Von der Zwischenstation zum Handlungsraum. Lebenswege, Netzwerke und Erinnerung(en) von Displaced Persons im „Polish Camp Sikorski“ in Flossenbürg 1946/47
Die vornehmlich nichtjüdischen, polnischen Displaced Persons (DPs) im Camp Sikorski auf dem ehemaligen KZ-Lagergelände in Flossenbürg können wie unter einem Brennglas als Akteur:innen transnationaler, erinnerungskultureller Verflechtungsprozesse der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet werden. Sie bildeten eine Erinnerungs- und Schicksalsgemeinschaft, die in mehreren „Wartesälen“ ausharren musste und 1946 unfreiwillig aus Österreich in die bayerische Oberpfalz verbracht wurde. Sie bauten aber gleichzeitig Netzwerke auf, nutzten Handlungsräume und wurden tatkräftige Akteur:innen.
Sie errichteten in Flossenbürg eine der ersten KZ-Gedenkanlagen im deutschsprachigen Raum und das obwohl ein Großteil der Beteiligten keine Verfolgungserfahrungen in diesem KZ-Komplex hatte. Vielmehr waren sie Überlebende verschiedener KZ sowie Handelnde weiterer Gruppen – befreite Zwangsarbeitende, Kriegsgefangene und andere –, die zufällig und unfreiwillig vor Ort waren sowie nicht auf Dauer bleiben wollten. Sie kooperierten mit anderen DPs, v.a. aus der Ukraine und dem Baltikum sowie mit deutschen ehemaligen Verfolgten und bayerischen Behördenvertretern - oft nicht konfliktfrei. Mit Blick auf die Wege der DPs vor und nach Flossenbürg wird zudem deutlich, welches erinnerungskulturelle Gepäck sie aus bereits vollzogenen Gedenkinitiativen in Österreich, hier v.a. Ebensee, sie mitbrachten.
Das Dissertationsprojekt stärkt den Blick auf (nichtjüdische) DPs als Akteur:innen im Feld der Erinnerungskultur, die bis heute oft übersehen werden. Dies hat vornehmlich mit der damaligen gesellschaftlichen Ausgrenzung sowie den fehlenden Sprachkenntnissen und dem somit lange ausgebliebenen Forschungsinteresse zu tun. Anstatt DPs als passive Adressat:innen von Hilfs- oder Abwehrhandeln seitens der Alliierten oder Mehrheitsgesellschaft zu sehen, werden sie in diesem Beitrag als handelnde Subjekte beleuchtet. Fragen nach ihrer Handlungsmacht sowie deren Binnenperspektive bilden einen Schwerpunkt, doch auch: Wie wirkten deren Aktivitäten – trotz Fremdbestimmung, Marginalisierung, Ressentiments, Sprachbarrieren und nur temporärer Anwesenheit – über ihre jeweilige Eigengruppe(n) hinaus? Inwiefern beeinflussten heterogene Herkünfte, (Verfolgungs-)Hintergründe und Zukunftsvorstellungen der DPs die jeweiligen Perspektiven und Aktivitäten?