Agentengesetze – ein perfides Instrument zur Stummschaltung der Zivilgesellschaft

Kommentar

Autokraten mögen keine starke Zivilgesellschaft. Mit sogenannten Agentengesetzen schikanieren sie deren Arbeit. Zuerst in Russland verabschiedet, kopierten es Regime in vielen Teilen der Welt. Nicht wenige Organisationen mussten daraufhin ins Exil oder ganz schließen. Doch nicht alle Gesetzesvorhaben wurden auch umgesetzt. Um sie zu verhindern, ist internationale Solidarität von großer Bedeutung.

Yellow Watcher - Kamera an gelber Bretterwand
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Autokraten beobachten die Zivilgesellschaft sehr genau.

Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen sich in einer wachsenden Anzahl von Staaten zunehmend Anfeindungen und Verfolgungen ausgesetzt. Neben kriminellen, brutalen Attacken auf die Mitglieder von Bürger*innenbewegungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), häufen sich auch die Versuche autoritärer Machthaber*innen und Regime zivilgesellschaftliche Organisationen mittels rechtlicher Instrumente einzuschüchtern oder ganz zu verbieten.

Als perfides Instrument zur Kriminalisierung und Stummschaltung haben sich sogenannte Agentengesetze erwiesen, deren Anzahl in den letzten 20 Jahren enorm zugelegt hat. Anders als der Name suggeriert, sind diese Gesetze nicht etwa darauf ausgerichtet ausländische Spionage- oder Lobbyarbeit einzuschränken, sondern dienen der Gängelung kritischer Stimmen und der Ausschaltung von Kontroll- und Informationsaktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Regierungen, die Knebelgesetze gegen zivilgesellschaftliche Organisationen verabschieden, die finanzielle Zuwendungen (teilweise) aus dem Ausland erhalten, berufen sich zumeist auf den 1938 verabschiedeten US-amerikanischen Foreign Agents Registration Act (FARA). Stoßrichtung des Gesetzes war vor allem die Kontrolle der Ausbreitung nationalsozialistischer Propaganda während des Zweiten Weltkriegs. Drei wichtige Charakteristika unterscheiden FARA jedoch von der jüngeren Generation an Agentengesetzen: Erstens setzt FARA eine Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung voraus, beschränkt sich also auf Organisationen oder Personen, die direkt Anweisungen von ausländischen Organisationen oder Regierungen erhalten und deren Interessen repräsentieren; zweitens gibt es zahlreiche Ausnahmeregelungen für religiöse, akademische, kulturelle und wissenschaftliche Organisationen; und drittens zielt FARA nicht prioritär auf NGOs: Nicht jede NGO, die Finanzierung aus dem Ausland erhält, muss sich auch automatisch als ausländische Agentin registrieren, auch dann nicht, wenn sie politisch tätig ist.

Putins Drehbuch findet weltweit Nachahmer*innen

Die Mutter der heutigen Agentengesetze findet sich nicht in den USA, sondern in Russland, auch wenn dies von autoritären Machthaber*innen normalerweise kategorisch bestritten wird. Im Gegensatz zu FARA zwingen die russischen Agentengesetze NGOs, die finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland erhalten, sich auch dann als Agenten zu registrieren, wenn keine klare Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung vorliegt. Außerdem definiert das Gesetz „politische“ Aktivitäten so vage, dass auch karitative und soziale Aktivitäten darunterfallen können.

Mit dem sogenannten Agentengesetz führte der russische Gesetzgeber eine neue Kategorie für Vereine beziehungsweise gemeinnützige Organisationen ein: Wer politische Tätigkeiten ausübt oder finanziert und zugleich Zuwendungen aus dem Ausland erhält, muss sich seit 2012 als ausländischer Agent registrieren. Mit der Regierungspflicht sind Anmeldungs-, Berichts- und Anzeigepflichten verbunden, die zu einem gesteigerten Verwaltungsaufwand führen, die kleinere Organisationen überfordern.

Die einschlägige russische Ausführungsverordnung umfasst 90 Seiten. Bei wiederholten Fehlern drohen drakonische Strafen. Vage Definitionen senken die Rechtssicherheit und erhöhen das Risiko, wegen Verfahrensfehlern strafrechtlich belangt zu werden. Auslöser für die Aktualisierung bereits bestehender NGO-Gesetze war übrigens die sogenannte Orangene Revolution in der Ukraine im Jahr 2004, die dem Kreml das aufrührerische Potenzial zivilgesellschaftlicher Organisationen vor Augen führte. Die Agentengesetze waren erfolgreich und führten zu zahlreichen Bankrotterklärungen sowie Auflösungen zivilgesellschaftlicher Organisationen in Russland und zu Selbstbeschränkungen in der Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit, um Repressalien zu vermeiden.

Das russische Agentengesetz fand zahlreiche Nachahmer*innen, vor allem in Osteuropa (u.a. in der Ukraine, Kirgistan, Belarus, Polen und Ungarn), aber auch in Israel und Ägypten sowie in Zentralamerika (Nicaragua, Guatemala und El Salvador). Nicht immer waren die Versuche, Putins Drehbuch anzuwenden, jedoch erfolgreich.

Das kirgisische Parlament lehnte 2014 einen Gesetzesvorschlag ab, der identisch mit dem russischen war. Ungarns rechter Premier Viktor Orban musste nach einem Urteil des europäischen Gerichtshofes ein 2017 verabschiedetes NGO-Gesetz außer Kraft setzen. Nach Ansicht des Gerichts verstieß das Gesetz gegen EU-Recht und verletzte grundlegende Rechte, einschließlich des Rechts auf Datenschutz und Vereinigungsfreiheit.

Dies hinderte jedoch polnische Abgeordnete nicht daran, einen ähnlichen Gesetzesentwurf im Mai 2021 in das Parlament einzubringen. Die israelische Knesset verabschiedete 2016 ein sogenanntes „Transparenzgesetz“, das zivilgesellschaftlichen Organisationen, die mehr als 50 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, umfangreiche Belegpflichten auferlegt. Negativ betroffen sind hiervon vor allem palästinensische Menschenrechtsorganisationen.

In Nicaragua wendet der Ortega-Murillo-Clan das auf Putins Vorlage beruhende und 2020 verabschiedete Agentengesetz derzeit mit brutaler Effizienz auf alle zivilgesellschaftliche Organisationen an, die als regierungskritisch eingestuft werden. Mehr als 200 NGOs wurden seit der Verabschiedung des Gesetzes bereits verboten, darunter feministische, Umwelt- und humanitäre Organisationen.

Im Nachbarland Guatemala versucht die Regierung unter Präsident Alejandro Giammattei gerade, die Registrierungspflichten des im letzten Jahr verabschiedeten NGO-Gesetzes durchzusetzen. Das Europaparlament hat die guatemaltekische Regierung in einer Resolution am 7. April 2022 dazu aufgefordert, das NGO-Gesetz wieder aufzuheben, da es die Arbeit der unabhängigen Zivilgesellschaft einschränke und zum Abbau der Schutzrechte von Menschenrechtsaktivist*innen beitrage.

Alle Agentengesetze versuchen unter dem Vorwand, ausländische Einmischung zu beschränken oder illegale Praktiken der Geldwäsche einzudämmen, politische Kritiker*innen aus der Zivilgesellschaft stumm- beziehungsweise auszuschalten. Kafkaeske Verwaltungsauflagen sollen NGOs zermürben, vage Definitionen erhöhen die Rechtsunsicherheit und die Gefahr, strafrechtlich belangt zu werden. Betroffene NGOs müssen sich nicht nur als „ausländische Agenten“ in ein Register eintragen, sondern diese Markierung auch öffentlich sichtbar machen, etwa mit einem Verweis auf ihren Internetseiten. Ferner müssen private wie öffentliche Kommunikationen mit dem Herkunftssiegel „ausländischer Agent“ gekennzeichnet werden. Mit grotesken Auswirkungen, da auch Geburtsgrüße via Facebook unter diese Markierungspflichten fallen können.

Alles deutet darauf hin, dass die jüngere Generation von Agentengesetzen auf Lernprozessen aufbauen, die der Perfektionierung autoritärer Überwachungs- und Repressionspraktiken dienen. Da die Aufforderung zur Selbstanzeige nicht zu den gewünschten Erfolgen führte, werden Registrierungsprozesse nun staatlich stärker überwacht und mangelnde „Kooperation“ sanktioniert.

Der im November 2021 von Präsident Nayib Bukele in das salvadorianische Parlament eingebrachte Gesetzesentwurf sah neben umfassenden Registrierungs- und Markierungspflichten und zusätzlich zu den bereits bestehenden Berichts- und Steuerpflichten hohe Steuern von 40 Prozent auf alle Überweisungen aus dem Ausland vor. Wilfredo Miranda, ein nicaraguanischer Journalist im Exil, brachte dies so auf den Punkt: „Bukele hat das Gesetz von [Daniel] Ortega geklont“ und durch die Besteuerung noch zusätzlich verschärft. Für viele Organisationen hätte dies das Aus bedeutet: Kaum ein internationaler staatlicher oder privater Finanzier wäre unter diesen Umständen noch bereit gewesen, Geld an eine NGO in El Salvador zu überweisen.

Internationale Solidarität und politische Allianzen

Werden derartige Knebelgesetze erst einmal verabschiedet, entfalten sie eine fatale Wirkung auf die Handlungsfreiheit und Überlebensfähigkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen. Anders als im Geltungsbereich der Europäischen Union, wo dem Europäischen Gerichtshof eine Korrektivfunktion und wichtige Rolle bei der Verteidigung der Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit zukommt, bedürfen zivilgesellschaftliche Organisationen im globalen Süden, die von Agentengesetzen betroffen sind, internationaler Solidarität.

Dass politisches Engagement erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel El Salvador. Der Gesetzesentwurf zum Agentengesetz konnte nach massiven internationalen politischen Protesten (auch staatlicher Stellen) und Stellungnahmen regionaler wie internationaler Menschenrechtsinstitutionen vor der zweiten Lesung im Parlament gestoppt werden.

Wichtig ist, dass internationale Entwicklungsbanken und auch deutsche sowie die europäische Entwicklungszusammenarbeit eine klare Position bei der Mittelvergabe an Länder zeigen, die die Autonomie der demokratischen Zivilgesellschaft mittels sogenannter „Agentengesetze“ beschneiden. Wer die demokratische Zivilgesellschaft durch Knebelgesetze stumm- bzw. ausschaltet, disqualifiziert sich als Empfänger von Geldern der deutschen und europäischen EZ.


Der Artikel erschien zuerst im Südlink 200 (Juni 2022) zum Thema "Zivilgesellschaft unter Druck". Mehr Infos unter https://www.inkota.de/news/suedlink-zum-thema-shrinking-spaces-erschienen