Mexiko: Debatte um die Softdrink-Steuer

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Straßenverkaufsstand am Plaza de la República in Mexico-City

Der Gesundheitszustand der mexikanischen Bevölkerung zum Jahreswechsel 2013/2014 ist fatal. Laut Daten der „Nationalen Befragung zu Gesundheit und Ernährung 2012“ (Encuesta Nacional de Salud y Nutrición 2012) des Gesundheitsministeriums sind 71 Prozent der Erwachsenen und 34,4 Prozent der Kinder übergewichtig oder fettleibig. Heute sind bereits sechs Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner mit Diabetes Mellitus diagnostiziert, Tendenz steigend. Jede Stunde sterben acht Personen daran. Mexiko hat nach den USA die zweithöchste Prozentzahl an Fettleibigen weltweit. Als Präsident Enrique Peña Nieto am 31. Oktober 2013 die nationale Strategie zur Kontrolle von Übergewicht, Adipositas und Diabetes vorstellt, legt er alarmierende Zahlen vor: Sieben von zehn Erwachsenen sind übergewichtig, fünf von zehn haben Diabetes. „Angesichts der Epidemie von Übergewicht und Fettleibigkeit können wir nicht die Arme verschränken, weil es buchstäblich um das Leben von Millionen von Mexikanern geht.“, so Peña Nieto. Gleichzeitig konsumieren die Mexikaner/innen die meisten Softdrinks und zuckerhaltigen Getränke auf der Welt: laut Datamonitor 2009 163 Liter pro Person und Jahr. Auch das Essverhalten hat sich in den letzten 30 Jahren verändert; die traditionelle mexikanische Küche ist zeitaufwändig und heute werden hochkalorische Fertiggerichte und Junkfood immer beliebter. Wenn diese Tendenz anhält, werden die direkten und indirekten Kosten für das Gesundheitssystem im Jahr 2017 bei 150 Milliarden Pesos bzw. 8,4 Milliarden Euro liegen. Diese Ausgaben wird der mexikanische Staat kaum tragen können.

Von Seiten der Politik wurde in den letzten Wochen die Notbremse gezogen: Im Rahmen einer Steuerreform, die die Regierung von Enrique Peña Nieto am 8. September 2013 einbrachte und die von Senatorinnen, Senatoren und Abgeordneten in den darauffolgenden Wochen diskutiert wurde, soll auch das Problem des Übergewichts, der Fettleibigkeit und der Diabetes in Mexiko politisch in Angriff genommen werden. Nachdem der mexikanische Kongress am 9. Oktober einer Besteuerung zustimmte, wurden die neuen Regelungen am 31. Oktober auch vom Senat angenommen: Zuckerhaltige Erfrischungsgetränke werden ab dem 1. Januar 2014 mit einem Peso pro Liter besteuert, hochkalorische Produkte wie Fertiggerichte, Fast Food, Snacks, Sirup und Süßigkeiten mit mehr als 275 Kilokalorien je 100 Gramm mit einer acht-prozentigen Sondersteuer belegt (Impuesto Especial Sobre Producción y Servicios). Hinzu kommen Regulierungen für die Werbung für eben jene Produkte und neue Etikettierungsbestimmungen. Ein Label zur Etikettierung von gesunden Produkten soll einen Anreiz für die Industrie bieten, gesündere Produkte zu entwickeln und zu vertreiben.

Als komplementäre Maßnahme zur Besteuerung stellte der Präsident am 31. Oktober ein nationales Programm zur Kontrolle und Prävention von Übergewicht, Adipositas und Diabetes vor, die "Estrategía Nacional para Prevención y Control del Sobrepeso, la Obesidad y la Diabetes". Dieses Programm enthält drei Säulen, die gemeinsam eine integrale Strategie darstellen sollen: Die erste Säule besteht aus Präventionsprogrammen, Gesundheitsförderung, Sportprogrammen und der Förderung eines gesunden Lebensstils; die zweite Säule will mit der Eröffnung von Spezialkliniken und Früherkennungsprogrammen eine auf Diabetes spezialisierte medizinische Versorgung sicherstellen; die dritte Säule ist eine neue Steuerpolitik, mit der Steuern auf hochkalorische Nahrungsmittel und Softdrinks erhoben werden. Die Mittel, die so zusätzlich eingenommen werden, sollen ins Budget des Gesundheitssystems fließen und öffentliche Kampagnen finanzieren. Außerdem, so wurde am 14. November im Kongress festgelegt, werden 9,6 Milliarden Pesos bzw. 540 Millionen Euro für die Installation von Trinkwasserbrunnen an Schulen ausgegeben. Rund 60 Prozent der Schulen stellen bisher kein kostenloses Trinkwasser für ihre Schüler/innen zur Verfügung.

Mediales Kräftemessen zwischen Akteur/innen aus Industrie und Zivilgesellschaft

Von Expertinnen und Experten werden diese Maßnahmen als erster Schritt zu einer überfälligen Public-Health-Politik gewertet. Die Politiker/innen schwingen pathetische Reden, die Engagierten fragen sich jedoch, wie weit die Beschlüsse in ihrer Umsetzung gehen werden. Das Ergebnis der Debatten in Kongress und Senat war keinesfalls vorhersehbar. Den politischen Entscheidungen gingen Wochen und Monate öffentlicher Debatten, Diskussionen in den Medien und viel Lobbyarbeit voraus, an der sich Nichtregierungsorganisationen, Politikerinnen und Politiker, Vertretungsorganisationen der Industrie und Produzent/innen beteiligten. Die Plattform Alianza por la Salud Alimentaria, „Allianz für die Gesundheit der Ernährung“, und die darin vertretene NRO El Poder del Consumidor,Die Macht des Konsumenten“, – ein langjähriger Projektpartner der Heinrich Böll Stiftung Mexiko, Zentralamerika und Karibik, – haben sich für die Zivilgesellschaft in dieser Lobbyarbeit engagiert. Auf verschiedenen Medienkanälen schalteten sie Anzeigen und brachten in hunderten Metrostationen und an exponierten Orten in der Hauptstadt Plakate und Werbung an. Im Gegenzug machte die Getränke- und Zuckerindustrie weit über die Grenzen von Mexiko-Stadt hinaus unter anderem auf überdimensionalen Plakaten an Ausfallstraßen und mit bedruckten Bussen des öffentlichen Nahverkehrs in vielen Bundesstaaten auf sich aufmerksam. Auch an der "Glorieta de Insurgentes", einem der meistbefahrensten Kreisverkehre von Mexiko-Stadt, an dem täglich tausende Menschen per Metro und Bus vorbeikommen, thronte ein überdimensionales LED-Leuchtplakat der Getränkeindustrie mit lächelnden, jungen und dynamischen Menschen mit einem Getränk in der Hand.

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Wasser statt zuckerhaltige Erfrischungsgetränke: „Softdrinks sind süß, Diabetes nicht“ – eine Anfang September 2013 lancierte Kampagne der Alianza por la Salud Alimentaria. Bild mit freundlicher Genehmigung.

 

Während der heißen Phase des Diskurses, als in den Kammern des mexikanischen Parlamentes über eine mögliche Steuererhebung debattiert wurde, sah man plötzlich rot-schwarze Schilder in semiotischer Ähnlichkeit zur Cola-Industrie in mit der Überschrift „Dieses Geschäft und seine Kunden sagen NEIN zu einer neuen Besteuerung auf Softdrinks“ in kleinen Kiosken und im Einzelhandel aufleuchten, die darauf hinwiesen, dass vor allem kleine Geschäftsbesitzende unter einem Verlust leiden und finanziell daran zugrunde gehen würden. Gleichzeitig behaupten die gleichen Akteure der Lebensmittelindustrie, dass sich eine Erhöhung der Steuern auf Softdrinks überhaupt nicht auf das Konsumverhalten auswirken würde und man das Übergewichtsproblem der Bevölkerung so nicht bekämpfen könne.

Die Zuckerindustrie: „Jeden Tag ein bisschen Liebe“

Ein gewinnendes und zugleich äußerst gefährliches Argument bot die mexikanische Rohrzuckerindustrie. Mit den Slogans „Ein bisschen Liebe jeden Tag” und „Ein bisschen Freundschaft jeden Tag“ auf riesigen Plakaten suggerierte sie einen emotionalen Wert von Süßigkeiten und Zucker. Tatsächlich sind in Mexiko, wie auch anderswo, Süßigkeiten ein Zeichen von Zuneigung, Dankbarkeit und Aufmerksamkeit. „Süßes hat zweifelsohne einen hohen emotionalen Wert. Mit dem Zucker ist es wie in einem Spielzeugladen – Kinder müssen lernen, dass sie nicht alles haben können, auch wenn sie permanent davon umgeben sind. Sie müssen lernen, dass Zucker etwas Besonderes oder eine Belohnung ist“, so Kimber Stanhope, Ernährungsbiologin an der University of California. Mit dem Spruch El refresco es dulce, la diabetes no, – „Softdrinks sind süß, Diabetes nicht“ – , regte eine der Kampagnen der Alianza por la Salud Alimentaria die Mexikanerinnen und Mexikaner an, ihre Konsumgewohnheiten zu überdenken und auf zuckerhaltige Getränke zugunsten von Wasser zu verzichten.

„In Mexiko fehlt es weitestgehend an Verbraucherschutz, Aufklärung und unabhängiger Information für die Konsumenten“, so Rebecca L. Berner, Leiterin der Projektentwicklung von El Poder del Consumidor. Irreführend sei beispielsweise, dass sich auf Softdrinks oft Prozentangaben finden, wie viel vom „Tagesbedarf“ an Zucker im Getränk oder im Essen enthalten sind. „Es geht in diesem Fall nicht um eine Empfehlung für die Verbraucher, sondern um das Maximum an Zucker, das die Weltgesundheitsorganisation pro Person und Tag festgelegt hat.“, sagt Berner. In einer anderen Kampagne machte ihre NRO mit der Frage „Würdest du deinen Kindern 12 Löffel Zucker geben?“ auf den immensen Zuckergehalt in einer durchschnittlichen 600-ml-Flasche Softdrink aufmerksam. Die rund 70 Namen für Zucker versteckten zusätzlich, dass es sich tatsächlich bei Glukose-, Fruktose-, oder Maltosesirup, Saccharose, Dextrose, Invertzuckersirup und vielen anderen Bezeichnungen um ein und dasselbe Genussmittel handele. Die Industrie habe bisher keine Auflagen, wie viel Zucker in Produkten verwendet werden dürfe. Dies führe dazu, dass sich viele Konsumentinnen und Konsumenten gar nicht darüber bewusst seien, wie viel sie täglich zu sich nehmen.

Die Getränkeunternehmen: „No government in my kitchen“

„Die Epidemie an Übergewicht und daraus resultierende Probleme für die Gesundheit der Mexikaner erfordern einen radikalen Wandel im Verhalten der Bevölkerung, nicht höhere Preise für die Verbraucher“, erwidert hierzu Emilio Herrera Arce, Direktor des Nationalen Verbands der Erfrischungsgetränkeproduzenten (Asociación Nacional de Productores de Refrescos y Aguas Carbonatadas). Die von ihm vorgestellte Initiative „Conócete, Actívate, Equilíbrate“ („Erkenne dich, Komm in Schwung, Lebe ausgewogen!“) ruft die Menschen zu mehr Sport und Bewegung auf und benennt Übergewicht ein multifaktorielles Phänomen. Aus klassisch wirtschaftsliberaler Sicht appellieren Vertreterinnen und Vertreter der Industrie an die eigene Verantwortung der Konsumentinnen und Konsumenten, die sich nicht durch Politik und Steuern kontrollieren lassen und freie Entscheidungen treffen sollen.

Die Angst vor Bevormundung und Kontrolle durch den Staat ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Robert H. Lustig, Kinderarzt und Professor für Neuroendokrinologie an der University of California, benennt die andere: „Die Aussage 'No government in my kitchen' bezieht sich auf eine verständliche Sorge, allerdings ist klar, dass die Lebensmittelunternehmen dort längst angekommen sind!“ Bis in die letzten Winkel Mexikos, auf dem Land, in indigenen Dörfern, in den Bergen, überall sind kleine Flaschen mit zuckerhaltigen Getränken und in Plastik verpackte hochkalorische Nahrungsmittel angekommen. Man hört von jungen Müttern in ländlichen Gemeinden, die ihren Säuglingen Cola statt Muttermilch geben. Bis in die innersten Winkel des häuslichen Kühlschranks und in die alltäglich vollzogenen Praktiken der Mexikanerinnen und Mexikaner hinein sind die Unternehmen zu finden. Tatsächlich gibt es oft keine Alternative zum Konsum von Produkten der nationalen Monopolhersteller oder transnationalen Unternehmen. Und da das Leitungswasser meistens keine ausreichende Qualität hat, ist sogar der tägliche Trinkwasserkonsum von wenigen großen Getränkeunternehmen dominiert.

Billige Kalorien für die Armen?

In der öffentlichen Debatte wurde ebenfalls angeführt, dass arme Familien besonders stark von der Steuererhebung betroffen seien, da diese prozentual am meisten für Lebensmittel ausgeben. Dieser Umstand lässt sich nicht leugnen. Softdrinks und Junkfood, so die Herstellerfirmen, seien billige Kalorien, die die Menschen schließlich brauchten. Doch das ist laut Ernährungsexpert/innen ein gravierendes Missverständnis. Denn diese vermeintlich billigen Kalorien sind vielmehr „leere Kalorien“, die nichts zur ausgewogenen Ernährung des Körpers beitragen. Die in vielen Softdrinks à 600 ml gelösten zwölf Löffel Zucker absorbiert der menschliche Körper innerhalb von 20 Sekunden, da sie anders als beim Verzehr von Früchten oder Brot ohne Ballaststoffe direkt ins Blut aufgenommen werden. Das gibt zwar sofortige Energie, doch löst es auf Dauer mehrere gefährliche Prozesse aus: Der überschüssige Zucker wird zu Fett umgewandelt und setzt sich in der Leber und im Blut ab.

Auf lange Sicht ist das so genannte „metabolische Syndrom“ eine wahrscheinliche Folge: Fettleibigkeit, Bluthochdruck und Insulinresistenz. Das damit assoziierte Krankheitsbild der Diabetes zieht für die Betroffenen ein humanitäres Drama nach sich: Dialyse, Blindheit bis hin zu Amputationen. Die Fehl- oder Mangelernährung eines Großteils der Bevölkerung besteht oft nicht aus zu wenigen Kalorien, sondern aus zu vielen dieser leeren und gefährlichen Kalorien. „Es kommt trotz Übergewicht zu Mangelerscheinungen an Vitaminen und Mineralstoffen“ sagt Xaviera Cabada, Ernährungswissenschaftlerin bei El Poder del Consumidor. Hier trifft noch ein weiterer Faktor zu: die Ärmeren sind nicht nur von der Steuererhebung am stärksten betroffen, sondern auch verwundbarer für Übergewicht und Diabetes – und haben mit weniger Zugang zur medizinischen Infrastruktur zu rechnen.

Nachhaltige Landwirtschaft und lokale Infrastrukturen zur Ernährung der Bevölkerung

„Ein entscheidender Faktor für die Übergewichtsproblematik ist der kontinuierliche Abwertungsprozess der traditionellen mexikanischen Küche“, so Xaviera Cabada von El Poder del Consumidor. Sie schreibt auf der Internetseite eine wöchentliche Kolumne, in der sie ein praktisches, gesundes und günstiges Menü für jeden Tag vorschlägt und somit beweist, dass auch frische Produkte günstig sind und schnell zubereitet werden können. Im Garten des Büros der NRO El Poder del Consumidor in einem Stadtviertel im Süden von Mexiko-Stadt hat sie ein dreimal drei Meter großes Feld angelegt, auf dem sie Bohnen, Mais und Kürbisse anpflanzt. „Mexiko ist eines der wenigen Länder, das sich selbst ernähren könnte. Vor allem die mittleren Agrarproduzenten haben ein großes Potenzial, um zu einer nachhaltigen und gesunden Ernährung der mexikanischen Bevölkerung beizutragen.“, so sind sich Berner und Cabada einig. Die mexikanische Küche sei außerdem eine der ausgewogensten der ganzen Welt, abwechslungsreich und nahrhaft. Doch wie auch in vielen anderen Ländern, wandelt sich das Essverhalten hin zu prozessierten Fertiggerichten, die weniger Zeit und Aufwand bedeuten. Eine wichtige Rolle beim Thema Übergewicht spiele ebenso die Tendenz zur Dienstleistungsgesellschaft mit weniger körperlicher Arbeit, dafür mehr Sitzjobs und Computerarbeit. Auch in Mexiko sitzen die Kinder heute lieber vor Videogames oder dem Fernseher als draußen Fangen zu spielen.

Fortschritte von Staatsseite, fehlendes Bewusstsein der Konsument/innen

Am Ende der öffentlichen Debatte konnten sich die Lobbyist/innen der Industrie und der großen Nahrungsmittelkonzerne mit ihren Argumenten nicht durchsetzen. Ab Januar werden einige ihrer Produkte besteuert. Brian Smith, Direktor von The Coca-Cola Company Lateinamerika, sagte nach der Bekanntgabe der Steuererhöhung, dass sein Unternehmen zuckerfreie und zuckerreduzierte Produkte auf den Markt bringen und sich an den staatlichen Gesundheitsprogrammen beteiligen werde. Er spricht gar von einem bienestar integral, einem „integralen Wohlbefinden“, der Bevölkerung, an dem sich sein Unternehmen mit Sportprogrammen und Informationskampagnen beteiligen möchte. BIMBO, der mexikanische Marktführer und Monopolist bei Toasts und verpackten Backwaren, verkündete, sein Maskottchen, den BIMBO-Bären, auf Diät zu schicken und dabei die Zutaten in den Backwaren, speziell die bei Kindern beliebten Teigwaren, zu verändern. Diese Zugeständnisse sind zweifellos ein Resultat der Besteuerung und ihr erster Erfolg. Eine gefährliche „Nebenwirkung“ könnte entstehen, wenn Zucker in gesüßten Getränken oder Süßigkeiten etwa durch künstliche Süßstoffe wie Aspartam ersetzt wird, bei denen Schädigungen für den menschlichen Organismus nicht auszuschließen sind.

Die Reaktionen der Politik beweisen vor allem eines: Die absolute Dringlichkeit der Lage ist in der Politik angekommen. Das Zünglein an der Waage war sicherlich die Befürchtung der steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Noch immer ziert sich die Politik, die Getränke- und Nahrungsmittelproduzenten, die mit ihrer ständigen medialen Präsenz einen erheblichen Einfluss auf die Essgewohnheiten der Bevölkerung nehmen, als wichtige Mitverursacher des Übergewichtsphänomens zu nennen. Doch kann man aus den Diskussionen der vergangenen Monate ersehen, dass ein Problembewusstsein bei den Politikerinnen und Politikern entstanden ist und dass man die Unternehmen durch Besteuerungspolitik mit in die Verantwortung nehmen will.

Wichtig ist auch das politische Bewusstsein, dass es sich hier um mehr als ein individuelles Problem der Übergewichtigen handelt. Ähnlich vorhergehender Epidemien im 20. Jahrhundert, ist das Problem von Einzelnen bzw. einer marginalisierten Gruppe („den Dicken“) zum sozialen Phänomen geworden, das prinzipiell jede und jeden treffen kann und mit Mitteln der Politik zu bearbeiten ist. Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 hat die NRO El Poder del Consumidor gemeinsam mit der Plattform Alianza de la Salud Alimentaria maßgeblich zu diesem Verständnis beigetragen und das Thema Übergewicht und Ernährung im öffentlichen Diskurs platziert. Interessant ist, dass die NRO nicht Anführerin einer breiten Konsument/innenbewegung ist, sondern es sich vielmehr um eine verhältnismäßig kleine Gruppe von an Verbraucherschutz interessierten Akteuren der Zivilgesellschaft handelt. Leider mangelt es an einem maßgeblichen Element in Mexiko: der tatsächlichen Mobilisierung von Konsumentinnen und Konsumenten, die sich als Massenbewegung verstehen und politische Forderungen stellen, ähnlich der Arbeiter/innen-, Frauen- oder anderen sozialen Bewegungen. „Mexiko hat keine Konsumentenkultur.“, so der Direktor von El Poder del Consumidor, Alejandro Calvillo. Zwar hätten die Mexikanerinnen und Mexikaner laut Calvillo zum Teil eine ausgeprägte Kritikfähigkeit gegenüber den großen Nahrungsmittelkonzernen, allerdings fehle es ihnen noch immer an einem Bewusstsein ihrer Macht als Konsumentinnen und Konsumenten.

Für zukünftige „freie“ Konsumentscheidungen der mexikanischen Konsument/innen fehlt es also nicht nur massiv an Wissen, an Aufklärung und an gerechterem Zugang zu gesunden Grundnahrungsmitteln. Es fehlt auch am Bewusstsein, Konsumentin oder Konsument zu sein und das Konsumieren als politischen Akt wahrzunehmen. Die Maßnahmen der Besteuerung und Kampagnen, – der eine Peso pro Liter Softdrink –, sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die öffentliche Diskussion ist angeregt. Bis aber ein Bewusstseinswandel und ein Verständnis für die Notwendigkeit dieser Maßnahmen in den letzten Winkeln des Landes angekommen sind, werden sich in Mexiko noch viele Plastikflaschen mit sprudelnden Erfrischungsgetränken mit einem „Zisch“ öffnen.

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Links (auf Spanisch)

http://alianzasalud.org.mx/

http://www.elpoderdelconsumidor.org/