2016 hat die Heinrich-Böll-Stiftung ihr Büro in Kolumbien eröffnet. Seitdem arbeitet sie schwerpunktmäßig mit Akteur/innen der kolumbianischen Zivilgesellschaft zu den Themen Umwelt- und Ressourcenschutz, Energie und Klima sowie zu Demokratieförderung, Menschenrechten, Gender und Frieden.
Nach dem Wahlsieg des Linkskandidaten Gustavo Petro am 19. Juni 2022 steht Kolumbien vor einem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel. Sechs Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens, hat zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine progressive Regierung die Macht erlangt. Die Erwartungen und Herausforderungen sind enorm. Der Kampf gegen die gestiegene Armut im Zuge der Pandemie und hoher Inflation, die Klimakrise sowie ein umfassender Frieden, der auch die andauernde Gewalt krimineller bewaffneter Gruppen im Land, auch gegen soziale Aktivist*innen, Menschenrechts- und Umweltverteidiger*innen, beendet, zählen dabei zu den größten Herausforderungen für den neuen Präsidenten.
Ökologie und Nachhaltigkeit
Flächennutzung und Ressourcenabbau
Kolumbien zählt weltweit zu den Ländern mit der größten Biodiversität und ist reich an Bodenschätzen. Neben Öl, Gas und Kohle verfügt es über Gold-, Kupfer- und Nickelvorkommen. Erstere sind in Zeiten der globalen Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, letztere für die notwendige Energiewende sehr begehrt.
Bei den Entscheidungen über den Rohstoffabbau und die Raumplanung werden aber die Konsultationsrechte der lokalen Bevölkerung immer wieder eingeschränkt oder verletzt. So z.B. durch die Ausweisung von Flächen als wirtschaftliche Sonderzonen, die von besonderem nationalen Interesse sind. Diese Vorgehensweise, zusammen mit dem Interesse der Vorgänger-Regierung, extraktive Großprojekte voranzutreiben, führten zu einer Verschärfung sozial-ökologischer Konflikte in den Regionen. Präsident Petro hat dagegen angekündigt, die Selbstbestimmungs- und Beteiligungsrechte von Gemeinden und Minderheiten stärken zu wollen und statt Bergbau auf eine Förderung der nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Landwirtschaft und Nahrungsproduktion zu setzen.
Energie- und Klimapolitik
Kolumbiens exportorientierte Wirtschaft ist bisher stark vom Öl-, Gas- und Kohleexport abhängig. Dennoch sollen bis 2030 die CO2-Emmissionen halbiert werden und bis 2050 soll das Land CO2-Neutralität erreichen. Petro will Fracking verbieten und keine neuen Öl- und Gaslizenzen mehr vergeben. Statt dem Öl- und Kohleabbau sollen Landwirtschaft und erneuerbare Energien gefördert werden. Die Energiewende soll in einem Zeitraum von zwölf Jahren umgesetzt werden. Angesichts hoher Rohstoffpreise im Zuge des Ukrainekriegs und der Suche europäischer Staaten nach neuen Lieferanten, um von russischen Rohstoffen (Öl, Gas, Kohle) unabhängig zu werden, ergeben sich damit für Kolumbien große wirtschaftliche und politische Herausforderungen.
Außerdem stellt sich die Frage, wie die Energie- und Rohstoffwende für Kolumbien als Rohstofflieferant (Gold, Kupfer und Nickel etc.) ohne negative soziale Auswirkungen gelingen kann. Die Kontroversen über die Produktion und den Export von Wasserstoff machen deutlich, dass ein Umstieg auf saubere Energien die Sorge vor neuen sozial-ökologischen Konflikten verstärkt.
Wasser-, Wind- und Solargroßprojekte führten in der Vergangenheit zu neuen Konflikten, weil sie v.a. in politisch wenig repräsentierten, indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden geplant und implementiert wurden. Bestehende soziale Ungleichheiten, Armut, Gewalt und Korruption wurden verschärft. Daher ist eine kritische Auseinandersetzung zu den Folgen der Energie- und Rohstoffwende unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen dringend geboten.
Sozial-ökologische Transformation und Gemeingüter
Vor dem Hintergrund der Klimakrise und der Energiewende gilt es auch, sich mit Fragen und Lösungsansätzen für einen nachhaltigen Umgang mit Gemeingütern (Wasser, Wald sowie sauberer Luft in den Städten) auseinanderzusetzen. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, Bewegungen und Initiativen haben Vorschläge für eine sozial-ökologische Transformation und einen gemeinwohlorientierten Umgang mit Gemeingütern entwickelt, die in gesellschaftspolitischen Debatten und bei politischen Entscheidungen eingebracht werden sollen.
Demokratie und Menschenrechte
Politische Beteiligung von Frauen
Mit den Parlamentswahlen ist der Anteil von Frauen im Kongress auf knapp 30 Prozent gestiegen. Um auch die Beteiligung der Frauen bei den Regionalwahlen 2023 und feministische Perspektiven in Politik und Gesellschaft weiter zu verankern gilt es, gesellschaftspolitisch aktive Wortführer*innen auf lokaler und regionaler Ebene zu stärken. Insbesondere mit dem Verfassungsgerichtsurteil von 2022 zum Schwangerschaftsabbruch erfolgte eine weitere Liberalisierung, die allerdings nun auch in der Praxis effektiv umgesetzt werden muss. Dabei wird es wichtig sein, gesellschaftliche Diskriminierungen abzubauen. Neben der Stärkung sexueller und reproduktiver Rechte von Frauen bleibt der Kampf gegen sexualisierte Gewalt eine weitere Herausforderung.
Schutz für Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen
Kolumbien bleibt weltweit das gefährlichste Land für Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen. Sie werden von illegalen bewaffneten Gruppen bedroht und attackiert, ohne dass staatliche Institutionen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz ergreifen. Insbesondere in den ländlichen Regionen des Landes ist das Risiko für sie besonders hoch. Auch die Polizeigewalt gegen Demonstrierende im Rahmen der sozialen Proteste von 2021 haben nochmals deutlich gemacht, dass Reformen im Polizei- und Sicherheitssektor dringend erforderlich sind.
De-Facto Mächte, Korruption, Kampf gegen Straflosigkeit
Der Einfluss von Machtgruppen auf politische Entscheidungsprozesse und staatliche Institutionen ist groß und schwächt die Garantien eines demokratischen Rechtsstaats. Das Misstrauen der kolumbianischen Bevölkerung gegenüber staatlichen Institutionen und demokratischen Prozessen ist groß. Bewaffnete kriminelle Gruppen, Unternehmer*innen und korrupte Politiker*innen nutzen ihre Machtpositionen bei extraktiven Projekten und anderen Investitions- und Entwicklungsmaßnahmen. Daher ist eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Strukturen, Netzwerken und Funktionsweisen sowie ihrem Einfluss auf politische Prozesse eine Voraussetzung für die Stärkung demokratischer Strukturen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei unabhängigen Medien mit Investigativjournalist*innen bei der Aufdeckung von Korruption und der Manipulation demokratischer und rechtsstaatlicher Prozesse zu.
Eröffnungsjahr:
2016
Leitung:
Evelyn Hartig
Kontakt:
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