Ungeachtet von Kritik und Unruhen fanden am 29. Juni in Burundi Parlaments- und Kommunalwahlen statt. Der amtierenden Präsident stellt sich dann Mitte Juli zum dritten Mal zur Wahl, obgleich er damit gegen die Verfassung verstößt.
Politische Sackgasse und humanitäre Katastrophe
Seit Pierre Nkurunziza Anfang dieses Jahres ankündigte eine dritte Amtsperiode als Präsident anzustreben, stürzte Burundi in eine tiefe Krise. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts im Mai 2015 bekräftigte die Position des Präsidenten, doch Oppositionsparteien, zivilgesellschaftliche Gruppen, religiöse Autoritäten und eine Gruppierung innerhalb der Präsidentenpartei National Council for the Defense of Democracy–Forces for the Defense of Democracy (CNDD-FDD) sind gegen eine weitere Amtszeit.
Die gewaltsame Repression von Demonstranten durch die Polizei und die Bedrohung von Bürger/innen durch eine Milizengruppe, die Verbindungen zur Regierungspartei hat, haben zum Tod von mindestens siebzig Menschen geführt. Weitere achtzig Menschen wurden wegen Teilnahme an den Protesten verhaftet. Zudem sind im zweiten Quartal 2015 geschätzt etwa 100.000 Menschen aus dem Land geflohen. Besonders in Tansania, der Demokratischen Republik Kongo und in Ruanda – Länder, die die Flüchtlinge aufnehmen – bahnt sich eine regionale humanitäre Katastrophe an. Vor allem die Angst vor einem erneuten Bürgerkrieg könnte die Bemühungen um Stabilität im Gebiet der Großen Seen erheblich schwächen, da auch in den Nachbarländern Konflikte brodeln. Insbesondere in der Demokratischen Republik Kongo, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik und in Uganda. Schlimmer noch: möglicherweise militante ethnische Allianzen zwischen regimefreundlichen Gruppen in Burundi und der Hutu Miliz, die der Regierung Ruandas feindlich gegenübersteht und in der Demokratischen Republik Kongo angesiedelt ist, könnten die bestehenden Konflikte weiter anheizen.
Gegner des amtierenden Präsidenten Pierre Nkurunziza halten daran fest, dass dieser gemäß der Verfassung und dem Abkommen von Arusha[1], das im August 2000 zur Beendigung des seit 1993 wütenden Bürgerkriegs unterzeichnet wurde, zwei Amtszeiten erfüllt hat. Kandidiert er erneut, ginge es hier um eine dritte Amtszeit, was verfassungswidrig wäre. Die aktuelle Protestwelle, die sich um eine Bewegung gegen eine dritte Amtsperiode des Präsidenten formiert, bildete sich heraus und intensivierte sich nachdem der Präsident seine Pläne offiziell machte und er, neben anderen Kandidaten, die Freigabe durch die Nationale Wahlkommission (CENI) erhielt. Jedoch sind zwei zentrale Punkte beachtenswert. Erstens: Bereits 2012 zeigte sich, dass Präsident Nkurunziza Vorbereitungen für eine erzwungene dritte Amtszeit traf, als der politische Dialog zwischen Regierungspartei und Oppositionsführern scheiterte. Der Präsident, unterstützt durch eine schmale Basis in der Regierungspartei und der Armee, hat im Verlauf der letzten zwei Jahre die Unterdrückung der Opposition und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten aufrechterhalten, indem er versuchte die Opposition zu spalten und Oppositionskandidaten von den geplanten Wahlen auszuschließen. Zweitens werden Argumente über die Missinterpretation des vom Verfassungsgericht vorgebrachten Gesetzes inzwischen als Propaganda für Präsident Nkurunziza angesehen. Kernpunkt dieser Behauptungen ist die Beziehung zwischen dem Arusha Abkommen und der Verfassung Burundis. Rechtsfragen werden wohl durch Experten weiter untersucht werden, doch es besteht kein Zweifel daran, dass das Arusha Abkommen das Fundament des nation-buildings in Burundi nach dem Bürgerkrieg ist. Besonders bei der Suche nach Lösungen in dem momentanen politischen Stillstand muss es auch so behandelt werden.
Politische Lösung
Politischer Dialog ist der ideale Weg den Frieden in Burundi wieder herzustellen. Der Aufbau und die Agenda dieses Dialogs werden seinen Ausgang bestimmen. Schon 2012 ist der politische Dialog gescheitert und jüngste Versuche unter Federführung der UN schlugen nach dem Mord am Oppositionsführer Zedi Ferusi am 23. Mai 2015 fehl. Die Strategie muss angepasst werden. Erstens, sollten die Anstrengungen durch regionale und internationale Akteure eher gemeinschaftlich als hierarchisch organisiert sein. Die East African Community (EAC), die Afrikanische Union (AU) und die UN müssen zusammen arbeiten.
Dem Ansatz, der regional zuständigen EAC die Führung zu überlassen – wobei alle anderen Akteure nur „unterstützend“ eingreifen sollten – sollte nicht nachgegangen werden. Da diese regionale Nähe mit umfangreichen Einschränkungen in der Ausführung der Rolle des Friedenstifters einhergeht. Daher ist die direkte Beteiligung der UN plausibel, doch sie sollte in Verbindung mit den Bemühungen der EAC und AU stehen, möglicherweise unter einem gemeinsamen Banner einer internationalen Initiative für Frieden in Burundi. Zweitens, sollten die gemeinsamen Bemühungen von EAC, AU und UN zu engen Verbindungen mit den Bürgern Burundis führen, durch organisierte Gruppen und Gemeinschaften. Dies bringt ihnen nicht nur Erfahrungen aus erster Hand, sondern auch ein solides Fundament für die Arbeit internationaler Akteure und trägt zur Abwehr politischer Erpressung durch die Konfliktparteien bei.
Weiterhin müssen zwei kritische Punkte auf die Agenda des politischen Dialogs gesetzt werden: die Politik und Verfassungsmäßigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit der angestrebten dritten Amtszeit von Präsident Nkurunziza sowie die Verbindung zwischen dem Arusha Abkommen von 2000 und der Verfassung des Landes. Speziell sollte der Dialog wieder auf die gesellschaftspolitischen und konjunkturellen Programme der Übergangsperiode zurückkommen und Erfolge und Misserfolge in deren Umsetzung bewerten. Die Agenda für den politischen Dialog muss im weitesten Sinne gefasst werden, einschließlich aller spezifischen Themen, mit Argumenten für und gegen eine dritte Amtszeit und entsprechender Abwägung.
Zusammengefasst: die Friedenskonsolidierung in Burundi wird zwangsläufig mit einer Bewertung des Fortschritts der Staatsbildung basierend auf dem Arusha Abkommen einhergehen. Doch um die internen politischen und sozialen Einschränkungen zu untersuchen muss darüber hinausgegangen werden. Denn nur so kann man sich der Vision von nationaler Einheit, so wie sie zum Teil im Arusha Abkommen ausgearbeitet ist, nähern. Zugegeben, dringende Entscheidungen müssen kurzfristig getroffen und umgesetzt werden um die Gewalt zu beenden, die humanitäre Situation anzugehen, weitere Eskalationen zu vermeiden und gleichzeitig eine förderliche Umgebung für den politischen Dialog zu schaffen. Doch das ultimative Ziel ist die Verjüngung des nation-building Projekts in Burundi mit den kritischen Fragen, die sich aus der Geschichte und den gegenwärtigen Umständen des Landes ergeben. Dabei wird das burundische Volk offen miteinander über die Trennlinien sowie über individuelles und kollektives historisches Misstrauen und Ängste sprechen müssen. Dies kann nur gelingen wenn sich die Menschen innerhalb der Zivilgesellschaft organisieren und zwar außerhalb der durch die Konfliktparteien gebildeten politischen Strukturen.
Übersetzung: Isabel Stelling