Neues afrikanisches Kino nah am Zuschauer

Interview

Die kenianische Filmregisseurin Judy Kibinge stellt im Februar in 14 Städten Deutschlands ihren Film „Something Necessary“ vor, der die gewalttätigen Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2007 in Kenia thematisiert. Der Film entstand im Rahmen eines Workshops der Initiative „One Fine Day Film“ , mit der der Regisseur Tom Tykwer das neue afrikanische Kino unterstützt.

Ins Kino gehen, Filme schauen – wie sieht das in Kenia aus?
In den Sechziger- und Siebzigerjahren wurden Kinos in den Stadtzentren gebaut. Inzwischen folgt man dem südafrikanischen Modell, und sie liegen in den Shoppingzentren am Stadtrand. Im Stadtzentrum sind sie für die Zuschauer leichter zu erreichen. „Something Necessary“ läuft aber seit fünf Wochen in einem Großkino am Stadtrand. Außerhalb der Städte werden Filme überwiegend auf DVD geschaut. Dies sind meist Raubkopien, die nicht einmal einen Dollar kosten. Inzwischen ist auch deren Qualität erstaunlich gut. Es ist natürlich positiv, dass Filme verbreitet werden und so ein kundiges Publikum existiert, aber als Filmemacher verdienen wir daran kein Geld. Das macht es für unabhängige Produktionen schwierig. Auch „Nairobi Half Life“, die vorige Produktion von „One Fine Day Films“, wurde kopiert. Aber er war auch in den Kinos ein Riesenerfolg und hat ein Revival des kenianischen Kinos eingeleitet.

Welche Filme sind populär?

Vor allem nigerianische Filme, die mit Stars locken können. Manche sind aufwendig produziert. Ein großartiger Film wie Kunie Afolayans „The Figurine“ aus Nigeria, der 2010 fünf African Movie Academy Awards gewann, hat 300.000 Dollar gekostet. Das ist ein großes Budget. Aber langsam gewinnen auch Filme aus Kenia Zuschauer, die diesen Vorbildern folgen. Sie werden mit Mini-Budgets produziert, manchmal für gerade 10.000 Dollar, laufen aber in den lokalen Sprachen. Früher gab es ja nur das französischsprachige Kino aus Westafrika, nun verbreitert sich das Filmschaffen. Dieses neue afrikanische Kino erlaubt den Menschen, sich selbst in den Filmen wiederzuerkennen. Wenn dann auch noch die filmische Qualität hoch ist, sind die Zuschauer erst recht begeistert.

Wie weit ist die kenianische Filmindustrie heute?

Kenia wird schon lange als Drehort genutzt – jeder kennt „Out of Africa“ –, aber es gab noch mehr Hollywood-Produktionen dort. Seit etwa 15 Jahren entstanden auch kenianische Filme, die häufig von NGOs gefördert wurden und eine klare Botschaft hatten. Dank der digitalen Revolution, aber auch weil Kenias TV-Stationen vielen Filmemachern Erwerbsmöglichkeiten geben, ist es für sie heute leichter geworden, unabhängig zu arbeiten.

Wie sind Sie selbst zum Kino gekommen?

Ich habe acht Jahre lang für eine große Werbeagentur TV-Spots gedreht. Das war meine Filmschule. Aber ich hatte das satt, wollte Drehbücher schreiben, und so habe ich dort gekündigt. Im Rückblick finde ich mich ganz schön mutig.

Werden Dokumentationen in Kenia als politisches Medium genutzt?

Lange gab es fast nur Filme, weil sie von NGOs mit einer bestimmten Botschaft finanziert wurden. Erst langsam entstehen die ersten Dokumentarfilme aus einem filmischen Interesse. Dabei sind Kenianer extrem politikinteressiert, selbst in den Bars wird es ruhig, wenn am Abend die TV-Nachrichten beginnen. Aber mit einem halbdokumentarischen Spielfim wie „Something Necessary“ begeben wir uns schon auf Neuland. Eine filmische Verarbeitung realer Ereignisse ist ungewohnt.

Wie wichtig ist Tom Tykwers Projekt? Welche Lücke füllen seine Angebote?

Sehr wichtig! Er ist unglaublich! Afrikanische Filmemacher oder TV-Regisseure mit einer gewissen Erfahrung wie ich haben durch die Partnerschaft mit „One Fine Day Films“ die Möglichkeit, an einem Film mitzuarbeiten, der den höchsten Produktionsstandards entspricht. Allein der Aufwand im Tonstudio nach dem Drehen! Bei uns ist dafür sonst nie Geld übrig. Es ist wunderbar, einfach alle existierenden Möglichkeiten auszunutzen. Der Film erreicht auch ein viel größeres Publikum, und er ermöglicht uns, über den Horizont von Nairobi hinauszuschauen. Wir haben gelernt, worauf es ankommt, wenn man beantragt, mit einem Film an einem Festival teilzunehmen. Schließlich wurden wir in ein großartiges Netzwerk von Filmschaffenden integriert und konnten mit großartigen Leuten arbeiten, von denen wir viel lernen können. 

„Something Necessary“ handelt vom Konflikt nach den Wahlen von 2008. War dieses Ausmaß an Gewalt zu erwarten?

Wahlen waren immer von Auseinandersetzungen begleitet, doch nie in dieser Form. Wir haben es nicht erwartet, sondern immer gesagt: „Wir sind nicht Sierra Leone oder Somalia, wir sind Kenia! Wir benehmen uns nicht wie unsere verrückten Nachbarn.“ Es war ein Schock. Zur Erklärung muss man sagen, dass es noch nie so viele Jungwähler gab, für die die Arbeitslosigkeit das Größte Problem darstellt. Die Entscheidung fiel zwischen dem amtierenden Präsident Kibaki, der den Wohlstand steigern wollte, und Raila Odinga, der soziale Probleme und die Schaffung von Jobs in den Mittelpunkt stellte. Man erwartete seinen Sieg und damit einen politischen Bruch mit der Vergangenheit, doch dann drehte sich plötzlich innerhalb eines Tages das Ergebnis. Viele glaubten an Betrug, und es ist bis heute nicht geklärt, warum Kibaki plötzlich so viele Stimmen bekommen hatte. Aber plötzlich ging dieser Riss durch die Gesellschaft, dieses Misstrauen ging um. Es war schrecklich. Hinterher waren viele Kenianer traumatisiert, und sie sind es bis heute. Manchmal denke ich sogar, mein Film kam zu früh und reißt immer noch Wunden auf. Manchmal denke ich, vielleicht hätte ich ihn erst in fünf Jahren machen sollen.