Das Gesetz misstraut Frauen

Interview

Ulle Schauws ist frauen- und queerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Im Interview mit Heide Oestreich spricht sie über die Neuregelung des §219a.

Der Paragraph 219a: Ein Foto von Ulle Schauws

Frau Schauws, die Koalition hat eine Ergänzung des Strafrechtsparagrafen 219a verabschiedet, der Ärzt*innen bisher verboten hat, über Abtreibungen öffentlich zu informieren oder dafür zu werben. Nun wird Ärzt/innen erlaubt, auf ihre Homepages zu schreiben, dass sie Abbrüche anbieten. Aber kein Wort mehr. Die Ärztin Kristina Hänel, deren Verurteilung dieses Verfahren angestoßen hat,  hat das als "Null-Nummer" bezeichnet. Sehen Sie das auch so?

Das ist ein restriktives Gesetz, das krampfhaft versucht, den geraden Weg, nämlich die Streichung des Paragrafen 219a, zu umgehen. Dabei ist ein sogenanntes Werbeverbot bereits in der Berufsordnung der Ärzte geregelt. Aber nun werden Ärzt/innen weiter kriminalisiert, wenn sie Patientinnen über ihre Leistung informieren. Die Union war aus rein ideologischen Gründen nicht bereit, diesen Zustand zu beenden.

Man könnte pragmatisch sagen: Hauptsache, die Information ist nun erlaubt. Problem gelöst.

Das Problem ist nicht gelöst. Der Fall Kristina Hänel kann sich wiederholen. Kristina Hänel hat auf ihrer Internetseite ja darüber informiert, dass sie Abbrüche durchführt und dazu erklärt, was eine Frau wissen muss, wenn ein Abbruch ansteht. Die Koalition verbietet Ärzt/innen, das zu tun und verweist auf anonymisierte Infos bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Das ist absurd. Es müsste der Regierung doch daran liegen, das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin und Patientin zu stärken und nicht zu schwächen. Das Gesetz misstraut Ärzt/innen, es misstraut Frauen, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen - und zwar grundlos.

Wären Sie anstelle der SPD, was hätten Sie getan?

Hätte ich einen einstimmigen Beschluss der Fraktion, einen fertigen Gesetzentwurf und klare Signale aus meiner Partei, wie die SPD sie hatte, dann wäre ich bei der Bedingung geblieben, dass §219a nicht Teil der Koalitionsabsprache wird. Die Zusage hatte die SPD von der Union bereits. Unerklärlich, warum sie ohne Not dahinter zurückgegangen ist. Andrea Nahles hat das leider getan.

Der Konflikt wäre dann später entstanden. Hätte die SPD lieber keine Lösung als diese anstreben sollen?

Die SPD hätte ja sogar noch die Möglichkeit gehabt, zum Beispiel unserem Gesetzentwurf, der die Abschaffung des 219a vorsieht, zuzustimmen. Sie hätte die Abstimmung nur freigeben müssen, den Fraktionszwang aufheben.

Die CDU sagt, das wäre das Ende der Koalition gewesen.

Es läge ja in der Hand der CDU, ob sie die Koalition wegen so einer Frage beenden möchte. Ich glaube, das möchte sie nicht. Aber wer die Debatte so führt, als ginge es um Abtreibung und nicht nur um das Informationsverbot, der muss dem Koalitionspartner zugestehen, es als Gewissensfrage abzustimmen. Doch seit Monaten bleibt es bei dem schrecklichen Schauspiel, dass da heißt: Die SPD knickt ein. Das kritisieren wir aufs Schärfste. Die Debatte um den 219a wurde in der Gesellschaft breit geführt - und die Meinung ist bis hin zu den Gewerkschaften ziemlich einhellig.

Die Konservativen haben, wie Sie sagen, beschworen, dass wer den Paragrafen 219a bearbeitet, auch den Paragrafen 218 in Frage stellt, die Abtreibungsgesetzgebung. Das tun ja auch viele: Die Streichung des 218 wird auf Demonstrationen gefordert, sie steht auch im Parteiprogramm der Grünen. Nun wurde geunkt, dass Sie Abtreibungen bis zur Geburt legalisieren wollen. Was eine Mehrheit für unerträglich halten dürfte.

Das ist ein rhetorisches Horrorszenario der Konservativen. Natürlich gehört Familienplanung nicht ins Strafrecht. Das sind wir Grünen ganz klar. Aber die Debatte, was stattdessen kommen könnte, wird bei uns ganz differenziert geführt. Von Freigabe des Abbruchs bis zur Geburt kann überhaupt keine Rede sein.

Die Jusos haben neulich einen Beschluss gefasst, der offen ließ, bis wann eine Schwangerschaft abgebrochen werden könnte.

Ja, weil auch sie dazu noch keine weiteren Regelungen formuliert haben. Das heißt aber nicht, dass der Abbruch nicht mehr geregelt wird. Auch wir haben dazu noch keine Beschlüsse.

Nach 50 Jahren Abtreibungsdebatte gibt es dazu keine Idee?

In diesen 50 Jahren sind wir nicht einmal in die Nähe einer Abschaffung des Paragrafen 218 gekommen. Zur Wahrheit gehört, dass das Verfassungsgericht jeden Vorstoß in diese Richtung verhindert hat. Insofern erübrigten sich weitere Planungen.

Wie geht es nun weiter?

Diese Bundesregierung hat der Frauenbewegung eine bittere Niederlage bereitet. Ich kann es nicht ganz fassen. Das geht auf das Konto der Union. Aber die SPD, in der erstmals eine Frau an der Spitze steht, geht bei einem so symbolträchtigen Thema in die Knie. Und nun? Ärzt/innen müssen Patientinnen umfassend informieren dürfen. Es gibt ein Recht auf Information. Wir hoffen, dass das Verfassungsgericht den Frauen dieses Recht wieder zugänglich macht.