Besserer öffentlicher Nahverkehr, Klimaschutz, Bürger:innen-Beteiligung: Wenn die Datenökonomie richtig organisiert werde, diene sie dem öffentlichen Interesse, erläuterte Francesca Bria. In Barcelona war sie als Chief Technology und Digital Innovation Officer zuständig für die digitale Transformation.

Wirtschaftskreis Digitale Ordnungspolitik
Wenn die spanische Stadt Barcelona ihren Busfahrplan neu organisiert, spielen Daten eine große Rolle. Damit mehr Leute auf den klimafreundlichen öffentlichen Verkehr umsteigen, muss das kommunale Nahverkehrsunternehmen die Verkehrsströme kennen: Wer fährt wohin, und vor allem, wer möchte wann wohin unterwegs sein? Wie Daten-, Klima- und Stadtpolitik auf neue Art zusammenwirken, erläuterte Francesca Bria, Professorin am University College London, im Wirtschaftskreis Digitale Ordnungspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung.
Beim Online-Meeting des Kreises am 19. Januar stand im Mittelpunkt, wie Daten dem Gemeinwohl dienen können. Eingangs ordnete Heinrich-Böll-Vorständin Ellen Ueberschär die Frage in den globalen Zusammenhang ein. Vor allem in Europa, aber auch weltweit sind mittlerweile Vorhaben im Gange, der Digitalökonomie und den sie tragenden Unternehmen einen stärker regulierenden Rahmen zu setzen. So veröffentlichte die EU-Kommission Ende 2020 ihre Gesetzesinitiativen zu digitalen Dienstleistungen und Märkten. Im Verbund der Industrieländer-Organisation OECD verhandeln über 100 Staaten ein internationales Steuerabkommen, das nicht zuletzt auch die US-Digital-Konzerne verpflichten soll, mehr Abgaben in den Staaten zu zahlen, wo ihre Kundschaft sitzt.
Solche Prozesse wolle die Stiftung unter anderem im Wirtschaftskreis Digitale Ordnungspolitik diskutieren und unterstützen, sagte Ueberschär. Danyal Bayaz, grüner Wirtschaftspolitiker und Bundestagsabgeordneter, wies auf die augenblicklich günstige Gelegenheit hin. Mit der neuen US-Administration sei eine bessere Zusammenarbeit bei Technologie und Daten möglich. Diese Chance solle Europa nutzen, so Bayaz, und den USA dabei den Vorzug gegenüber China geben.
Francesca Bria kennt Digitalpolitik aus eigener Erfahrung. Sie ist Präsidentin des italienischen Nationalen Innovationsfonds und leitete einige Jahre die digitale Modernisierungsstrategie der Stadtverwaltung von Barcelona. Die Hauptstadt Kataloniens wird oft als internationale Vorreiterin genannt, wenn es um die Demokratisierung der Datenwirtschaft geht. Laut Bria arbeitet die Verwaltung dort daran, die „Datensouveränität“ für die Bürger:innen und die Stadt zurückzugewinnen. Man versuche einen dritten Weg auszukundschaften zwischen der Datenherrschaft durch Konzerne und einem Überwachungsstaat. Barcelona verfolge das Ziel, Daten möglichst in die Kontrolle der Einwohner:innen zu geben, so Bria. Und dies biete auch die Aussicht einer klimafreundlichen Kommunalpolitik. Bei allem müsse es immer darum gehen: Was dient den Menschen, die in der Stadt leben und arbeiten?
Verkehr
Beispiel Verkehr: Die katalanische Metropole baut das Busnetz aus, verbessert die Fahrrad-Infrastruktur und reduziert in manchen Vierteln den Autoverkehr. Um diese Prozesse umzusetzen und zu steuern, dienen Daten über das Verkehrsverhalten der Einwohner:innen als Basis. Die digitalen Informationen sind gleichzeitig die Voraussetzung, um neue Verkehrsdienstleistungen anbieten zu können, etwa Mitfahrgelegenheiten (ride-sharing). Wenn nun solche Angebote perspektivisch im Interesse der ganzen Stadt und möglichst vieler Einwohner:innen funktionieren sollen, müssten die Daten öffentlich zugänglich sein, argumentierte Bria. Das heißt: Man darf sie nicht privaten Konzernen wie der Taxi-Vermittlungsplattform Uber überlassen.
So erscheint es logisch, dass Barcelona Unternehmen, die Verträge mit der Stadt abschließen, verpflichtet, die entstehenden Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Dazu passt, dass auch die Programmcodes neuer Dienstleistungen nach dem Open-Source-Prinzip für alle potenziellen Nutzer:innen einsehbar sein müssen. Und soll auf diese Art eine moderne, digitale Stadtgesellschaft entstehen, funktioniert das nicht ohne die entsprechende Infrastruktur. Folgerichtig will Barcelona zu einer Vorreiterin der 5G-Technologie werden, die schnellere Kommunikation ermöglicht.
In einigen Nachbarschaften ist die Umgestaltung der Stadtlandschaft schon zu sehen. Die sogenannten Superblocks sind begrünte, verkehrsberuhigte Viertel, in denen der Autoverkehr stark reduziert wird. Das schafft Platz für kleine Parks, neue öffentliche Plätze, Fuß- und Radwege. Die Aufenthaltsqualität steigt, die Bewohner:innen können die Umgebung neu nutzen, Lärm- und Abgasbelastung sinken. Die Stadtverwaltung bemüht sich, die Bürger:innen in die Planungen einzubeziehen.
Die beginnende Transformation strahlt grundsätzlich in viele Bereiche des städtischen Lebens aus. Wenn Daten öffentlich sind, können etwa Wissenschaftler:innen an den Universitäten und Instituten der Stadt damit arbeiten und neue Anwendungen ersinnen. Firmen setzen sie um, schaffen neue Einkommensmöglichkeiten und Arbeitsplätze. So unterstützt die Stadt in ihrem Start-Up-Zentrum Media TIC Incubator lokale Firmen, die sich auf Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge (IoT), Robotiks, Raumfahrt und Nano-Technology spezialisieren. .
Möglicherweise erleichtert es eine Digitalökonomie in öffentlichem Interesse auch, soziale Herausforderungen zu bewältigen, etwa die Bewohner:innen Barcelonas besser mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Wenn Airbnb hunderttausenden Tourist:innen Wohnungen vermieten kann, schafft es ein neuer kommunaler Service vielleicht auch, die Einwohner:innen selbst zu unterstützen. Bildung, Energieversorgung oder Müllmanagement sind weitere Themen. Wie Bria erläuterte, gehen diese Prozesse einher mit intensiver Bürger:innen-Beteiligung und öffentlichen Debatten. Und auch der Datenschutz soll berücksichtigt werden. Den Einwohner:innen müsse die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu entscheiden, welche Daten sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wollen und welche nicht. Deshalb wirkt die Stadtverwaltung Barcelonas im europäischen Project Decode (Decentralised Citizen Owned Data Ecosystem) mit, einem Zusammenschluss von Kommunen, Forscher:innen und Zivilgesellschaft. Ein Beispiel für die Anwendung: Einwohner:innen installieren Sensoren an ihren Wohnungen und Häusern, die Daten über Luftqualität und Geräuschbelastung in ein kommunales Erfassungssystem liefern. Die Einstellungen können so modifiziert werden, dass sie die Privatsphäre der Mitwirkenden nicht verletzen.
In der anschließenden Debatte im Wirtschaftskreis kam die Frage auf, wie es der Verwaltung gelinge, besonders diejenigen Bürger:innen einzubeziehen, die über schlechtere Voraussetzungen für digitale Mitwirkung verfügten – weil sie kein leistungsstarkes Smartphone besitzen, ihnen die Kenntnisse fehlen oder sie nur schlecht Zugang zur Mehrheitsgesellschaft finden. Laut Bria versucht die Stadt diese Schwierigkeiten zu überwinden, indem kommunale Mitarbeiter:innen beispielsweise Ältere und sozial Benachteiligte gezielt aufsuchen und ihnen Trainings anbieten.
Ellen Ueberschär und die grüne Europa-Parlamentarierin Alexandra Geese wollten außerdem wissen, wie es Barcelona gelinge, sich nach und nach dem Griff der US-Konzerne zu entziehen, und wie Bürgermeister:innen anderer Kommunen die ersten Schritte auf diesem Weg tun könnten. Bria wies auf die unter anderem englischsprachigen Informationsangebote der katalanischen Hauptstadt hin, die Basisdokumente und Projektbeschreibungen enthielten (siehe Link unten). Zudem hat sich mittlerweile eine weltweite Vereinigung von Städten gebildet, die an ähnlichen Zielen arbeiten - die Cities Coalition for Digital Rights (Link). In Deutschland wirken darin Berlin und München mit. Nach Brias Einschätzung ist auch die Hamburger Verwaltung eine gute Ansprechpartnerin. Projekte und Vorhaben, die in einer der beteiligten Kommunen funktionieren, lassen sich oft in andere Städte übertragen. Bria riet zur Kontaktaufnahme mit den Verwaltungen, die schon etwas weiter sind.
Neben der kommunalen spielte beim Treffen des Wirtschaftskreises auch die internationale Ebene eine Rolle. Bria forderte, die EU müsse ihre digitale Souveränität ebenfalls wiedererlangen. Einerseits sei es wichtig, die Regulierung voranzutreiben. Andererseits müsse Europa aber seine technologischen und unternehmerischen Fähigkeiten so ausbauen, dass die einheimische Digitalökonomie den eigenen Ansprüchen genüge. Der Begriff der digitalen Souveränität war in der Diskussion umstritten. Ein Teilnehmer warnte, es habe keinen Sinn amerikanische Überwachungstechnologie durch europäische zu ersetzen. Bria betonte dagegen, es gehe ihr in erster Linie um die Souveränität der Bürger:innen.
Gaia-X
Kontrovers diskutiert wurde auch das Vorhaben Gaia-X. Dabei handelt es sich um eine deutsch-französische Initiative, um in Europa eine unabhängige Digitalökonomie zu entwickeln, die beispielsweise auf Open-Source-Programmierung basiert. Das Programm soll nicht zuletzt dafür sorgen, dass europäische Daten in Europa gespeichert und verarbeitet werden. Private Firmen sind aufgerufen, daran mitzuwirken. Zu den bisherigen Mitgliedern gehören unter anderem Bosch und Siemens. Interesse gibt es aber auch aus den USA, etwa durch die Firma Palantir, die auf die Analyse großer Datenmengen spezialisiert ist und mit den US-Geheimdiensten kooperiert. Bria und Geese warnten davor, dieses US-Unternehmen einzubeziehen. Das laufe den Zielen der Vertrauenswürdigkeit und Transparenz zuwider. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist zu hören dass über die Mitgliedschaft von Palantir noch entschieden sei.
Quellen: