Theaterpädagogische Praxis als politische Praxis: Implizite und explizite Praktiken des Politischen in der theaterpädagogischen Inszenierungspraxis
Auf bundesweiten Jugendtheaterfestivals und theaterpädagogischen Konferenzen wird in den letzten Jahren immer häufiger eine (wieder) zunehmende Politisierung von Jugendtheaterprojekten beschrieben. Was jedoch in den jeweiligen (Selbst-)Verständnissen von Projekten als „politische theaterpädagogische Projekte“ genau mit dem Begriff „politisch“ gemeint ist, wie seine Beziehungen zu Kunst und Pädagogik gedacht werden und welche Praktiken damit einhergehen unterscheidet sich und ist für die gegenwärtige Theaterpädagogik noch nicht systematisch beschrieben worden.
Mit meiner Dissertation setze ich an dieser Leerstelle an. Ich untersuche, welche Begriffe des Politischen Spieleiter_innen an sieben Berliner Theatern in ihrer Inszenierungspraxis implizit und explizit zugrunde legen und welche Praktiken damit einhergehen. Begriffe und Praktiken setze ich mit aktuellen Diskussionen um das Politische und Theorien der Theaterpädagogik in Beziehung und entwerfe darauf basierend eine Theorie politischer Praxis in der Theaterpädagogik.
Angelehnt an ein u.a. in den Cultural Studies, den Genderstudies und postkolonialen Theorien entwickeltes „weites“ Verständnis des Politischen verstehe ich jede kulturelle Praxis als eine Praxis, die sich in komplexen und dynamischen Beziehungen zu den hegemonialen Strukturen, in denen sie hervorgebracht wird, befindet. Sie wird so zu einem Feld der Signifikation, auf dem gesellschaftliche Bedeutung ausgehandelt wird. Entsprechend nehme ich an, dass theaterpädagogische Inszenierungspraxis politische Wirklichkeit in ständiger Wechselwirkung perfomativ hervorbringt. Theaterpädagogische Praxis kann dann als politische Praxis in einem spezifischen künstlerisch-pädagogisch strukturierten Setting mit bestimmten Rahmungen betrachtet werden. Von dieser strukturellen Politizität theaterpädagogischer Praxis ausgehend untersuche ich, welche konkreten „Praktiken des Politischen“ Spielleiter_innen beschreiben, um in ihren Projekten welche politische Wirklichkeit performativ hervorzubringen. Die beschriebenen Praktiken und deren Begründungen werden von mir theoretisch kontextualisiert und als Praxisimpulse für eine Theorie politischer Praxis in der Theaterpädagogik fruchtbar gemacht.
Einem solchen „weiten“ Begriff des Politischen stehen in der theoretischen Diskussion verschiedene „enge“ Begriffe des Politischen – verstanden etwa als ein spezifischer zu erreichender Zustand oder Moment z.B. der Unterbrechung oder des Widerstands – gegenüber. In meiner Untersuchung gehe ich davon aus, dass das Politische von den Spielleiter_innen, je nachdem, was sie im engeren Sinne unter ihm verstehen, in unterschiedlichen Bereichen der theaterpädagogischen Praxis mit unterschiedlichem Gewicht verortet wird. Vor diesem Hintergrund interessiert mich, welche verschiedenen spezifischen Wechselbeziehungen von Theater, Pädagogik und Politik je nachdem, in welchem Bereich der Praxis das Politische wie verortet wird, beschreibbar werden.
Methodisch verbinde ich in der Arbeit die Reflexion und Weiterentwicklung aktueller Theorien aus den Bereichen Theaterpädagogik, Theater- und Kulturwissenschaft, politische Theorie, Pädagogik und Philosophie mit einer qualitativen Untersuchung theaterpädagogischer Praxis. Die Verzahnung von theoretischer Analyse und Theorieentwicklung mit einer Befragung von Spielleiter_innen begründet sich aus der Annahme eines spezifischen Wissens theaterpädagogischer Praxis, das wichtige Impulse für die Entwicklung einer aktualisierten Theorie des Politischen in der Theaterpädagogik geben kann.