Südkoreas Präsidentschaftswahl 2025: Politische Folgen und Perspektiven

Analyse

Südkoreas Präsidentschaftswahl 2025 markiert einen politischen Neuanfang nach Amtsenthebung und Krisen. Die Wahl beeinflusst innenpolitische Machtverhältnisse und Südkoreas Rolle in der globalen Außenpolitik.

Lesedauer: 6 Minuten
Der Blue Palast, der traditionelle Sitz des südkoreanischen Präsidenten.

Am 3. Dezember 2024 verhängte der ehemalige südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol das Kriegsrecht. Zur Begründung erklärte er, die nationale Stabilität vor „staatsfeindlichen Akteuren“ schützen zu müssen. Noch in derselben Nacht trat die Nationalversammlung - das südkoreanische Parlament - in einer Sondersitzung zusammen, um diese Entscheidung aufzuheben.

Nur elf Tage später leitete das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Yoon ein, da sein Handeln weithin als versuchter Staatsstreich gewertet wurde. Das Verfassungsgericht prüfte den Fall über mehrere Monate, bestätigte aber schließlich einstimmig die Rechtmäßigkeit des Verfahrens.

In der Folge wurden am 3. Juni 2025 vorgezogene Neuwahlen abgehalten. Anlässlich dieses Ereignisses lud die Heinrich-Böll-Stiftung die beiden Expert*innen Professor Sook Jong Lee und Professor Woo Chang Kang ein, um die Bedeutung und die möglichen Auswirkungen der südkoreanischen Wahlen zu analysieren.

Ergebnis der Wahlen: Wer hat für wen gestimmt?

Lee Jae-myung von der progressiven Demokratischen Partei (Deobureo-minju-dang, DPK) gewann die Präsidentschaftswahl mit 49,42 Prozent der Stimmen. Sein stärkster Herausforderer, Kim Moon-soo von der konservativen People Power Party (Gungminui-him, PPP), erreichte 41,15 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei bemerkenswert hohen 79,4 Prozent – ein Rekordwert, der seit 28 Jahren nicht mehr erreicht wurde.

Lee erhielt insgesamt 17.287.514 Stimmen, so viele wie kein anderer Präsidentschaftskandidat zuvor. Dennoch lag sein Vorsprung im Vergleich zum Sieger der letzten Wahl in 2022, Yoon Suk-yeol, nur bei rund 1,14 Millionen Stimmen. Auch im Vergleich zu seiner eigenen Kandidatur 2022 konnte Lee trotz der höheren Wahlbeteiligung nur etwa eine Million Stimmen hinzugewinnen. Die prognostizierte 50-Prozent-Marke blieb damit unerreicht.

Um dieses auf den ersten Blick beeindruckende, auf den zweiten Blick aber gemischte Ergebnis besser einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf die politische Ausgangslage.

Die Präsidentschaftswahl 2025 wurde von vielen Wähler*innen auch als ein indirektes Referendum über die Amtsenthebung von Präsident Yoon verstanden. Umfragen zeigen, dass etwa 40 Prozent der Wähler*innen gegen das Amtsenthebungsverfahren waren. Das entspricht zwar in etwa dem Stimmenanteil von Kim (41,15 Prozent), dennoch lässt sich daraus nicht automatisch schließen, dass alle Kim-Wähler auch Gegner der Amtsenthebung waren. Viele von ihnen könnten auch aus Sorge über eine mögliche zu starke Dominanz der DPK für Kim gestimmt haben. Die DPK hält derzeit 56,42 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung, während die PPP auf nur noch 36,15 Prozent kommt.

Lee Jun-seok ist vor allem für seine antifeministische Rhetorik sowie seine deutliche Kritik an Präsident Yoon im Zusammenhang mit dessen Amtsenthebungsverfahren bekannt geworden.

Die neue Reformpartei (Gaehyeok sindang, RP) erreichte mit ihrem Kandidaten Lee Jun-seok 8,34 Prozent der Stimmen und belegte damit den dritten Platz. Besonders erfolgreich war Lee bei männlichen Wählern im Alter von 20 bis 40 Jahren: In der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen erhielt er 37 Prozent, bei den 30- bis 40-Jährigen 25 Prozent der Stimmen.

Lee Jun-seok ist vor allem für seine antifeministische Rhetorik sowie seine deutliche Kritik an Präsident Yoon im Zusammenhang mit dessen Amtsenthebungsverfahren bekannt geworden. Damit profilierte er sich als konservative Alternative zu Kim, dessen Partei PPP sich nicht klar genug von Yoon abgrenzte – sei es aus Unwillen oder Unfähigkeit.

Auch unter jungen Wählerinnen erzielte Lee bemerkenswerte Ergebnisse: Rund 10 Prozent der Frauen in ihren Zwanzigern stimmten für ihn. Zum Vergleich: Der Stimmenanteil dieser Gruppe für die Demokratische Partei blieb im Vergleich zu 2022 konstant, während die Unterstützung für die konservative PPP deutlich zurückging – von 33,8 Prozent auf 25,3 Prozent.

Mittelmacht Korea: Worauf man in der Außenpolitik achten sollte

Die Mittelmachtpolitik ist seit der Regierung Lee Myung-bak ein fester Bestandteil der außenpolitischen Strategie Koreas. Südkorea versteht sich dabei wirtschaftlich, militärisch, kulturell und diplomatisch als Staat mit mittlerem Einfluss auf globaler Ebene. Nach Angaben der Weltbank belegt Südkorea beim nominalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) weltweit Platz 13, bei der Kaufkraftparität Platz 26 und beim Pro-Kopf-BIP Platz 36. Auch militärisch zählt das Land zu den stärkeren Akteuren: Im Global Firepower Index liegt Südkorea auf Rang 5. Darüber hinaus gehört es mit Platz 13 unter den 32 OECD-Staaten zu den größten Gebern öffentlicher Entwicklungshilfe.

Südkorea zeigt in vielerlei Hinsicht klassisches Mittelmachtverhalten: Es setzt sich für die Wahrung des Völkerrechts ein, beteiligt sich aktiv an globalen Foren und positioniert sich in vielen internationalen Fragen auf der Seite des liberalen Westens. Allerdings wird es für das Land zunehmend schwieriger, die Rolle eines konstruktiven Vermittlers einzunehmen – nicht zuletzt aufgrund wachsender geopolitischer Spannungen.

Der frühere Präsident Yoon versuchte, Südkorea als einflussreichere Macht zu etablieren. Ausdruck dessen war unter anderem seine strategische Öffnung gegenüber dem Globalen Süden. Welche außenpolitische Richtung der neu gewählte Präsident Lee einschlagen wird, lässt sich so kurz nach der Wahl noch nicht sicher sagen. Da es sich um vorgezogene Neuwahlen handelte, lag der Schwerpunkt des Wahlkampfs vor allem auf innenpolitischen Themen. Dennoch bieten die Kritik seiner Partei an der Vorgängerregierung sowie seine Äußerungen im Wahlkampf und bei der Amtseinführung erste Hinweise auf eine mögliche außenpolitische Neuausrichtung

Beziehungen zu den USA:

Präsident Lee hat angekündigt, die engen Beziehungen zu den USA fortzuführen. Allerdings könnte die „America First“ Politik von Präsident Trump, insbesondere durch erhöhte Zölle und Spekulationen über eine mögliche Verlegung der United States Forces Korea in den Indopazifik, zu Spannungen führen. Lee wird voraussichtlich zunächst einen Fokus auf den Abschluss der laufenden Zollverhandlungen mit den USA legen.

Beziehungen zu Nordkorea:

Lee betont, unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines starken Bündnisses mit den USA, das Ziel einer friedlichen Koexistenz beider koreanischer Staaten Wie sich dieser Balanceakt entwickeln wird, bleibt offen, insbesondere vor dem Hintergrund früherer Top-Down-Diplomatie wie unter Trump 2018 und der derzeit engen Beziehungen zwischen Nordkorea und Russland.

Beziehungen zu China:

Lees Partei hatte die Vorgängerregierung Yoon dafür kritisiert, China außenpolitisch vernachlässigt und sich zu stark auf die USA und Japan konzentriert zu haben. Daher ist davon auszugehen, dass Präsident Lee sich um verbesserte Beziehungen mit China bemühen wird. Ein möglicher erster Schritt dazu könnte ein diplomatisches Treffen am Rande des anstehenden APEC-Gipfels in Korea sein – insbesondere, falls Präsident Xi Jinping persönlich teilnimmt.

Beziehungen zu Japan:

Die DPK gilt traditionell als eher kritisch gegenüber Japan. Während seines Wahlkampfs und in seiner Antrittsrede betonte Lee jedoch mehrfach die guten Beziehungen zu Japan weiterzuführen, insbesondere im Rahmen der trilateralen Partnerschaft mit den USA, die für Südkoreas nationale Interessen als strategisch essenziell betrachtet wird.

Derzeit ist es noch schwierig, eine konkrete außenpolitische Agenda für Präsident Lee zu formulieren, da dieses Thema im Wahlkampf keine zentrale Rolle spielte. Dennoch steht die internationale Ordnung vor enormen Herausforderungen, die das globale System unter starken Druck setzen. Vor diesem Hintergrund wird die enge Zusammenarbeit zwischen europäischen Ländern und den Staaten im asiatisch-pazifischen Raum immer wichtiger. Nur gemeinsam lässt sich eine Ordnung entwickeln die auf demokratischen Werten, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit basiert.

Wie Präsident Lee zu Beginn seiner Amtszeit auf aktuelle Entwicklungen reagiert, etwa die verstärkten Beziehungen zwischen Russland und Nordkorea, die anstehende Wahl in Japan oder die wachsenden Spannungen in der Taiwanstraße, wird maßgeblich die außenpolitische Ausrichtung Südkoreas bestimmen.


Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung des Webinars mit dem Titel "South Korea After the Elections: Geopolitische Dynamiken und innenpolitische Weichenstellungen", verfügbar unter: https://www.youtube.com/live/0CzHqR6bT8I

Zum Warenkorb hinzugefügt: