Zartes Hoffnungsschimmern

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spanische Protestierende
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Spaniens Jugend leidet sehr unter der Krise in ihrem Land. Doch die junge Generation gibt nicht auf

In der Hochphase der Euro-Krise war Spanien über Monate Schlagzeilenliebling der deutschen Medien. Mit enormer Staatsverschuldung, einer geplatzten Immobilienblase und enorm hoher Jugendarbeitslosigkeit gab es auch genügend Gründe für eine ausgiebige und bildstarke Berichterstattung. Über 15 Jahre lang, bis zur Finanzkrise im Jahr 2008, war Spanien das Wirtschaftswunderland Europas, und dann, mit einem Schlag, das Sorgenkind. Doch wie steht es heute um das drittgrößte Land Europas – und allen voran um seine, stark von der Krise betroffene, junge Generation?

Unsere Interviews in verschiedenen spanischen Landesteilen zeigten: Spaniens junge Generation ist besser ausgebildet als je zuvor, tut sich aber leider schwer, selbst aktiver Teil der nötigen Veränderungs- und Reformprozesse zu sein.

Größtenteils werden die Politik, die Wirtschaft, die EU für die eigene, ganz persönliche Situation verantwortlich gemacht. Die Kritik und ihr Adressat bleiben in vielen Fällen undeutlich und diffus. Auswandern scheint für viele die einzige Antwort auf die Krise zu sein. Flieht hier etwa die Zukunft Spaniens vor ihrer Verantwortung? Ganz so einfach und durchweg negativ ist es nicht. Hoffnung keimt. Es lohnt sich, die Lebensgeschichten junger Spanier, ihre Prägungen und Motive näher zu beleuchten.

Demokratie nicht gelernt

In zweierlei Hinsicht ist Spanien ein junges Land. Zum einen gibt es im Europavergleich eine relativ junge Bevölkerung, die Altersgruppe der 35- bis 39-Jährigen ist zahlenmäßig die stärkste, zum anderen ist Spanien erst seit knapp 40 Jahren ein demokratischer Staat.

Die Eltern der heute 18- bis 36-jährigen Spanier er- und durchlebten Jahre der Diktatur und der Entmündigung. Diese Zeit prägte das Land und die Nachwehen jener dunklen Stunden sind bis heute spürbar. Erst 1975, nach dem Tod Francos, begann der Demokratisierungsprozess, die sogenannte Trancisión.

„Wir üben noch, was es heißt, in einer Demokratie zu leben, sie zu gestalten und sich seiner eigenen Rolle darin bewusst zu sein“, beschrieb ein junger Student an der Universität in Madrid die Lage. Viele unserer Gesprächspartner sprachen davon, dass es ihnen noch nicht ganz klar sei, wie sie aktiver Teil von gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen sein können und ihre Interessen und Ideen nachhaltig vertreten und umsetzen können. Insbesondere in den Elternhäusern wurden die Fähigkeiten und das Basiswissen, die ein engagierter Demokrat und aufgeklärter Bürger benötig, selten bis gar nicht vermittelt. Die Schule konnte das nur teilweise kompensieren.

Viele junge Spanier, auch der größte Teil der Akademiker, erzählten ganz offen, dass sie sich nicht gewappnet fühlen und gar nicht wissen, wie sich Veränderung erreichen lässt. Als zu jung, zu wenig erfahren, zu unwissend beschrieben sie sich selbst. Viele trauen sich schlichtweg nicht zu, in die Politik zu gehen, eine Partei, NGO oder auch ein Unternehmen zu gründen. Doch es gibt klare Anzeichen, dass sich dies schrittweise hin zu mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verändert.

Keimendes Selbstbewusstsein

Die großen Jugendproteste im Jahr 2010 und 2011, die über lange Zeit auch die deutschen Medien beschäftigten, waren die ersten Früchte einer sich bildenden und sich emanzipierenden Zivilgesellschaft. Trotz aller oben beschriebener Selbstzweifel und der Distanz zur Politik. Eine junge Baskin berichtet dazu: „Zum ersten Mal spürten wir bei den damaligen Protesten, dass auch wir etwas verändern können. Das Gefühl war neu für uns.“

Zehntausende junge Menschen gingen damals auf die Straßen und taten ihren Unmut kund. Die Kultur der günstigen Kredite, Überschuldung und geschlossenen Machtzirkel wurde abgestraft. Als „Die Empörten“, nach Stéphane Hessels bekannter Streitschrift, betitelten sich die Demonstranten. Doch die Geschichte hat eine enttäuschende Wendung. Die Empörung fand ihren Weg nicht bis in das Parlament, bewirkte kaum Veränderung. Die Kritik wurde von der Regierung und der Öffentlichkeit als zu wenig präzise, nicht zielgerichtet abgestraft. Auch gab es aufseiten der „Empörten“ keine klaren Wortführer oder eine einheitliche Organisation.

Das Aufbegehren der Jungen scheiterte an ihrem Organisationsdefizit und der fehlenden Artikulation handfester Verbesserungsvorschläge. Die Bewegung zersplitterte zunächst, verlor an Einfluss und Kraft. Nach einer Zeit des inneren Sortierens formte sich im Jahr 2013 schließlich eine neue politische Kraft. „Die Empörten“ gründeten ihre eigene Partei, die „Partido X“. Sie will den Weg durch die Institutionen antreten und wird auch bei der Europawahl antreten. Ein klares Hoffnungssignal aus Sicht der Jungen – und auch für das ganze Land.

Hoffnung auf eine neue Partei

Doch ein großer Teil der jungen Spanier, so unsere Beobachtung, bleibt weiterhin politisch unbeteiligt und sieht wenig Hoffnung auf Verbesserung im eigenen Land. Es folgt der Rückzug in die Privatheit und die Fokussierung auf die Optimierung des eigenen Lebenslaufes. Mit Studiendoppelabschlüssen, Zusatzqualifikationen und Sprachkenntnissen will man die eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern, fit für die Konkurrenz auf den internationalen Märkten sein.

Doch all dies nützt recht wenig. Trotz leichter Erholung im ersten Halbjahr 2014, bleibt es für junge Spanier weiterhin schwer, einen Job zu finden. Die Jugendarbeitslosigkeit verharrt laut Eurostat weiterhin auf einem sehr hohen Niveau von 54 Prozent. Im Angesicht dieser Lage will die Mehrheit unserer Gesprächspartner nach der Schule oder Universität der spanischen Heimat den Rücken zuwenden, angefeuert von den Parolen der Medien, dass es sich schließlich bei ihnen um eine „Lost Generation“ handelt.

Viele suchen ihr Glück in anderen europäischen Staaten oder auch Mittelamerika. Das Goethe-Institut und auch Englischinstitute verzeichnen in Folge ein stark steigendes Interesse an Sprachkursen. Doch was geschieht perspektivisch mit einem Land, wenn es seine junge, gebildete und dynamische Generation zu einem großen Teil verliert? Die Innovationskraft und der politische Erneuerungswillen können leiden. Die Entwicklung ist trotz vieler positiver Signale immer noch besorgniserregend. EU-Hilfen können dabei nur ein Teil der Lösung sein. Nachhaltige Veränderung muss von innen kommen.

Viel Hoffnung liegt jetzt auf den Schultern der neuen Partei „Partido X“ und engagierten, jungen Vorstreitern, die mit Mut, Kreativität und Selbstbewusstsein ihren Altersgenossen ein Vorbild sind. Sie können die junge Generation inspirieren, anstiften, sich aktiv an Veränderungsprozessen zu beteiligen und weiterhin für Reformen im eigenen Land einzutreten.

Autor: Martin Speer. Dieser Artikel erschien bereits im The European am 20. März 2014.