Antivivisektionismus und Antifeminismus im Deutschen Kaiserreich (1871-1914) in vergleichender Perspektive
Der Tierversuch, zeitgenössisch als Vivisektion bezeichnet, erregte als eine der ersten Debatten um das Verhältnis von Ethik und Wissenschaft öffentliche Aufmerksamkeit. Die deutsche Antivivisektionsbewegung war männlich dominiert: Obwohl Frauen etwa ein Drittel der zahlenden Mitglieder in den antivivisektionistischen Vereinen stellten, blieben sie von öffentlichen Auftritten oder Publikationen weitgehend abgeschnitten.
Auf männliche Gegenwehr stießen die Aktivistinnen, wenn sie ihre zeitgenössische Geschlechterrolle zu verlassen drohten: Der Kampf um den Erhalt männlicher Vormachtstellung wurde auch über die Frage des Tierschutzes ausgetragen. Die Antivivisektionsbewegung führte tierrechtliche und antifeministische Bestrebungen personell und programmatisch zusammen und schloss die Diskussionsobjekte –Frauen und nichtmenschliche Tiere – konsequent aus dieser Debatte aus.
Dennoch muss auch die deutsche Antivivisektionsbewegung als Chance zur Etablierung emanzipativen Handelns verstanden werden. Inwiefern und aus welchen Gründen diese ungenutzt blieb, ist zu untersuchen – in England legt die personelle Verflechtung zwischen Tierschutz- und Suffragettenbewegung diese Entwicklungsmöglichkeit nah.
Die männlich geführte Diskussion über Rechte und Schutzbedürfnis „der Anderen“ offenbart Unterdrückungsmechanismen und Herrschaftsansprüche, die auf dualistischen Hierarchien beruhen. Dies wirft die Frage nach Parallelen der Verhältnisse Mensch-Tier und Mann-Frau auf. Analog zum Geschlechterverhältnis wird dabei auch die Grenze zwischen Mensch und Tier als Konstrukt hinterfragt.
Die Untersuchung geht davon aus, dass sich eine Analyse des deutschen Antivivisektionismus von einem rein philosophischen und institutionsgeschichtlichen Ansatz lösen und insbesondere die Frage nach einem Begründungszusammenhang zwischen dem Engagement in der deutschen Antivivisektionsbewegung und der zeitgenössisch konstruierten sozialen Differenzierung der Geschlechter stellen muss.