Das Bleiwasser von Flint

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Zwei Einwohner Flints holen sich Wasserflaschen an einer Ausgabestelle

Die Stadt Flint in Michigan steht im Zentrum eines Umweltskandals um bleiverseuchtes Trinkwasser und wird zum Symbol für den schlechten Zustand der US-Infrastruktur, Diskriminierung und das Missmanagement der zuständigen Behörden.

Flint steht exemplarisch für den Niedergang ehemaliger Industriestädte im Mittleren Westen der USA. Der frühere Wohlstand der Stadt basierte auf einer einseitigen Abhängigkeit von großen Fabriken der US-Automobilindustrie. Eine fortschreitende Deindustrialisierung und die Schließung der meisten Fabriken ab den 1980er Jahren, unter anderem aufgrund der Verlagerung der Produktion ins Ausland, führte zu einem massiven wirtschaftlichen und sozialen Abstieg der Stadt.

In den letzten 50 Jahren verlor Flint die Hälfte seiner Einwohner/innen, weite Teile der Stadt wurden zu Brachland, es gibt einen Mangel an öffentlicher Infrastruktur und öffentlichem Nahverkehr, und die Armuts- und Kriminalitätsrate ist eine der höchsten des Landes. 2011 wurde bereits zum zweiten Mal innerhalb einer Dekade der finanzielle Notstand für Flint ausgerufen, sprich: Die Stadt konnte ihre finanziellen Verpflichtungen nicht mehr bedienen. Damit wurden die zentralen Entscheidungen über die Verwaltung und den Haushalt der Stadt in die Hände eines vom Gouverneur berufenen Notverwalters gelegt.

Seit einigen Wochen steht die Stadt nun im Mittelpunkt der Medienberichterstattung in den USA. Es geht um mit Blei verseuchtes Trinkwasser, Versagen und Vertuschung der zuständigen Behörden und einen der schwersten Umweltskandale der jüngeren US-Geschichte. Was ist passiert?

Blei im Trinkwasser

Der Notverwalter von Flint entschied Anfang 2014, als Trinkwasserquelle für die Stadt auf den örtlichen Fluss zurückzugreifen, anstelle der bisherigen Anbindung an das Trinkwasser der Großstadt Detroit. Damit sollten 5 Millionen US$ eingespart werden. Gleichzeitig wurden dem stark verschmutzten Wasser des Flusses nicht die notwendigen Chemikalien beigemischt, um eine Korrosion der Wasserleitungen zu verhindern. Die unmittelbar darauf folgenden Proteste der Bewohner/innen der Stadt wurden von allen zuständigen Behörden ignoriert oder verharmlost. 18 Monate lang beklagten die Betroffenen die Farbe und den Geruch des Wassers, welches bei vielen zu Hautproblemen und Haarausfall führte. 18 Monate wurde versichert, das Wasser sei harmlos und sicher.  Erst im Herbst 2015 wurde der Druck auf die zuständigen Behörden zu groß, nachdem eine Kinderärztin eine deutlich erhöhte Konzentration von Blei im Blut von Kindern nachgewiesen hatte.

Mittlerweile sind mehrere zuständige Mitarbeiter/innen der Umweltbundesbehörde EPA zurückgetreten. Der Gouverneur Michigans hat sich förmlich entschuldigt. Aber die Folgen sind kaum absehbar. Tausende Kinder sind aufgrund des bleiverseuchten Wassers womöglich dauerhaft gesundheitlich geschädigt. Auf unbestimmte Zeit sind alle Bewohner/innen von Flint auf Wasserlieferungen angewiesen. Die Kosten für die Stadt und den Bundesstaat werden immens sein. Seither hat sich eine intensive politische Debatte entsponnen, welche mehrere Themen berührt, die weit über Michigan hinaus auf breite Resonanz stoßen.

Einsparungen ohne Rücksicht auf soziale Folgen

Viele Bürger/innen fühlen sich in ihrem geringen Vertrauen in staatliche Institutionen bestätigt. Und das in einem politischen Klima, in welchem ohnehin alles Etablierte als korrupt und dysfunktional gebrandmarkt wird. Das Ansehen etablierter demokratischer Institutionen, vom Parlament über die Regierung bis zur freien Presse, ist auf einem Tiefpunkt der jüngeren US-Geschichte. Dieses tiefsitzende Misstrauen gegenüber etablierten und mächtigen Akteuren ist es auch, welches das Recht auf privaten Waffenbesitz zu einem solch aufgeladenen politischen Thema macht. Schon hat eine lokale Bürgerwehr angekündigt, sich selbst um Sicherheit und Ordnung in Flint zu kümmern.

Gleichzeitig ist Flint ein Symbol für ein konservatives Politikmodell, welches öffentliche Haushalte wie die Budgets von Unternehmen behandelt. Kürzungen öffentlicher Haushalte werden hier oftmals mit einem ausschließlichen Blick auf kurzfristige Einsparungen und Effizienzsteigerung vorgenommen, ohne die langfristigen sozialen und gesellschaftlichen Folgen und Kosten zu berücksichtigen. Der republikanische Gouverneur von Michigan, Rick Snyder, ist ein Musterbeispiel dieser Politik.

Debatte über Umwelt-Rassismus

Die Leidtragenden sind in diesem Fall, wie zumeist bei solchen Umweltskandalen die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft. Im Falle von Flint kommt der Vorwurf des Rassismus hinzu, da die meisten Einwohner der Stadt schwarz sind. Dies führt derzeit zu einer Renaissance der Debatte über „Umwelt-Rassismus“ und „Umwelt-Diskriminierung“. Diese Begriffe wurden in den 1980er Jahren entwickelt für die Tatsache, dass Schwarze und Ärmere weit überproportional von verschmutzter Luft, Wasser und Erde betroffen sind.

Nicht zuletzt ist die Katastrophe von Flint ein weiteres Anzeichen für den beklagenswerten Zustand der US-amerikanischen öffentlichen Infrastruktur. Wie in den ganzen USA sind viele Wasserleitungen in Flint über 100 Jahre alt. Die Brookings Institution in Washington, DC schätzt den Bedarf von Investitionen alleine für die Reparatur von Wasserleitungen auf 1 Billion US$ in den nächsten 25 Jahren. Die Notwendigkeit von Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, vom Strom- und Straßennetz über Brücken und den Schienenverkehr, ist eine altgemein anerkannte Tatsache. Und dennoch geschieht bislang wenig, unter anderem aufgrund der polarisierten politischen Debatte, die parteiübergreifende Haushaltsverhandlungen stets zu einem Kraftakt macht. Daran wird wohl auch die breite öffentliche Diskussion um das verseuchte Trinkwasser von Flint wenig ändern.

Die einzigen, welche sich bislang kaum an der Debatte um Flint beteiligt haben, sind die republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Umweltprobleme und Behördenversagen scheinen nicht in ihre Agenda zu passen, zumal wenn, wie in diesem Fall, ein weißer republikanischer Gouverneur für die Katastrophe in einer überwiegend schwarzen, armen und demokratisch dominierten Stadt verantwortlich zu sein scheint.