Alternativer Nobelpreis 2017 an Khadija Ismayilova

Hommage

Die Journalistin Khadija Ismayilova erhält den Alternativen Nobelpreis für „Mut und Beharrlichkeit“ bei der Bekämpfung von Korruption. Ismayilova berichtet seit Jahren kritisch über die autokratische Regierung in Aserbaidschan. Sie deckte unter anderem die Verwicklung von Präsident Ilham Aliyev in Korruptionsskandale und Menschenrechtsverletzungen auf. Auch im September 2017 wurde sie für ihren investigativen Journalismus in Vancouver, Kanada, mit dem "Allard-Preis für Internationale Integrität" ausgezeichnet. Bereits 2016 erhielt sie den "Guillermo Cano-Preis für Pressefreiheit der UNESCO" und wurde in die BBC-Liste der 100 bekanntesten Frauen der Welt aufgenommen.

Khadija Ismaiylova

Welchen Weg musste Khadija gehen, um die renommierteste Journalistin Aserbaidschans  zu werden?

Radio Liberty: Redaktion Baku

Im Frühling und Sommer 2009 organisierte das Regionalbüro Südkaukasus der Heinrich-Böll-Stiftung eine Diskussionsreihe in Baku. Mehrere bekannte Intellektuelle, Mitglieder der Jugendbewegungen und Fachleuchte bekamen die Möglichkeit, die Situation im Land öffentlich zu diskutieren. Die erste Diskussion fand im Vorfeld des Referendums statt, das am 18. März 2009 durchgeführt wurde und bei dem es um Ergänzungen und Änderungen der Verfassung ging. Das war ein Schlüsselmoment, der wichtigste Schritt des autoritären politischen Regimes Aserbaidschans zur Stärkung seiner Positionen. Unter anderem handelte es sich um eine Änderung der Verfassung, die die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Wahlperioden abschaffen würde.

Khadija, die damals die Redaktion in Baku des Senders Radio Liberty leitete, kritisierte vehement die passive Einstellung der Bürger zu solchen wichtigen politischen Ereignissen. Sie sprach darüber, dass Jugendorganisationen diejenigen Strukturen waren, die die Fragen einbringen mussten, was „wir heute und hier machen können“. Die Jugendaktivisten müssten alle möglichen Kommunikationsmittel nutzen, um ihren Ideen Gehör zu verschaffen und denjenigen Menschen Alternativen zu bieten, die die Orientierung und Hoffnungen auf positive Veränderungen verloren haben.

Im Juni gleichen Jahres wurden im Rahmen einer durch die Stiftung organisierten Diskussion die geplanten Veränderungen im Gesetz zur Tätigkeit der Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen besprochen. Khadija sprach über die akuten Probleme der „sich schließenden Gesellschaft“, in der das politische Regime eine maximale Kontrolle über die Bevölkerung anstrebt und dabei äußere Kontakte sowie Besuche von Ausländern im Land verhindert und das Migrationsgesetz komplizierter macht.

Das sind nur zwei Beispiele der öffentlichen Tätigkeit der Journalistin. Wichtig ist nicht nur ihre Teilnahme an solchen Diskussionen, sondern auch die Tatsache, dass sie ein Mensch ist und bleibt, der sowohl in seinem beruflichen öffentlichen Tätigkeit als auch im tagtäglichen Leben zivilgesellschaftlich aktiv und engagiert ist. Sie ist nicht passiv, sie kämpft weiter gegen Autoritarismus mit allen ihr persönlich zugänglichen Mitteln, sogar wenn es scheint, dass man keine Kräfte mehr hat, um der staatlichen Maschine zu widerstehen. Bei jeder Gelegenheit vertritt sie öffentlich die Notwendigkeit der Entwicklung des Landes in eine demokratische Richtung.

Verhaftung und Freiheitsstrafe

Schließlich kämpft sie gegen die Korruption nicht nur als Berufsjournalistin, sondern auch in ihrem täglichen Leben. Man könnte denken, es ist nichts Schwieriges dabei. Aber eine solche Lebensweise in einem Land, in dem die Korruption alle Schichten und Institutionen betrifft, bedeutet eine Kampfansage an die Machthaber, die eine maximal dichte Kontrolle über die Gesellschaft anstreben, auch mittels Verwicklung jedes Bürgers in Korruptionssysteme.

Die Machthaber griffen zu verschiedenen Mitteln, um auf Khadija Druck auszuüben.  Sie erpressten sie in zynischer Weise unter anderem, indem sie ihr androhten, Videoaufnahmen von Intimszenen aus ihrem privaten Leben öffentlich zu machen.  Khadija knickte nicht ein und arbeitete auch nach dem öffentlichen Skandal weiter.

Khadija ging das Risiko ein, die Korruption an der Spitze der Machtpyramide – in der Familie des Präsidenten – zu recherchieren. Die Ergebnisse ihrer Nachforschungen zeigten überzeugend, wie tief verwurzelt diese Krankheit ist, die das Regime Aserbaidschans befallen hat. Die Machthaber konnten einen solchen Ungehorsam nicht verzeihen: Die Journalistin wurde im Dezember 2014 verhaftet. Das Gerichtsverfahren und die Ermittlungen dauerten monatelang; erst im September 2015 hat das Regime, das Khadija mit entsprechenden Beweisen der Korruption bezichtigte, sie wegen Steuerhinterziehung, Geldunterschlagung und illegalen Geschäften zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt .

Während der langen Monate ihrer anderthalbjährigen Haft kämpfte sie weiter. Sie schrieb Briefe aus dem Gefängnis, in denen sie alle engagierten Bürger des Landes aufforderte, den Mut nicht zu verlieren, optimistisch zu bleiben und an die Möglichkeit der Veränderung zu glauben. Dieses persönliche Beispiel und der Appell von Khadija, die in den schwierigsten Situationen nicht aufgab, wurden im ganzen Land beachtet. Ungeachtet aller Bemühungen des Regimes, die Journalistin zu marginalisieren, sie des Verrats der nationalen Interessen und „der unzüchtigen Lebensweise“ zu beschuldigen, wurde Khadija zu einer Dissidentin, die von vielen Bürgern Aserbaidschans verehrt wird.

Wieder frei

Nachdem die Machthaber Khadija eineinhalb Jahre im Gefängnis festhielten, sahen sie sich gezwungen, sie freizulassen. Der Journalistin zufolge war der Druck der internationalen Gesellschaft zu stark . Sie verließ das Gefängnis mit einem Lächeln, obwohl das kein Urlaubsort war, und feierte einen erneuten Sieg über das korrupte Regime.

Sie war wieder bereit ihre Recherchen fortzusetzen, persönlich und mit rechtlichem Beistand, ihr Recht auf Gerechtigkeit zu verteidigen und ihr Strafverfahren beim Europäischen Gericht für Menschenrechte untersuchen zu lassen, sowie ihre beruflichen Nachforschungen zur Korruption im Land weiter zu führen.

Im Rahmen des internationalen „Projekts der Recherchen im Bereich der organisierten Kriminalität und Korruption“ (OCCRP) entstand ein nach ihrem Namen benanntes Projekt, in dem ca. hundert Journalisten tätig waren . Das letzte spektakuläre Ergebnis der Tätigkeit des OCCRP-Projekts war die Aufdeckung der „Landromat“-Affäre – eine Recherche, an der Khadija persönlich teilnahm. Nach den Angaben der offiziellen Website des Projekts war das „“Landromat“ Aserbaidschan“ ein kompliziertes Geldwäschemodell, im Rahmen dessen über vier in Großbritannien angemeldete Schattenfirmen innerhalb von zwei Jahren 2,9 Milliarden Dollar flossen .

Wille zur Freiheit

Diese Affäre war noch ein Beweis dafür, dass in der heutigen Welt die Korruption in einem Land, das das Wohlergehen vieler anderer Länder bedrohen kann, dieses Phänomen grenzübergreifend ist, und dass die Arbeit einer aserbaidschanischen Journalistin eine internationale Resonanz haben kann.

Auch heute, nach ihrer Freilassung, ist Khadija immer noch in ihren Rechten beschnitten. Fünf Jahre lang darf sie das Land nicht verlassen. Sonderdienste überwachen sie und versuchen, ihre Arbeit zu verhindern. Deswegen hat ein Kollege von Khadija, Kenan Aliyev, den Preis in Vancouver in Empfang genommen. Wahrscheinlich wird es so auch bei der Übergabe des alternativen Nobelpreises ablaufen.

Allerdings zeigen alle Bemühungen des Regimes, die Freiheit der Journalistin zu begrenzen, wieder einmal, dass es machtlos ist; sie sind nur erneute Beweise dafür, dass es unmöglich ist, die innere Freiheit des Menschen zu begrenzen. Khadija ist längst zum Symbol des erfolgreichen Widerstands gegen die autoritäre staatliche Maschine geworden, und die Machthaber können das nicht mehr ändern.  

Der Artikel ist eine Übersetzung aus dem Russischen.