Mensch-Tier-Verhältnisse in der Milchkuhhaltung in Deutschland: Eine genealogische Analyse
Mensch-Tier-Verhältnisse, insbesondere jene, die mit der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung in Zusammenhang stehen, haben sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und anderen westlichen Industrienationen zu einem Ausgangspunkt für gesellschaftliche Kontroversen und politische Konflikte entwickelt. Milchkonsum und Milchkuhhaltung werden ebenfalls verstärkt öffentlich debattiert und verdienen aus diversen Gründen besondere Aufmerksamkeit: Neben der Klimabilanz von Milch und Milchprodukten, die bezogen auf den Konsum in der Europäischen Union einen rund 1,5 Mal höheren Anteil an der globalen Erwärmung haben als Rindfleisch (Fußnote 1), sind dies auch agrarpolitische Problemkomplexe, die beispielsweise mit der Liberalisierung des europäischen Milchmarktes oder mit Fragen globaler Verteilungsgerechtigkeit in Zusammenhang stehen. Nicht zuletzt wirft die Milchkuhhaltung auch Fragen der Tiergerechtigkeit auf.
Die Stoßrichtung des Projekts ist eine zweifache: Im Zentrum der Arbeit steht die empirische Analyse gegenwärtiger und historischer Diskurse zu verschiedenen Untersuchungszeiträumen sowie die Analyse des Netzwerks von Diskursen und nicht-diskursiven Praktiken, die sich im Dispositiv der Milchkuhhaltung verbinden. Dabei wird eine genealogische Analyse der für die Milchkuhhaltung in Deutschland bedeutsamen Wissensfelder vorgenommen, die sich an Michel Foucaults Konzeptionalisierung von Genealogie als ein kritisches Instrument zur Analyse von Macht/Wissen-Relationen orientiert. Die Kontrastierung der historischen mit den gegenwärtigen Diskursen verspricht interessante Forschungsergebnisse über die sich wandelnden gesellschaftlichen und politischen Mensch-Tier-Verhältnisse. Auf der methodischen Ebene wird hingegen das Ziel einer speziessensiblen und anthropozentrismuskritischen Weiterentwicklung der Foucault'schen Diskurs- und Dispositivanalyse verfolgt, um Mensch-Tier-Verhältnisse mit diesen Instrumentarien adäquat analysieren zu können. Ich stelle mir in meiner Dissertation die Fragen, (1) wie sich das gegenwärtige Wissen über Milchkuhhaltung historisch herausgebildet hat, (2) wie sich die Diskurse in institutionellen und weiteren nicht-diskursiven Praxen wie Gesetzestexten sowie in den Körpern der Tiere materialisiert haben und (3) welche Diskursverschiebungen es im Untersuchungszeitraum gab. Schlussendlich möchte ich damit die Frage (4) beantworten, welche Bedeutung die Entwicklung des Wissensfeldes, dessen Materialisierungen und die Veränderungen in den diskursiven Formationen für die gegenwärtige Milchkuhhaltung in Deutschland haben. Die Erkenntnisse sollen Aufschluss über die vorherrschenden politischen und gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse in Deutschland geben.
1 Vgl. Weidema, B. P. / Wesnæs, M. / Hermansen, J. / Kristensen, T. / Halberg, N. (2008): Environmental Improvement Potentials of Meat and Dairy Products, hrsg. von Peter Eder und Luis Delgado für die Europäische Union, online einsehbar unter: http://ftp.jrc.es/EURdoc/JRC46650.pdf, letzter Zugriff: 30. Januar 2016.