fair gewesen, hätte es am 28. Juli einen klaren Sieg der Opposition und einen Machtwechsel gegeben.
Kambodschas ungewisse Zukunft
Trotz des heftigen Einbruchs der CPP in der Wählergunst, wodurch sie 22 ihrer vormals 90 Sitze einbüßte, sitzt Premierminister Hun Sen zumindest innerparteilich weiter fest im Sattel. Doch eine Machterosion scheint in diesem Fall eher ein längerer Prozess zu sein, der gerade erst begonnen hat. Bisher war es jedenfalls so, dass politische Macht in Kambodscha keineswegs durch den Stimmzettel verliehen wird. Gerade Hun Sen hat in drei Jahrzehnten an der Regierungsspitze die undemokratischen Traditionen der Vorgängerregime fortgeführt und selbst mehrfach bewiesen, wie extrem sein Machthunger und seine Skrupellosigkeit entwickelt sind. Seine lange erfolgreichen Herrschaftsprinzipien – vor allem durch das Schüren von Ängsten durch Gewalt, Bedrohung und Einschüchterung – sind nun an ihre Grenzen gestoßen. Bis dato ist unklar, ob er wie 1997 und 1998 gewillt ist, bis zum Äußersten zu gehen und seine Leibwächtermiliz einzusetzen.
Doch diese Entscheidung wird er bald treffen müssen, wenn die Opposition ihre Ankündigung wahrmachen und zu Massendemonstrationen nach ägyptischem Vorbild aufrufen sollte. Denn selbst wenn es Hun Sen gelänge, für diese Wahlen die formale Anerkennung in den sonstigen inländischen Institutionen (die er alle kontrolliert) und im Ausland (1) zu erhalten, bleibt der CNRP zumindest ein erhebliches Druckmittel: Zur Konstituierung der neuen Nationalversammlung müssen mindestens 87 von 123 Abgeordneten anwesend sein. Da die CPP alleine nicht auf diese Zahl von Mandaten kommt, könnte die Bildung einer neuen Regierung noch lange auf sich warten lassen. Für diesen Fall hat Hun Sen bereits angekündigt, dass der CNRP die Mandate aberkannt und anderen Parteien zugesprochen werden.
Ob es nun zur großen Konfrontation kommt oder ob die Parteien auf dem Verhandlungsweg eine Lösung finden, ist noch völlig ungewiss. Derzeit scheinen verschiedene Szenarien denkbar, und nicht alle versprechen einen friedlichen Verlauf.
Folgerungen und Empfehlungen für die bilaterale Zusammenarbeit
Inmitten des ergebnisoffenen Nachwahlprozesses steuert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf ihre turnusgemäß alle zwei Jahre stattfindenden bilateralen Regierungsverhandlungen mit Kambodscha im Spätherbst zu.
Schon länger gibt es Kritik, u.a. von Nichtregierungsorganisationen, an der inhaltlichen Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit Kambodscha, insbesondere aufgrund der fehlenden Wirkung in einigen Sektorprogrammen. Doch bisher fehlte der entsprechende politische Wille in der Bundesregierung, längst überfällige Konsequenzen zu ziehen. Das muss nicht unbedingt bedeuten, die EZ mit Kambodscha zu reduzieren, wohl aber, zunächst – und bereits da hapert es gewaltig – die tatsächlichen Bedingungen vor Ort anzuerkennen und mit der unsachlichen Schönfärberei aufzuhören.
Dazu bedarf es als Ausgangspunkt (und nicht als flankierende Begleitmusik) einer umfassenden, schonungslosen und insbesondere unabhängigen Analyse über die bisherigen Erfolge, Misserfolge und Potentiale der bilateralen EZ mit Kambodscha. Erst damit dürfte es möglich sein, Benchmarks hinsichtlich der politischen und rechtlichen Entwicklung der kommenden Jahre als Voraussetzung für eine wirksame bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zu formulieren. Dieser Prozess geht selbstverständlich einher mit einer Analyse der aktuellen politischen Situation nach den Parlamentswahlen und der Regierungsbildung. Ob es weiter ein business as usual geben kann, sollte sich Premierminister Hun Sen trotz fehlender politischer Legitimation weiter als Regierungschef halten, darf stark bezweifelt werden – jedenfalls solange die Bundesregierung Interesse daran hat, in Kambodscha eine unparteiische und vor allem glaubwürdigen Rolle zu spielen und dadurch von allen Seiten akzeptiert zu werden. Sollte sich Kambodscha in den nächsten Monaten politisch destabilisieren, sollte auch eine Verschiebung der Regierungsverhandlungen nicht tabuisiert werden.
Unabhängig vom Ausgang einer solchen größeren Evaluation dürfte es kein Geheimnis mehr sein, dass ein ernsthaftes Überdenken des bisherigen sektoralen Engagements, insbesondere in der Unterstützung des Landsektors, unausweichlich ist. Nachdem sich nach der Weltbank als multi- sowie die Länder Finnland und Kanada als bilaterale Partner Kambodschas im Katasterwesen verabschiedet hatten, steht die Bundesrepublik mittlerweile allein auf weiter Flur. Dabei hatten die anderen Partner allein aufgrund der unzumutbaren Bedingungen in Kambodschas Landsektor ihr Engagement eingestellt. Bis heute ist unklar geblieben, warum die Bundesrepublik die Sachlage so sehr anders bewertet und vor allem an ihrer Unterstützung des Katasterwesens in Form von finanzieller Zusammenarbeit (FZ) festhält.
Nicht ganz so dramatisch erscheint das Engagement im Bereich Dezentralisierung. Dennoch fragt sich der geneigte Beobachter, welche messbaren Erfolge in diesem Sektor in den letzten Jahren eigentlich erzielt worden sind. Der Aufwand für dieses politische Placebo ist jedenfalls enorm, und die Frage muss erlaubt sein, ob die hier gebundenen Mittel anderswo nicht besser eingesetzt werden könnten. Das wäre – weit vor allen anderen Themen und gerade von kambodschanischen Gesprächspartnern immer wieder erwähnt – insbesondere beim Kapazitätsaufbau von berufsqualifizierenden Bildungsstrukturen der Fall. Der Bedarf an inländischen Facharbeitern in den technischen Berufen ist sehr hoch, ein entsprechendes Angebot aber kaum vorhanden. Während deutsches Know-how in diesem Themenfeld in Kambodscha überaus geschätzt wird, darf sich das BMZ nicht mehr hinter der Vereinbarung verstecken, es sei mit den EU-Partnern vor Ort abgestimmt, dass sich die Bundesrepublik eben nicht im Bildungssektor engagiert. Eine von einem deutschen Bildungsträger geführte Berufsschule, flankiert von technischer Zusammenarbeit (TZ) zur Festsetzung von Bildungsstandards hätte außerdem den Vorteil, in einem politisch nicht ganz so brisanten Umfeld angesiedelt zu sein.
Darüber hinaus bieten sich weitere Themen an, in der deutsche Unterstützung sinnvoll sein kann. An erster Stelle steht hier die Ausweitung der Frauenförderung, die bisher als Querschnittsaufgabe und vor allem als Beratung des Frauenministeriums angelegt ist. Durch die Erhöhung der Mittel könnten neue Projekte und Programme aufgelegt werden, etwa in Bezug auf betriebswirtschaftliches Engagement von Frauen (sogenannte Gründerinnenförderung). Angesichts des weltweiten Klimawandels und Kambodschas hoher Nachfrage an Elektrizität erscheinen darüber hinaus Maßnahmen zur CO2-neutralen Energiegewinnung förderwürdig. Auch der verantwortungsbewusste Umgang mit Biodiversität und der Schutz von natürlichen Lebensräumen sind Themen, für die sich die Bundesrepublik noch stärker einsetzen könnte.
Neu auf die Agenda könnte auch die Integrations- und Migrationspolitik kommen. Der Wahlkampf hatte es noch einmal deutlich gemacht, wie stark die Vorurteile vieler Kambodschanerinnen und Kambodschaner gegenüber der ethnischen Minderheit der Vietnamesen entwickelt sind. Bisher ist es zwar noch nicht zu größeren gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen, aber die letzten Wochen haben gezeigt, dass dies für die Zukunft nicht selbstverständlich sein muss. Ein „ehrlicher Makler“ – also ein internationaler Akteur – könnte in diesem Themenfeld sicherlich wertvolle Arbeit leisten, auch wenn man sich angesichts des intensiv gelebten Nationalismus vieler Menschen ein schwierigeres Gebiet kaum vorstellen kann. Vielleicht sollte das BMZ an dieser Stelle mit der Förderung von Initiativen lokaler Nichtregierungsorganisationen beginnen, die insgesamt noch viel stärker unterstützt werden sollten als bisher.
Das Manuskript spiegelt die politische Lage am 12. August 2013 wider.
Endnote:
(1) Ob Hun Sen dies gelingen wird, ist noch längst nicht ausgemacht. Während ihm die meisten Regierungen Südostasiens bereits zum Wahlsieg gratulierten, gibt es erste Stimmen aus Japan und China, die auf Distanz gehen. Besonders deutlich haben die USA reagiert, die ihre Militärhilfe für Kambodscha zumindest vorübergehend ausgesetzt haben. Keine deutliche Position beziehen derzeit die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten, die wohl erst den Nachwahlprozess abwarten möchten, bevor sie sich positionieren.