
Der Dokumentarfilm „Auch sie hatten Träume. Geschichten von dagestanischen Frauen“ ist Aishat Magomedova gewidmet, die sich Zeit ihres Lebens für dagestanische Frauen engagierte. Die Gynäkologin gründete die NGO „Liga zum Schutz von Müttern und Kindern“, eine der ersten Nichtregierungsorganisationen Dagestans. Ebenso betrieb mit Spendengeldern über 15 Jahre lang das „Wohltätige Krankenhaus für Frauen“. Der Film ist auf Russisch mit Englischen Untertiteln.

„Why do women have to carry heavy loads on their backs? Why don’t you men help them?“ fragt Aishat Magomedova freundlich, aber bestimmt einen jungen Dorfbewohner in den Bergen Dagestans. “Men don’t do it. It’s just the way things are“, antwortet er lächelnd. Aishat Magomedova gibt nicht auf und fragt nach: „But how can you change it?“. Der junge Mann antwortet: „You can’t change it – it’s impossible – because that’s our heritage“. Aishat Magomedova wiederholt nachdenklich, aber weiterhin freundlich: „Heritage, it is, but it’s hard for women. They give birth, they have it hard, don’t they?” „Our women are strong“, behält der Mann das letzte Wort.
Der Dialog entstammt Archivaufnahmen, vermutlich aus den 90er Jahren, die der Regisseur Aleksandr Fedorov in seinem berührenden Dokumentarfilm „Auch sie hatten Träume. Geschichten von dagestanischen Frauen“ integriert hat. Der Film ist Aishat Magomedova gewidmet, die sich Zeit ihres Lebens für dagestanische Frauen engagierte.
Magomedova engagiert sich unermüdlich für die Vergessenen
Aishat Magomedova war eine in Dagestan/Russländische Föderation angesehene Gynäkologin, die mehrere Jahre die gynäkologische Abteilung im Staatskrankenhaus leitete. Mitte der 90er Jahre beschloss sie, sich außerhalb der staatlichen Strukturen um diejenigen zu kümmern, die von allen vergessen wurden – um Frauen aus den Bergen Dagestans, um Flüchtlinge aus Tschetschenien und um Kinder.
Dazu gründete sie zunächst 1993 die NGO „Liga zum Schutz von Müttern und Kindern“, eine der ersten Nichtregierungsorganisationen Dagestans. Ein Jahr später schlug das Gesundheitsministerium der Liga vor, die Überreste der ehemaligen Kinderklinik im Zentrum Makhachkalas, der Hauptstadt Dagestans, zu übernehmen.
In diesem verfallenen Gebäude gründete Aishat Magomedova zusammen mit anderen Gleichgesinnten das „Wohltätige Krankenhaus für Frauen“, das sie über 15 Jahre ausschließlich auf der Grundlage von Spenden aus Dagestan und der ganzen Welt sowie von Fördergeldern ausländischer Organisationen aufbaute und leitete. Aufgrund ihres weit über die medizinische Hilfe hinausreichenden Wirkens und Engagements ist Aishat Magomedova 2005, als eine von 1000 Friedensfrauen weltweit, für den Friedensnobelpreis nominiert worden.
Ein Ort für Frauen an dem sie Schutz und Hilfe finden
Das Frauenkrankenhaus in Makhachkala war ein einzigartiger Ort, wo Frauen Zuflucht sowie kostenlose medizinische Hilfe finden und sich etwas erholen konnten. Es waren insbesondere Frauen aus den medizinisch schlecht oder unterversorgten Bergregionen Dagestans sowie Flüchtlinge des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges.
Im Krankenhaus, das nur 20 Betten zählte, wurden im Laufe der Jahre etwa 6.000 Frauen stationär und etwa 40.000 Frauen ambulant behandelt. Immer wieder brach Aishat darüber hinaus mit ihren Helferinnen auf und besuchte an Not und Krankheiten leidende Menschen in den Bergregionen oder in den Flüchtlingslagern.
Mehrere Jahre lang schaffte es Aishat Magomedova, mittels Spenden und Fördergeldern medizinische Geräte und Arzneimittel zu erwerben, die stationären Kranken zu ernähren, Steuern und Kommunalausgaben zu entrichten sowie reguläre Löhne an Ärzte und Krankenschwestern zu zahlen. Sie sagte dazu bescheiden: „Es ist nichts Besonderes. Uns hat der Allmächtige geholfen. Durch gute Menschen.“* Sie freute sich über das Wunder eines jeden Neugeborenen, über jede an Leib und Seele genesene Frau.
Die Behörden und Krankheit erschweren Magomedova das Engagement
Aber es gab auch Menschen, denen ihre wohltätige Einrichtung im Zentrum Makhachkalas ein Dorn im Auge war, denn das Krankenhaus befand sich auf einem Grundstück von 1.460 qm, dessen Wert von Jahr zu Jahr stieg. Von 2000 an versuchten die öffentlichen Behörden, der Liga das Krankenhaus wegzunehmen, indem sie behaupteten, das Gebäude werde illegal besetzt gehalten. Außerdem unterhalte die illegale Liga Kontakte zu tschetschenischen Kämpfer/innen.
Mehrere Jahre wehrte sich Aishat Magomedova – ohne die Arbeit im Krankenhaus zu unterbrechen – juristisch, trat bei Gerichtsverhandlungen vor verschiedenen Instanzen auf und versuchte zu beweisen, dass das Krankenhausgebäude der Liga für eine unbefristete Nutzung übergeben worden war.
Fast zeitgleich wurde sie selbst von verschiedenen Krankheiten heimgesucht. Sie kümmerte sich aber leider nicht um die eigene Genesung, sondern weiterhin um die der anderen sowie um den Erhalt ihres „Kindes“: des Krankenhauses. Erst Ende 2008 verstand sie, dass es Zeit sei, sich etwas mehr um sich selbst zu kümmern und begab sich in Behandlung.
Ende 2009 war sie soweit genesen, dass sie in beschränktem Maße die Arbeit fortsetzen konnte. Im November 2009, nach unzähligen Gerichtsverhandlungen, Treffen und Medienberichten, hat die Regierung der Republik Dagestan das Krankenhaus dennoch in ein anderes Gebäude verlegt.
Aber Aishat Magomedova gab nicht auf: noch einige Tage vor ihrem Tod entwickelte sie neue Initiativen und plante, z. B. mit Partnerinnen aus Kabardino-Balkarien, gemeinsame Projekte. Umsetzen konnte sie diese nicht mehr. Im Dezember 2010 ist sie im Alter von nur 66 Jahren verstorben.
Ein Leben geführt für ein besseres Leben für alle Frauen
Zeit ihres Lebens nutzte Aishat Magomedova die wenigen für Frauen zur Verfügung stehenden Freiräume der patriarchal geprägten Gesellschaft Dagestans, um neue Möglichkeiten für Frauen zu schaffen. Sie, die selbst keine eigene Familie gegründet hatte, sorgte für andere Frauen, deren Leben von schwerster Sorgearbeit im Haushalt und in der Landwirtschaft geprägt war.
Sie verstand es, mit Hilfe von kleinen Tricks Frauen mehr Schutz und Freiraum in ihrem Krankenhaus zu gewähren als in ihrer gewohnten dörflichen Umgebung. So erzählte sie z. B. den Männern, egal ob es stimmte oder nicht, dass ihre Ehefrauen ein Frauenleiden hätten und zur Behandlung mehrere Tage im Krankenhaus bleiben müssten.
Dies verstanden und akzeptierten die Männer und widersprachen nicht. Warum es Aishat Magomedova so wichtig war, dagestanischen Frauen, insbesondere denjenigen aus den hoch in den Bergen gelegenen Dörfern zu helfen, versteht man besser, nachdem man den Film Aleksandr Fedorovs „Auch sie hatten Träume“ gesehen hat.
Der Film folgt den Spuren von Aishat Magomedova
Der Filmregisseur verbindet geschickt Archivbilder aus den 90er Jahren und alte Fotos mit seinen eigenen Filmaufnahmen aus der heutigen Zeit, die er in den Dörfern aufgenommen hat, in denen Aishat früher gewirkt hatte. Zwar verfügen die Dorfbewohnerinnen inzwischen über etwas mehr Ressourcen, Technik und auch über etwas mehr Gestaltungsspielraum und Freiheiten, wie z. B. die Möglichkeit selbst Auto zu fahren, jedoch ist das Leben der meisten nach wie vor von schwerster körperlicher Arbeit geprägt.
Фильм "Они тоже мечтали. Истории дагестанских женщин" / Документальный - Bad Planet Документальные фильмы

Sie sind auch oft auf sich selbst gestellt und übernehmen die meisten Aufgaben im Haushalt und im Hof, weil ihre Ehemänner entweder längst verstorben sind oder nur herumsitzen, trinken und „wichtige“ Themen erörtern. Auf solche Männer könne sie verzichten, sagt eine Töpferin, die ihren Mann verließ, denn er war „zu nichts zu gebrauchen“.
Aleksandr Fedorov portraitiert in seinem Dokumentarfilm zahlreiche beeindruckende dagestanische Frauen, die – trotz vieler Entbehrungen – tapfer durchs Leben gehen und die Verantwortung für den Familienunterhalt und für die Erziehung der Kinder übernehmen. Viele von den Älteren konnten ihre Träume nicht realisieren, denn allzu sehr wurden sie von ihren Vätern, Brüdern und Ehemännern in ihren Gestaltungsräumen eingeengt, wurden sie in bestimmte Rollen gedrängt bzw. gezwungen.
Es vollzieht sich ein Generationenwechsel
Doch in der jüngeren Generation sind „dagestanische Frauen selbständiger, selbstbewusster“, erklärt Malikat Dzhabirova, ehemalige Mitarbeiterin von Aishat Magomedova. Die jungen Frauen wüssten jetzt, dass Bildung unabdingbar sei, um unabhängig zu werden, sei es auch nur materiell. Jene Freiheit, nach der sie streben, sei das wichtigste für den Menschen, sie mache ihn glücklich, sagt im Film Ravzanat Uvaisova, Geflüchtete aus Tschetschenien, die Aishat Magomedova einst in dem Flüchtlingslager aufsuchte und behandelte.
Jetzt ist sie Lehrerin einer Mittelschule im Dorf Shushanovka. „Ein freier Mensch ist ein selbstbewusster, gebildeter Mensch. Freiheit und Bildung bedingen einander. Ein Mensch kann nur dann selbstbewusst sein, wenn keine Gewalt, weder psychisch noch physisch, ihm gegenüber ausgeübt wird. Freiheit ist, wenn du frei deine Gedanken äußern kannst, wenn man dir zuhört.“
Diese Worte ihrer ehemaligen Patientin hätte Aishat Magomedova bestimmt unterschrieben, denn ihre Fürsorge für dagestanische Frauen war nichts anderes, als ihnen Räume zur Verfügung zu stellen, in denen sie nicht nur genesen und sich erholen konnten, sondern auch etwas mehr in Freiheit leben durften.
„Sie war unser Vorbild, sie inspirierte dagestanische Frauen, sich weiter zu entwickeln“, sagt Malikat Dzhabirova. Es ist gut, dass durch den Film von Aleksandr Fedorov das Leben und Wirken von Aishat Magomedova vor dem Vergessen bewahrt wird. Damit bleibt sie ein wichtiges Vorbild und eine Inspiration für die nächsten Generationen von Frauen, nicht nur in Dagestan.
*Zitat aus dem Artikel von Lidia Grafowa “Izgnanie”