Hungerstreik beendet: Solidarität mit politischen Gefangenen in Belarus!

Bericht

Der 28-jährige Blogger aus Belarus Ihar Losik wurde noch vor Präsidentschaftswahlen am 25. Juni 2020 festgenommen. Aus Protest gegen die unbegründeten und absurden Vorwürfe und der andauernde Inhaftierung war der Betreiber eines der populärsten belarusischen Telegram-Kanäle „Belamova“ in den Hungerstreik getreten.

Porträt Ihar Losik

Ihar Losik ist ein 28-jähriger Blogger aus Belarus. Er wurde noch vor Präsidentschaftswahlen am 25. Juni 2020 festgenommen. Dem Betreiber eines der populärsten belarusischen Telegram-Kanäle „Belamova“ (zur Zeit über 335.000 Abonnenten) wurde vorgeworfen, Handlungen organisiert und vorbereitet zu haben, die „grob die öffentliche Ordnung verletzen“. Dies geschah gleich nachdem der damalige Innenminister Jurij Karajew die kritischen belarusischen Telegram-Kanäle als Strippenzieher von Bürgeraktionen angeprangert hatte. Seit auf die Wahlfälschung im August in Belarus nie gesehene Massenproteste folgten, hat sich diese Haltung der Obrigkeit gegenüber der kritischen und engagierten Öffentlichkeit nur weiter verschärft. Heute ist Ihar Losik einer von insgesamt 190 politischen Gefangenen in Belarus, die von belarusischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen als solche anerkannt sind. [1]

Ihar Losik hätte schon am 25. Dezember 2020 aus dem Gefängnis entlassen werden müssen, da die maximale Dauer seiner Untersuchungshaft ausgeschöpft wäre. Doch stattdessen wurde eine weitere Anklage erhoben („Vorbereitung zur Beteiligung an Massenunruhen“, Art. 293 StGB RB) und seine Haft zunächst bis 25. März verlängert.

Aus Protest gegen die unbegründeten und absurden Vorwürfe, aus Protest gegen die andauernde und fortgesetzte Inhaftierung ist Ihar Losik in den Hungerstreik getreten. Am 30.12.2020 hat der weiterhin aktive Telegram-Kanal Belamova sein Statement zum Hungerstreik veröffentlicht.

Das Wochenende 23.-24. Januar 2021 stand in Belarus im Zeichen der Solidarität mit allen politischen Gefangenen und insbesondere mit Ihar Losik, dessen Schicksal und Hungerstreik viele Menschen in Belarus und darüber hinaus bewegt. Solidaritätsaktionen fanden auch in vielen anderen Städten der Welt statt, so auch in Berlin. Und eine Forderung ist allen gemeinsam: Freiheit für alle politischen Gefangenen in Belarus! Freiheit für Ihar Losik!

 

Solidaritätsaktion 23.1.21 in Lida, Belarus
Solidaritätsaktion am 23.1.21 in Lida, Belarus

 

Am 25. Januar beendete Ihar Losik seinen Hungerstreik. Über seine Anwältin hat er sich mit einem Brief an alle seine Unterstützer gewandt. Der Telegram-Kanal „Belamova“ veröffentlichte auch diesen Brief.

Der Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin hat über das Programm der Abgeordnetenpatenschaften für politische Häftlinge die Patenschaft für Ihar Losik übernommen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung dokumentiert an dieser Stelle in Zusammenarbeit mit der Facebook-Plattform „Stimmen aus Belarus die Erklärung von Ihar Losik.

 

Brief von Ihar Losik zum Hungerstreik vom 30.12.2020

Ich bin in den Hungerstreik getreten, weil ich keinerlei Möglichkeiten mehr habe, die grundlosen Anklagen und meine ungerechtfertigte Inhaftierung zu beeinflussen. Ich bin zu Unrecht meiner Freiheit und der Möglichkeit, meine Familie zu sehen, beraubt worden.

Bereits seit sechs Monaten sitze ich im Gefängnis wegen der Anklage eines Verbrechens, welches zu begehen ich ein Teleport hätte benutzen müssen. Ich hatte und habe ein Alibi, doch die Ermittlungsbehörden haben es das ganze halbe Jahr hindurch ignoriert.

In den letzten sechs Monaten habe ich eine Menge verpasst. Was mir am meisten leid tut, ist, dass ich die ersten Worte meiner Tochter nicht gehört habe.

Nach diesen sechs Monaten im Gefängnis wurde der Anklage ein weiterer absurder Punkt hinzugefügt: Vorbereitungen zur Teilnahme an Massenunruhen.

Wie ist das möglich, wenn vor meiner Festnahme noch gar keine Rede von irgendwelchen „Massenunruhen“ war? Wie ist das möglich, wenn zum Zeitpunkt meiner Festnahme noch gar nicht bekannt war, wie die Registrierung der Präsidentschaftskandidaten ausgehen wird? Aus der Perspektive der Ermittlungsbehörden ist das möglich. Anscheinend kann ich aus ihrer Sicht die Zukunft vorhersagen oder aber habe eine Zeitmaschine zur Verfügung.

In meinem ganzen Leben habe ich noch nie an einer einzigen „nicht genehmigten“ Versammlung teilgenommen, geschweige denn an Massenunruhen. An welchen Massenunruhen hätte ich denn teilnehmen sollen mit einer einjährigen Tochter auf dem Arm?

Genau deshalb, nachdem ich darüber nachgedacht und das „Für“ und „Wider“ abgewogen habe im Versuch, Gerechtigkeit zu erreichen, habe ich mich zu diesem drastischen Schritt entschlossen.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass man den Druck auf mich erhöhen wird. Sobald ich in den Hungerstreik getreten bin, kann ich in Einzelhaft oder in eine Strafzelle überführt werden, mir können persönliche Gegenstände, Briefe, Zeitungen abgenommen werden, oder man wird mir die Möglichkeit nehmen, meinen Anwalt zu sehen. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass ich ernsthafte gesundheitliche Probleme bekommen oder sogar sterben kann. Um der Gerechtigkeit willen, um meine Tochter wieder in den Armen halten zu können, bin ich bereit den ganzen Weg bis zum Ende zu gehen. Ich glaube immer noch an die Reste von Gewissen bei den Leuten, welche die Ermittlungen in meiner fadenscheinigen Anklage kontrollieren.

Ich hoffe auf die Unterstützung aller nichtgleichgültigen Belarusen.

Ich bitte um die Unterstützung der internationalen Organisationen, der Botschafter der Europäischen Union in der Republik Belarus, der Regierungen der demokratischen Staaten, um die Aufmerksamkeit auf das himmelschreiende Unrecht zu lenken, um meine Rechte und die Rechte von Hunderten von anderen politischen Gefangenen wiederherzustellen.

Helfen Sie den Unschuldigen, nach Hause zu kommen. Unsere Familie hat genauso wie die Familien anderer politischer Gefangener in letzter Zeit genug erlitten.

Den Hungerstreik werde ich erst beenden, wenn alle Anklagepunkte fallen gelassen werden oder aber die Inhaftierung in eine andere Form des Freiheitsentzugs überführt wird [Hausarrest].“

Quelle: https://t.me/belamova/13896, 30.12.2020

 

Illustration Ihar Losik gezeichnet von Irina Shidkova

Brief von Ihar Losik zur Beendigung des Hungestreiks vom 25.1.2021
 

„Ich habe mich entschieden den Hungerstreik zu beenden. Warum habe ich mich so entschieden? Auf jeden Fall aus freien Stücken. Mehr als vierzig Tage habe ich keine Nahrung zu mir genommen und ich fühle die Kraft und die Möglichkeit weiter zu machen. Doch die unglaubliche Welle der Solidarität hat mich einfach erschüttert. Und auch die Bitten von Hunderten und Tausenden Belarusen innezuhalten und bis zu unserem gemeinsamen Sieg gesund zu bleiben.

Und ich weiß auch, dass viele Menschen mit mir in den Hungerstreik getreten sind. So eine große Last der Verantwortung kann ich nicht auf mich nehmen, ich will nicht, dass andere, für meine bewusst getroffene Entscheidung, leiden müssen. Als ich all die vielen eurer Bitten in den Briefen gelesen habe, habe ich verstanden, dass ich nicht möchte, dass meine Familie und ihr alle euch Sorgen macht und leidet.

Ich hatte nie den Wunsch verspürt irgendwie aufzufallen, die Öffentlichkeit wollte ich nicht. Ich wollte einfach ruhig leben und meine Tochter großziehen. Stattdessen wurde ich gezwungen diese äußerste Maßnahme zu ergreifen.

Ich wurde lange vor den Wahlen verhaftet und die drastischen Veränderungen, die in diesem halben Jahr stattgefunden haben, konnte ich mir nicht vorstellen, sie waren mir nicht bewusst. Vom Gefängnis aus ist das alles nicht so gut greifbar. Ich habe verstanden, dass ich auf euch zählen kann, dass mit euch alles klappen wird. Jetzt bin ich mir dessen absolut sicher. Mitgefühl und Solidarität ist euch nicht fremd, und die anderen, sie spucken auf die Leiden von hunderten von Familien, von Kindern, auf das Leben von Menschen. Ihr werdet nicht aufgeben. Es sind heute Zeiten, in denen es keine falschen Entscheidungen gibt - es gibt Taten.

Auf den Winter wird der Frühling unbedingt folgen, auf die Nacht folgt die Morgenröte. Historische Prozesse konnte noch niemand aufhalten oder absagen, nicht mit Dekreten, nicht mit Verhaftungen oder Erschießungen. 

Euch allen ein großes Dankeschön für die Unterstützung, ich werde auf gute Nachrichten warten.

P.S.: Viele haben geschrieben, dass ich nichts erreichen werde. Aber das ist nicht so. Durch meine Aktion habe ich nicht nur auf meinen Fall aufmerksam gemacht, sondern auch auf die Situation aller politischen Gefangenen in unserem Land. Jetzt wird lautstark über uns alle gesprochen und auf allen möglichen Plattformen wird die Freilassung der unschuldig Verhafteten und Verurteilten gefordert. Das ist nicht wenig. Ich hoffe, dass mit dem Ende meines Hungerstreiks das Thema der politischen Gefangenen nicht aus der Öffentlichkeit verschwindet. Ich danke allen noch einmal für die Unterstützung und die Solidarität."
 

Quelle: https://t.me/belamova/14857, 15:27, 25.01.2020

 

Übersetzt aus dem Russischen von Wanja Müller für „Stimmen aus Belarus“ und die Heinrich-Böll-Stiftung


[1] Eine aktuelle Übersicht in englischer Sprache von der belarusischen Menschenrechtsorganisation „Wjasna“