Bericht: (Kein) Frühling für Frauen?

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Patricia Sellers, Sonderberaterin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Als sich die Menschen in der arabischen Welt vor bald drei Jahren gegen ihre autokratischen Herrscher erhoben, sprachen viele von einem historischen Einschnitt für die Frauen der Region. Ob Libyen, Syrien oder Ägypten, es waren längst nicht nur die Männer, die kompromisslos ihre Rechte einforderten. Und heute? In vielen politischen Institutionen fehlen die Frauen. In Ägypten haben sexuelle Übergriffe zu- statt abgenommen. Und geradezu verstörend sind die Berichte über systematische Vergewaltigungen im syrischen Bürgerkrieg.

„(Kein) Frühling für Frauen?“, fragten deshalb die Heinrich-Böll-Stiftung und die Frauenorganisation AMICA e.V. auf einer gemeinsamen Konferenz zu sexualisierter Gewalt in arabischen Transformationsländern. Mit über vierzig Teilnehmer/innen vor allem aus Libyen, Ägypten und Syrien, aber auch aus Palästina, den USA, Europa und dem Balkan und Nordkaukasus standen unterschiedliche Umbruchsituationen im Fokus: ein weitgehend friedlich verlaufender Umbruch in Ägypten auf der einen Seite, der bewaffnete Konflikt in Syrien auf der anderen. Allerdings sei sexualisierte Gewalt kein regionales, sondern ein globales Phänomen. Das betonte Nadje Al-Ali, Professorin für Gender an der Londoner School of Oriental and African Studies, gleich zu Beginn der Tagung, und warnte eindringlich vor einer „Kulturalisierung“ des Problems. Man dürfe nicht der alten orientalistischen Versuchung verfallen, den Islam oder eine spezifisch arabische Kultur als Erklärung heranzuziehen. 

Mit Al-Ali und Patricia Sellers, Sonderberaterin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, machten am Mittwochnachmittag zwei Frauenrechtlerinnen den Anfang, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Hier die Theoretikerin, dort die Praktikerin. Vor allem aber ist es das Völkerrecht, das die beiden aneinander geraten lässt. „Ich ermutige Sie in dem Versuch“, sagt Sellers, „die Bestimmungen der CEDAW, des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, zu aktivieren.“ UN-Konventionen und Resolutionen des Sicherheitsrats müssten in Konfliktsituationen ebenso umgesetzt werden wie in Friedenszeiten.

Doch damit kann Al-Ali nur wenig anfangen. „Als Feministin habe ich ein sehr zwiespältiges Verhältnis zum Völkerrecht“, erwidert sie. Im Mittleren Osten, etwa in Palästina, würde systematisch gegen UN-Resolutionen verstoßen werden. Im Irak hätten die Vereinten Nationen mit ihren Sanktionen eine furchtbare humanitäre Katastrophe zu verantworten. Für Frauenrechtler/innen dort sei es schwierig, mit dem Völkerrecht zu argumentieren. Für sie seien die Vereinten Nationen verständlicherweise eher „Teil des Problems“ als die Lösung.

Vergewaltigung als Kriegswaffe

Die Frage aus dem Publikum, ob syrische Kriegsverbrechen wie systematische Vergewaltigungen einmal völkerrechtlich verfolgt werden könnten, lässt Sellers offen. Sollte es aber zu einem internationalen Syrien-Tribunal kommen, wird nach Beweisen gefragt werden. Genaue Daten zum Ausmaß sexualisierter Gewalt lägen allerdings nicht vor, schmälert die Journalistin Lauren Wolfe die Erwartungen. Das im Rahmen ihres Projekts „Women under Siege“ gesammelte Material gebe jedoch einen Eindruck: Tausende von Menschen seien in Syrien von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen betroffen – nicht nur Frauen, auch Männer, sogar Kinder im Alter von teilweise nicht mehr als sieben Jahren. Vor allem, nicht aber ausschließlich, seien Truppen oder Milizen des Regimes für die Gewalttaten verantwortlich.

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Auch wenn es in den meisten Fällen nicht möglich sei, die Berichte über sexualisierte Gewalt zu verifizieren, könne niemand behaupten, von nichts gewusst zu haben: „Wir wissen, was passiert“, betont Wolfe. Der Einsatz sexualisierter Gewalt diene als Waffe, um den Gegner zu demoralisieren. „Wir haben genug Information, um sagen zu können, dass die Regierung diese Kriegsverbrechen verübt.“

Dass sexualisierte Gewalt gezielt als Waffe eingesetzt wird, betont auch die Ägypterin Mariz Tadros vom Institute of Development Studies in Sussex. Sexuelle Belästigung, erklärt sie, sei in Ägypten seit Mitte der 2000er Jahre ein weit verbreitetes Problem, hätte sich nach der Revolution 2011 aber noch verschärft. Sie schlägt vor, zwischen „sozial motivierter“ und „politisch motivierter sexueller Gewalt“ zu unterscheiden, da zumindest ein Teil der Übergriffe im öffentlichen Raum auf Auftrag erfolge. Dabei gehe es den Männern nicht vorrangig um Lustgewinn. Ziel der politisch motivierten Übergriffe sei es, Massenproteste in Verruf zu bringen und die Menschen von Demonstrationen fernzuhalten.

Unter den jüngeren Aktivist/innen aus Ägypten stößt Tadros Unterscheidung allerdings auf scharfe Kritik. „Sexualisierte Gewalt“, widerspricht Amal Elmohandes, „ist nicht politisch motiviert.“ Diese „massive soziale Epidemie“ in einen politischen Zusammenhang zu stellen, lenke vom eigentlichen Problem ab, meint die Direktorin der feministischen Nazra-Initiative. Sexualisierte Gewalt sei in Ägypten omnipräsent. „Gruppenvergewaltigungen und sexuelle Angriffe sehen wir nicht nur auf dem Tahrirplatz, sondern zum Beispiel auch auf Konzerten.“ Gerade wenn große Menschenmengen in Feierlaune seien, häuften sich die Übergriffe.

Diktator beseitigt – aber die Herrschaft der Männer?

Dass diese Form der Gewalt eng mit struktureller Diskriminierung von Frauen zusammenhängt, letztere überhaupt erst Voraussetzung sei für sexualisierte Gewalt in Umbruchsituationen, machten nicht nur verschiedene Referent/innen deutlich. Auch das Konferenzprogramm räumte der rechtlichen Diskriminierung von Frauen und der Frage nach den Möglichkeiten und Begrenzungen politischer Partizipation in den Transformationsländern Raum ein.

In Libyen etwa sei die rechtliche Lage für Frauen nicht zu beklagen, stimmten die Parlamentarierin Majda al-Fallah von der libyschen Muslimbruderschaft und Naiema Gebril, Richterin am Berufungsgericht in Benghazi, überein. Schon unter Gaddafi habe es eine starke Frauenbewegung in Libyen gegeben. Ihr sei es gelungen, Frauenrechte gesetzlich zu verankern. Gebril zufolge besteht das Problem aber in der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen, denen oft die konservative Tradition entgegenstünde. Es sei leichter, einen Diktator zu beseitigen als die Herrschaft der Männer.

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Eine Frage, die sich nicht nur durch die Beiträge zog, sondern auch die Abschlussdiskussion bestimmte, war: Was tun gegen Diskriminierung und sexualisierte Gewalt? Während Projekte wie „Women under Siege“ oder der abschließend vorgeführte Dokumentarfilm „Not who we are“ auf Information und Öffentlichkeit setzten, verkörperten die Aktivist/innen aus Ägypten die interventionistische Antwort auf die Frage. Etwa Mohamed El-Khateeb: Zusammen mit seinen Kollegen und Kolleginnen der Initiative „HarassMap“ informiert er nicht nur über sexuelle Belästigung oder Gruppenvergewaltigungen. Beobachten die Aktivist/innen einen Übergriff in der Öffentlichkeit, versuchen sie die bedrängte Frau in kleinen Einsatzteams schnellstmöglich außer Gefahr zu bringen.

Den völkerrechtlichen Handlungsbedarf betonte schließlich Heide Serra von AMICA e.V. Man sei fast an dem Punkt, an dem man genug von den Willensbekundungen der internationalen Gemeinschaft habe, sagte sie. Zusätzlich zur Frauenrechtskonvention CEDAW rufen verschiedene Resolutionen des UN-Sicherheitsrats Konfliktparteien auf, Frauen vor sexualisierter Gewalt zu schützen und sie gleichberechtigt in Friedensverhandlungen und den Wiederaufbau einzubeziehen. Nun sei es an der Zeit, so Serra, das umzusetzen, was an politischem Willen bereits auf dem Tisch liege. Denn sonst – so drückte es eine Besucherin aus – bleibe das Völkerrecht ein „Papiertiger“.