Südsudan: Kein Frieden ohne Politik

Mädchen hängt südsudanesische Flagge auf
Teaser Bild Untertitel
Mädchen mit der Flagge des Südsudan

Artikel als PDF downloaden


Die jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen im Südsudan, denen im ersten Monat vermutlich mehrere tausend Menschen zum Opfer fielen, markieren eine Zäsur in der jungen Geschichte des neuen Staates. Der Konflikt begann durch eine Schießerei zwischen unterschiedlichen Teilen der Präsidentengarde in der Hauptstadt Juba am 15. Dezember 2013 und breitete sich innerhalb weniger Tage in weiten Teilen des Landes aus. Dabei kam es zu einer Spaltung der Regierungsarmee Sudan Peoples Liberation Movement (SPLA) entlang zweier politischer Lager, von dem eines durch Präsident Salva Kiir, das andere durch den ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar geführt wird. Diese Dynamiken führten das Land in kürzester Zeit an den Rand eines Bürgerkrieges. Mindestens 400.000 Menschen sind auf der Flucht. Die seit Anfang des Jahres schleppend verlaufenden Friedensverhandlungen in Addis Abeba brachten am 23. Januar durch die Einigung auf einen Waffenstilstand die Aussicht auf eine Beilegung des Konflikts im noch so jungen Staat.

Der Südsudan war erst am 9. Juli 2011 als unabhängiger Staat gegründet worden, nachdem sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in einem Referendum für die Sezession vom Sudan ausgesprochen hatte. Die zugespitzte politische und humanitäre Krise zeigt, dass Statebuilding ein hohes Konflikt- und Gewaltpotenzial birgt. Dabei wird deutlich, dass ein erfolgreicher Prozess der Friedensförderung und Staatsbildung vor allem darauf angewiesen ist, wesentliche Fragen des politischen Zusammenlebens auszuhandeln.

Ursachen des Konflikts

Erste Meldungen und Berichte bezeichneten die Kämpfe zwischen unterschiedlichen Teilen des Militärs im Dezember 2013 zunächst als „fehlgeschlagenen Coup“. Damit folgten sie der Darstellung Präsident Salva Kiirs, der in einer Fernsehansprache am 16. Dezember verkündete, dass Soldaten, die loyal zum ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar stünden, versucht hätten, die Regierung zu stürzen. Diese Darstellung ist jedoch umstritten. Der mutmaßliche Auslöser der derzeitigen Krise war eine Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Fraktionen der Präsidentengarde. Mehrere Quellen geben an, dass es im Rahmen einer Demobilisierungs- und Entwaffnungsmaßnahme zu einer Schießerei zwischen einerseits Kiir und andererseits Machar loyalen Kräften gekommen sei. Dieser Version zufolge ordnete Salva Kiir die Entwaffnung der ihm nicht loyalen Teile dieser Garde an, gegen welche diese sich gewaltsam wiedersetzten. Die genauen Umstände sind derzeit jedoch nicht zu klären.

Fraglos ist jedoch, dass der entstehende bewaffnete Konflikt im Zusammenhang mit einer politischen Krise steht, die sich durch den Machtkampf zwischen unterschiedlichen Fraktionen innerhalb der Regierungspartei Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) entwickelt hatte. Diese Fraktionen formierten sich um den Präsidenten und Parteivorsitzenden Salva Kiir auf der einen Seite und um Riek Machar auf der anderen Seite. Machar übernahm dabei die Führungsrolle für eine parteiinterne Opposition, die sich im Verlauf des letzten Jahres in der Öffentlichkeit zeigte. Die Spannungen innerhalb der SPLM-Führung wurden durch eine Pressekonferenz in der Parteizentrale am 6. Dezember 2013 öffentlich gemacht, in welcher führende Mitglieder der SPLM Kritik an Kiir übten. Zu dieser Gruppe gehörten neben Machar und dem früheren Parteisekretär Pagan Amum auch Rebecca Nyandeng de Mabior, die Witwe des früheren Vorsitzenden der Partei, John Garang. Die Gruppe warf dem Präsidenten diktatorische Tendenzen vor, stellte tiefsitzende Differenzen innerhalb der SPLM-Führung fest, und forderte eine Reform der Parteistrukturen.

Die Vorwürfe der Opposition nährten sich aus Personalentscheidungen und einem zunehmend autoritären Führungsstil Salva Kiirs. Dieser hatte durch mehrere Dekrete die personelle Zusammensetzung der Regierungen auf nationaler Ebene und in den Bundesstaaten verändert und somit die Machtverhältnisse innerhalb des Landes beeinflusst, um eine stärkere Zentralisierung und Personalisierung von Macht im Amt des Präsidenten zu erwirken. Im Juli 2013 ordnete Salva Kiir die Umbesetzung des nationalen Regierungskabinetts an. Diese Maßnahme wurde offiziell mit der Notwendigkeit begründet, die Anzahl der Ministerien in Anbetracht der fortdauernden wirtschaftlichen Krise des Landes zu verringern; ein Schritt der grundsätzlich auch von internationalen Partnern begrüßt wurde.

Anlässlich der für das Jahr 2015 angesetzten Präsidentschaftswahlen kann die Umgestaltung des Kabinetts jedoch auch als Strategie verstanden werden, mögliche Kontrahenten entweder zu kooptieren, oder aus der Regierung – und damit vom Zugang zu staatlichen Ressourcen – und aus dem öffentlichen politischen Raum auszuschließen. So wurde beispielsweise Riek Machar aus dem Amt des Vizepräsidenten entlassen. Machar hatte zuvor öffentlich bekundet, in den für 2015 angesetzten Präsidentschaftswahlen für den Präsidentenposten zu kandieren. Wani Igga, der die gleichen Intentionen bekundet hatte, wurde stattdessen in das Amt des Vizepräsidenten berufen. Zudem hatte Salva Kiir bereits zuvor mehrere Gouverneure, darunter den Gouverneur von Unity State, Taban Denga Gai entlassen, um das Lager Machars zu schwächen.

Die politische Krise manifestierte sich zudem in der Lähmung der formellen Entscheidungsmechanismen innerhalb der Regierungspartei, begleitet durch einen zunehmend autoritativen und intransparenten Führungsstil Salva Kiirs. So wurde der für März 2013 geplante Parteitag der SPLM von Kiir kurzfristig zunächst auf Mai 2013 und dann auf unbekannte Zeit verschoben. Im November 2013 kam es innerhalb der Parteiführung zu einer Debatte darüber, ob die Gremien und Strukturen der Partei noch legitim seien. Durch mehrere öffentliche Äußerungen erklärte Kiir, die Parteistrukturen seien aufgelöst und begründete dies damit, dass Mitglieder der Parteiorgane durch einen Parteitag im Amt hätten bestätigt werden müssen. Da der Parteitag nicht abgehalten wurde, sei die Amtszeit der bestehenden Organe abgelaufen, so Kiir. Andere führende Mitglieder der Partei wiesen diese Interpretation zurück, und sahen darin vor allem eine Strategie Kiirs, wichtige Entscheidungen über die Zusammensetzung und Funktionsweisen der Parteiorgane ohne Konsultationen zu treffen. Sie forderten hingegen die sofortige Vorbereitung des Parteitags.

Ein Treffen des National Liberation Council (NLC) wurde schließlich für den 14. Dezember anberaumt. Die Vertreter der Opposition verließen das Treffen jedoch vorzeitig, und begründeten dies mit einem Mangel an politischem Dialog. Die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Teilen des Militärs begannen am Folgetag.

Riek Machar manövrierte geschickt indem er bereits wenige Tage nach Ausbruch der Kämpfe nicht nur der sich schnell formierenden Rebellenbewegung eine politische Stimme verlieh, sondern auch die Kontrolle über weite Teile der oppositionellen Kräfte übernahm. Der ehemalige Unity State Gouverneur Taban Deng vertritt derzeit die bewaffnete Opposition in den Verhandlungen mit der Regierung in Addis Abeba.

Die sich rasant verstärkenden Dynamiken der bewaffneten Gewalt lassen sich also nur durch den eskalierenden Konflikt innerhalb der politischen Elite nachvollziehen. Zwar manifestierte sich dieser Konflikt in erster Linie als Machtkampf zwischen unterschiedlichen Führungspersönlichkeiten. Jedoch liegen ihm auch unterschiedliche Vorstellungen über die politische Ordnung des Staates zu Grunde. Zwar müssen die Klagen der Opposition über den zunehmend autoritären Regierungsstil Salva Kiirs – zumindest hinsichtlich ihrer normativen Begründung in demokratischen Werten – mit Vorsicht betrachtet werden, denn viele Mitglieder der Opposition haben sich in der Vergangenheit durch ebenso autoritäre Regierungsstile ausgezeichnet. Jedoch ist die Zentralisierung der Macht in der Hand Weniger als ein übergeordneter Grund für die derzeitige Krise des jungen Staates zu sehen.

Welche Rolle spielt Ethnizität?

Berichte und Analysen greifen für die Erklärung der aktuellen Krise häufig auf Ansätze zurück, die die Rolle von ethnischen Zugehörigkeiten hervorheben. So wird häufig betont, dass Präsident Kiir der ethnischen Gruppe der Dinka angehöre, während Machar ethnisch ein Nuer sei. Die Gründe und Dynamiken des derzeitigen Konflikts lassen sich jedoch nicht einfach auf ethnische Konfliktlinien zwischen Dinka und Nuer reduzieren.

Die ursprünglichen Auseinandersetzungen unter der Präsidentengarde breiteten sich rasch unter weiten Teilen der Streitkräfte aus, wobei die übergreifenden ethnischen Zuschreibungen „Dinka“ und „Nuer“ als zentrales Entscheidungsmerkmal für die Kombattanten dienten. Mehrere Berichte legen zudem nahe, dass Regierungssoldaten und Rebellen Zivilisten gezielt anhand ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgen und töten. So attackierten Regierungssoldaten in den ersten Tagen der Auseinandersetzungen männliche Nuer und verübten mutmaßlich ein Massaker an 200 bis 300 Männern in Gudele, einem Stadtteil Jubas. Genauso wurden in Jonglei Zivilisten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt und attackiert. So griffen bewaffnete Jugendliche der Nuer beispielsweise einen Stützpunkt der Vereinten Nationen (VN) in Akobo an, um die dort schutzsuchenden Dinka zu verfolgen.

Durch solche Vorkommnisse besteht die Gefahr, dass sich die ethnische Logik des Konflikts verselbstständigt. Werden ethnische Zugehörigkeiten erst einmal als zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen Freund und Feind genutzt, so verstärkt sich die ethnische Dimension des Konflikts in der Regel von selbst, denn Kombattanten bedienen ethnische Kategorien in erster Linie als Präventionsstrategie: Aufgrund der Darstellung des Konflikts als „ethnisch“, zum Beispiel durch Berichte in Medien oder Gerüchte und Erinnerungen an frühere Konflikte, ist es rational, mögliche Bedrohungen anhand ethnischer Kategorien zu identifizieren. In einer solchen Situation scheint es oftmals sicherer, Mitglieder mutmaßlich feindlicher ethnischer Gruppen präventiv zu attackieren, als sich davon zu überzeugen, dass sie keine Gefahr darstellen.

Dabei spielt auch eine Rolle, dass in der jüngeren Geschichte Südsudans ethnische Zugehörigkeit als zentrales Unterscheidungsmerkmal diente, durch das Machtkämpfe innerhalb der politischen Elite dargestellt und interpretiert wurden. Nicht zuletzt wurde die Wahrnehmung politischer Marginalisierung von Teilen der Bevölkerung durch Schuldzuweisungen gegenüber einzelnen ethnischen Gruppen geprägt. So wurde zum Beispiel in nationalen und internationalen Medien oftmals auf die Gefahr einer „Dinka-Dominanz“ hingewiesen. Die engen Verknüpfungen zwischen ethnischer Zugehörigkeit, politischer Repräsentation, und bewaffneter Gewalt verfestigten sich bereits im Laufe des letzten Bürgerkriegs. So kam es zu einer Militarisierung von ethnischen Identitäten insbesondere nach dem Bruch innerhalb der SPLA im Jahr 1991, indem sich Riek Machar und Lam Akol von der von John Garang geführten Rebellenorganisation abspalteten. Deren Gefolgschaft teilte sich dann entlang regionaler als auch ethnischer Zugehörigkeit. In den folgenden Jahren kam es zu zahlreichen Kämpfen zwischen den beiden SPLA-Fraktionen und zu gezielten Tötungen und Massakern an Zivilisten auf Grundlage ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Das Massaker an Dinka-Zivilisten im November 1991 in Bor ist hierfür das bekannteste Beispiel.

Bemühungen zur Reform des Sicherheitssektors haben seit dem CPA von 2005 nur sehr geringe Erfolge erzielt. Die schwache zentrale Kontrolle der Streitkräfte wurde jüngst deutlich durch das rasche Überlaufen wichtiger Befehlshaber der SPLA in Jonglei. Zwar wurden seit dem CPA zahlreiche Milizen in die SPLA integriert, jedoch blieben die einzelnen Einheiten oftmals ihren militärischen Führern gegenüber loyal. Damit ist der Sicherheitsapparat weiterhin durch ein Patronagesystem charakterisiert, indem ethnische und regionale Identitäten eine wichtige Rolle spielen.

Bereits vor der jüngsten Krise gab es zahlreiche Hinweise darauf, dass die SPLA derzeit nicht in der Lage ist, die Sicherheit der gesamten Bevölkerung zu gewährleisten. Dafür ist auch die seit dem CPA andauernde Gewalt in Jonglei ein gutes Beispiel. In dieser Region fordern mitunter politische Vertreter der Murle eine stärkere Repräsentation dieser ethnischen Gruppe. Diese Forderungen wurden in den letzten Jahren durch wiederkehrende bewaffnete Konflikte zwischen den Murle und anderen ethnischen Gruppen überschattet. Diese Konflikte sind zumindest teilweise durch das fehlende Gewaltmonopol des Staates, sowie seine mangelnde Fähigkeit zu erklären, den Schutz und die ausgewogene Repräsentation der Bevölkerung, zu gewährleisten.

Als Reaktion auf die andauernde Gewalt unternahm die SPLA seit dem CPA mehrere Entwaffnungs- und Demobilisierungsmaßnahmen, bei denen die Armee ethnisch selektiv vorgeht. Beispielsweise ging die SPLA bei der Entwaffnung von ethnischen Murle in Pibor Country mit unangemessener Härte vor und beging dabei zahlreiche Menschenrechtsverletzungen.  Entwaffnungsmaßnahmen gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen verliefen im Vergleich wesentlich sanfter. Zudem gibt es glaubwürdige Berichte, wonach die SPLA ethnisch organisierte Milizen mit Munition versorgte und so Angriffe auf die Murle unterstützte oder eigenständig durchführte.  Diese Beispiele machen es plausibel, dass die SPLA von vielen Teilen der Bevölkerung nicht als neutral betrachtet wird. In Anbetracht der Schwäche des Sicherheitsapparates, die Bevölkerung unabhängig von ihrer ethnischen Identität zu schützen, ist es erklärbar, dass einzelne Teile alternative Strategien verfolgen, um ihren Schutz zu gewährleisten.

Keiner der Protagonisten hat jedoch offen die „ethnische Karte“ gespielt. Sowohl Riek Machar als auch Salva Kiir haben seit dem Ausbruch nicht zu einem Kampf gegen die jeweils andere Bevölkerungsgruppe ausgerufen und vermeiden es bei öffentlichen Aufritten tunlichst, die ethnischen Gruppe des jeweiligen Antagonisten pauschal als politischen oder militärischen Gegner zu identifizieren. Im Gegenteil: Die beiden Kontrahenten beschuldigen sich gegenseitig, zu ethnischer Gewalt anzustacheln, und nutzen so die Gefahr eines ethnischen Konflikts als Legitimierungsgrundlage für ihr eigenes militärisches Handeln. So drohte Kiir nach Ausbruch des Konflikts damit, eine Wiederholung des Bor-Massakers von 1991 nicht zuzulassen. Wenige Tage später beschuldigte Machar den Präsidenten, zu ethnischer Gewalt anzustacheln und „Tribalismus“ zu schüren. Durch ihre Argumentationsstrategie bleiben beide Parteien jedoch indirekt einer ethnisch orientierten Konfliktinterpretation treu, um die Anwendung von Gewalt zu rechtfertigen.

Auf poltischer Ebene kann ethnische Vielfalt im Südsudan jedoch kaum als Konfliktursache angesehen werden, denn im Machtkampf der letzten Monate bemühten sich die Hauptakteure um ein Kräftegleichgewicht unter den ethnischen Gruppen. Präsident Kiir beispielsweise achtete stets auf die Repräsentation der unterschiedlichen ethnischen Gruppen in der nationalen Regierung. Diese Strategie verfolgte der Präsident auch im Laufe der sich zuspitzenden Auseinandersetzungen, etwa bei der Neubesetzung der Regierung im Juli und August 2013. Als Dinka aus dem Bundesstaat Bahr el Ghazal förderte er beispielsweise die Repräsentation der Nuer aus dem Bundessstaat Upper Nile, sowie anderer ethnischer Gruppen aus den Equatoria Bundesstaaten, indem er Vertreter aus diesen Regionen in die zweit- und drittwichtigsten Regierungspositionen berief. Während der Präsident einige ethnische Dinka entließ, beispielsweise den Gouverneur für den Bundesstaat Lakes, Chol Thong Mayay, wurden neue Ministerposten innerhalb des Kabinetts mit Mitgliedern anderer ethnischer Gruppen besetzt. Relevant für die Berufung der neuen Regierungsmitglieder war somit mutmaßlich ihre persönliche Loyalität zu Kiir, als auch eine ausgewogene Repräsentation der einzelnen ethnischen Gruppen und Regionen. Zum Machtkampf kam es jedoch trotzdessen.

Statebuilding-Agenda

Die jüngsten Auseinandersetzungen machen auch eine Überprüfung des internationalen Engagements für die Friedensförderung und den Staatsaufbau notwendig. Der Südsudan erhielt dafür in den letzten Jahren umfangreiche Unterstützung von internationalen Gebern. Als gängiges Mittel stellten internationale Organisationen vor allem technische und finanzielle Unterstützung zur Verfügung. Diese zielt darauf ab, sogenannte „internationale Standards“ umzusetzen, beispielsweise beim Aufbau des politischen und wirtschaftlichen Systems oder der Justiz. Die internationale Gemeinschaft hat jedoch bereits vor geraumer Zeit erkannt, dass solcherlei externes Engagement oft dazu führt, dass die neuen Institutionen im betroffenen Land nur geringen Rückhalt genießen und deswegen nicht effektiv sind. Deswegen hat sie die Entwicklungszusammenarbeit in der Paris-Deklaration von 2005 zum Prinzip der nationalen Teilhabe verpflichtet. Dies ist besonders in Ländern wie dem Südsudan wichtig, denn die entstehende politische Ordnung ist auf den Rückhalt der Bevölkerung und ihrer Meinungsführer angewiesen, um den Frieden im Land gewährleisten zu können.

Beispielsweise unterstützen internationale Organisationen derzeit die Erarbeitung einer permanenten Verfassung. Dieser Prozess begann im Januar 2011 durch die Einsetzung der National Constitutional Review Commission (NCRC), aber verlief seitdem schleppend und ohne einen umfangreichen öffentlichen politischen Prozess. Zwar forderten und unterstützten mehrere nationale und internationale Organisationen einen öffentlichen Konsultationsprozess, durch den die Interessen der Bevölkerung in die neue Verfassung einfließen sollten. Die Regierung jedoch stimmte diesen Forderungen nur zögerlich zu und bevorzugte die Erarbeitung des Dokuments in einem kleinen Kreis von Experten und Regierungsmitgliedern.

In der Vergangenheit wurden Entwürfe von Verfassungs- und Gesetzestexten nach ihrer Fertigstellung oft ohne bemerkenswerte Änderungen durch das nationale Parlament gewunken. Allerdings haben es auch internationale Organisationen mit der Gewährleistung von nationaler Teilhabe oft schwer. Beispielsweise dann, wenn die von Interessenvertretern in Konsultationsprozessen vorgebrachten Vorstellungen nicht internationalen Standards entsprechen.

Wenn der Staatsaubau von technischen Experten und einer ausgewählten Gruppe von Regierungsmitgliedern dominiert wird birgt dies jedoch die Gefahr, die Entstehung eines „hohlen“ demokratischen Systems zu begünstigen. Zwar beharren internationale Partner auf der Berücksichtigung und natürlich auch auf der Umsetzung von demokratischen Standards. Jedoch muss sich die internationale Gemeinschaft die Frage stellen, welchen Wert diese Standards auf dem Papier haben, wenn sie nicht durch eine politische Klasse und eine breite Öffentlichkeit mitgetragen werden, die bereit ist, diese zu verteidigen. Die jüngste Krise deutet nun darauf hin, dass das institutionelle System des Staates sich nicht ausreichend gegen die Machtansprüche einzelner Individuen der politischen Elite behaupten konnte. Stattdessen hebelte der Präsident innerhalb von wenigen Monaten staatliche und parteiinterne Mechanismen aus, die eine friedliche Aushandlung von Interessen ermöglichen könnten. Zwar formierte sich in den letzten Monaten die Opposition innerhalb des Parteikaders und äußerte sich kritisch gegenüber der Demontage des politischen Systems. Jedoch sahen weite Teile der politischen Klasse der Demontierung der politischen Ordnung weitestgehend tatenlos zu. Erklärlich ist dies nur durch die geringe Teilhabe an den politischen Institutionen des Landes.

Internationale Akteure folgten bei ihrem Engagement außerdem dem Diktum, das Frieden vor allem auch durch wirtschaftliche Strukturen und durch menschliche Entwicklung zu erreichen sei. Dabei spielten vor allem Diskurse um bessere Dienstleistungen (Service Delivery) eine zentrale Rolle. Tatsächlich wurde die Verbesserung von Dienstleistungen seit dem CPA von internationalen Akteuren, politischen Eliten und zivilgesellschaftlichen Akteuren im Südsudan wie eine Zauberformel für die Friedensförderung beschworen. Diesem Paradigma liegt die Idee zugrunde, dass Frieden dann gewährleistet werden kann, wenn die Bedürfnisse der Bevölkerung von staatlichen und privaten Dienstleistern ausreichend befriedigt werden können. Die Joint Assessment Mission (JAM) der Weltbank und der Vereinten Nationen für 2005, auf deren Grundlage zahlreiche Interventionen geplant wurden, folgerte beispielsweise, dass mangelnde Entwicklung dieser Strukturen selbst ein Grund für Konflikte im Südsudan sei, und internationale Akteure deswegen dazu beitragen sollten, Friedensdividenden (peace dividends) bereitzustellen. Interessant ist, dass es zu dieser Annahme auch ein südsudanesisches Pendant gibt. Die Formel „Peace through Development“ prägte die politische Agenda der SPLM seit der Verfassung eines Programms mit gleichnamigen Titel in den späten 1990er Jahren, durch welchen sich die Partei frühzeitig an die Entwicklungsparadigmen wichtiger internationaler Organisationen wie der Weltbank anlehnte. Infolgedessen setzte sich im Südsudan die Meinung durch, Frieden sei durch die rasche Bereitstellung von Dienstleistungen und durch die Verbesserung der Lebensstandards der Bevölkerung erzielbar. Zweifel daran, dass schnelle Friedensdividenden eine nachhaltige Wirkung erzielen könnten, wurden jedoch bereits 2010 durch eine Evaluation der internationalen Zusammenarbeit durch die OECD bestätigt.  

Bemühungen auf die politische Dimension von Friedensförderung stärker einzugehen, zeichneten sich erst Ende 2013 im Rahmen der Verhandlungen über den „New Deal“ für den Südsudan ab. Das strategische Programm betont die Notwendigkeit von nationaler Teilhabe und langfristiger Planung, und unterstreicht den politischen Charakter von Transitionsprozessen wie dem im Südsudan. Die Unterzeichnung des New Deal verzögerte sich jedoch zunächst aufgrund der anhaltenden wirtschaftlichen Krise des Landes. Dieses Umdenken innerhalb der Gebergemeinschaft kommt für die jüngste Krise jedoch zu spät.

Nicht nur die Erwartungshaltungen an den Transitionsprozess sind enorm, das Ausbleiben von spürbaren Veränderungen hat mutmaßlich zu Missmut unter der Bevölkerung beigetragen, der sich nun für die Mobilisierung von Anhängern im gegenwärtigen Konflikt instrumentalisieren lässt. Dass sich Mitglieder der politischen Elite an den wirtschaftlichen Ressourcen des Landes bereichern ist seit geraumer Zeit bekannt. Allein im Zeitraum zwischen der Unterzeichnung des CPA und Juni 2012 verschwanden geschätzte vier Milliarden US-Dollar aus dem Haushalt des Landes; etwa ein Drittel der Öl-Einnahmen. Die anhaltend hohe Prävalenz von Korruption ist wohl ein wichtiger Erklärungsfaktor für die Dynamiken des derzeitigen Machtkampfs.

Fazit

Die derzeitige Krise im Südsudan zeugt von einem Dilemma. Unter internationalen Gebern wird der Aufbau und die Stärkung von staatlichen Strukturen allgemein als Mittel zur Friedensförderung angesehen. Die starke internationale Unterstützung, die die südsudanesische Regierung seit dem CPA erhalten hat, folgte diesem Paradigma. Jedoch zeigt sich nun, dass formelle Unabhängigkeit, sowie mehr Staat und mehr Entwicklung nicht gleichzeitig zu mehr Frieden führen.

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen brachten hingegen einen politischen Konflikt zutage, in dem die Machtkämpfe zwischen den Eliten lediglich ein Symptom für eine tiefer sitzende Problematik sind: Wesentliche Fragen, die das politische Zusammenleben im Südsudan betreffen, sind noch längst nicht hinreichend ausgehandelt.

Diesen Entwicklungen kann nur durch die Stärkung von politischen Prozessen entgegengewirkt werden. Auch dafür benötigt der Südsudan und seine internationalen Partner vor allem eins: Mehr Mut sich der politischen Dimensionen des Friedens zu widmen. Nur so können die Grundpfeiler einer politischen Ordnung gelegt werden, die nicht nur den Frieden stärkt, sondern auch wehrhaft ist. Nach dem in Addis Abeba erzielten Abkommen zur Beilegung der Kampfhandlungen besteht nun die Möglichkeit an einer Lösung des Konflikts zu arbeiten. Dabei sollte auch die Chance ergriffen werden, die Bemühungen um einen dauerhaften Frieden im Südsudan auf ein politisches Fundament zu stellen.