Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte in Zentralamerika

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Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, die vielfach in Frauenmorden gipfelt, ist weltweit ein gravierendes Problem. Sie ist Ausdruck massiver Verletzungen von Frauen-Menschenrechten. Trotz erfolgreicher Anstrengungen der internationalen Frauenbewegungen und Lobbyorganisationen, ein normatives Regelwerk zu ihrer Eindämmung und zur strafrechtlichen Verfolgung aufzubauen, gehört physische und psychische Gewalt weiterhin zu den Körper- und Rechtsverletzungen, die Frauen und Mädchen jeden Alters, jeder Nationalität, jeder Religions- und sozialen Zugehörigkeit betreffen kann. Im globalen Durchschnitt ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation jede dritte Frau von häuslicher und/oder sexueller Gewalt betroffen. Regionale Unterschiede verweisen auf einen besonders hohen Anteil betroffener Frauen in Südost- und Südasien, wo die systematisch angewendete Gewalt gegen das weibliche Geschlecht seit einem Jahrzehnt geradezu epidemische Ausmaße annimmt, und wo gerade in jüngerer Zeit einzelne Gewaltakte eine weltweite Medienaufmerksamkeit erlangt haben. Aber auch im Nahen und Mittleren Osten sowie in zentral- und südafrikanischen Ländern wird seit vielen Jahren ein permanent hohes, zeitweise anwachsendes Level an Gewalt gegen Frauen von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen gebrandmarkt. Eines der größten Hindernisse zur Überwindung dieser tief in der globalen Gesellschaft verankerten Inferiorität von Frauen (bzw. des nicht-männlichen Geschlechts) ist eine staatlich verordnete und gesellschaftlich akzeptierte Privatisierung des Problems, über die ganz offiziell der Mantel des Schweigens gelegt wird.

Mit den internationalen Medienberichten über die Frauenmorde in Ciudad Juárez an der nordmexikanischen Grenze seit Mitte der 1990er Jahre erhöhte sich auch die Aufmerksamkeit für die Situation in Mittelamerika. Regionale Studien, ebenso wie Länderporträts zeigen nun, dass nicht nur Mexiko, sondern de facto auch die gesamte Region Zentralamerika als ein Brandherd für die machistisch geprägte, geschlechtsspezifische Gewaltanwendung gegen Frauen gelten muss.

Eine Untersuchung der UN von Ende 2012 belegt, dass von den 44 Ländern weltweit, in denen das Phänomen bekannt und benannt wird, El Salvador den traurigen ersten Platz belegt, Guatemala an zweiter Stelle steht und Litauen an dritter.

Am internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, am 25. November 2011, gingen in den Hauptstädten zentralamerikanischer Länder mehrere Tausend Menschen auf die Straßen, um gegen die schwere häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu demonstrieren und die Straffreiheit der Täter ebenso wie die Untätigkeit des Justizwesens zu ächten. Allein im Jahr 2011 waren bis zu dem Aktionstag in Guatemala offiziell über 650 Frauen an den Folgen der Gewalt gestorben. Von 2001 bis 2010 starben hier über 5.900 Frauen an den Folgen häuslicher Gewalt oder aufgrund eines Tötungsdelikts. In Honduras waren es über 240, in El Salvador mehr als 400. Dabei muss die Höhe der Opferzahlen im Vergleich zur niedrigen Bevölkerungszahl von durchschnittlich fünf bis maximal sechs Millionen Menschen in den meisten der Länder auf dem Isthmus gesehen werden. Auch in den Ländern südlich des gewaltvollen „nördlichen Dreiecks“, in Nicaragua, Costa Rica und Panamá, fanden an diesem Tag Demonstrationen statt. Denn auch hier ist seit einigen Jahren ein Anstieg der häuslichen Gewalt gegen Frauen zu verzeichnen, die oft auch tödlich endet. Hinzu kommt eine erschreckende Zunahme von Tötungen, die sich gezielt gegen das weibliche Geschlecht richten, die femicidios oder feminicidios. Die nicht nur in Mexiko ansteigende Mordrate an Frauen durch Männer, die in den meisten zentralamerikanischen Ländern explizit staatlich geduldet und meist nicht bestraft werden, ist alarmierend.

In der wissenschaftlichen wie in der zivilgesellschaftlichen Debatte um Hintergründe, Ursachen und gesellschaftliche Verantwortungsstrukturen stehen sich zwei Sichtweisen gegenüber: In den besonders von Gewalt gekennzeichneten Ländern des nördlichen Dreiecks werden die Ursachen einer allgemeinen Gewaltbereitschaft, der hohen Kriminalitätsrate und den Drogenkonflikten zugeschrieben.

Menschenrechtsaktivist/innen und Frauenorganisationen sehen in dieser Begründung jedoch auch eine bewusste Vernachlässigung der Tatsache, dass die „entscheidende Ursache des Femizids [..] das noch immer von Macho-Denken und patriarchalischen Strukturen geprägte Rollenverständnis in den Gesellschaften der Region [ist]“. Anstatt Verantwortlichkeiten zu verlagern, versuchen engagierte AkteurInnen vielmehr, die Parallelen und die Zusammenhänge der strukturellen Gewalt in der Gesellschaft aufzuzeigen: die zunehmende spezifische tödliche Gewalt gegen Frauen einerseits und andererseits die Fortsetzung der sozialen Praxis des Krieges, die Kriminalität und Kriminalisierung von Jugendlichen, die Intersektionalität von Diskriminierung, die Indigene, rurale, arme Frauen und Menschen mit nicht-heterosexueller Identität (LGBTI) betrifft sowie nicht zuletzt die Kultur der Straflosigkeit, die in nahezu allen zentralamerikanischen Ländern zur Verharmlosung von Gewalt und Nicht-Verfolgung der Täter führt.

Zudem bewirken die derzeit restriktivsten Gesetze gegen Schwangerschaftsabbrüche Lateinamerikas, die in El Salvador und Nicaragua bestehen, dass gerade junge Frauen an den gesundheitlichen Folgen fehlender Versorgung und der mit dem absoluten Abtreibungsverbot einhergehenden Kriminalisierung leiden oder sogar sterben. Gesellschaftliche Geschlechterungleichheit manifestiert sich jedoch nicht nur in der Verweigerung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR), sondern auch in ökonomischen Zwängen (z.B. in der "Maquiladora"-Industrie) und in fehlender gesellschaftspolitischer Teilhabe und Mitbestimmung.

Vor dem Hintergrund dieser problematischen Entwicklung will die vorliegende Studie das erschreckende Phänomen einer manifesten geschlechtsspezifischen Gewalt in den zentralamerikanischen Ländern beleuchten und es in den jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang stellen. Dafür werden die jüngeren politischen und sozialen Entwicklungen in den sechs porträtierten Ländern kurz vorgestellt. In einem zweiten Teil werden auf der Grundlage der Informationen regionale Tendenzen analysiert und mögliche strategische Ansätze für zivilgesellschaftliche Akteure herausgearbeitet.

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Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
September 2013
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung
Seitenzahl
41
Inhaltsverzeichnis

Die Autorin

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

I. Zahlen, Daten, Fakten, Kommentare – Länderprofile aus zivilgesellschaftlicher Geschlechterperspektive
Guatemala
El Salvador
Honduras
Nicaragua
Costa Rica
Panamá

II. Geschlechtergerechtigkeit herstellen – Gewalt gegen Frauen bekämpfen. Fragen und Schlussfolgerungen für ein zivilgesellschaftliches Engagement in der Region

III. Schlussbetrachtungen: Thematische und strategische Zugänge

Anhang
Literatur
Links und Portale
Kommentierte Übersicht über thematisch relevante Akteursgruppen vor Ort

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