Die Indierocker aus Kabul

Kabul Dreams beim Straßenkonzert. Foto: Majeed Saidi

27. April 2012
Marian Brehmer
„Manchmal scheint es, als wäre alles irgendwie geplant gewesen“, sagt Suleiman Kardesh. Er grinst seinen Bandkollegen Siddique Ahmad an. Nur der dritte im Bunde, Schlagzeuger Mujtaba Habibi, fehlt heute. Es passte einfach alles perfekt, als sich ausgerechnet diese drei Jungs von unterschiedlicher Herkunft zusammenfanden, um Afghanistans erste Indierockband gründeten.

Suleiman, ein schmächtiger junger Mann mit kurzen Haaren, sitzt vor dem Computer. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem das persische Wort für „Frieden“ geschrieben steht. Tagsüber arbeitet Suleiman in der beengten Zentrale von „Kabul Rock Radio“, einem der zahlreichen Radiosender, die in den letzten Jahren in der Hauptstadt entstanden sind. Schon oft hat er Journalisten die Gründungsstory seiner Band erzählt. Seit sich Suleiman, Siddique und Mujtaba vor gut drei Jahren zum ersten Mal trafen ist das Interesse an den „Kabul Dreams“ stetig gewachsen.

Suleiman, der Sänger der Band, wuchs während der Bürgerkriegsjahre im benachbarten Usbekistan auf. Als ethnischer Usbeke, eine der vier Volksgruppen Afghanistans, sprach er bereits die Sprache des Nachbarlands. Dort besuchte Suleiman die Musikschule und lernte Gitarre. In einem Land, das damals viele Moden aus Russland übernahm, waren Rockbands etwas völlig normales.

Auch für Siddique, gebürtiger Paschtune und Bassist, ermöglichte das Leben im Exil Weichenstellungen die im Afghanistan der neunziger Jahre nicht möglich gewesen wären. Als Kabul zum Schlachtfeld der Warlords verkam floh Siddiques Familie nach Pakistan. In Islamabad schloss er sich der entstehenden Rockszene an und gab mit pakistanischen Freunden erste Konzerte.

Mujtaba, ein Tadschike, kam seinerseits im Iran mit dem Schlagzeug in Berührung. Bei seiner Rückkehr nach dem Fall der Taliban freundete er sich in Kabul mit Siddique an. Die beiden spielten zunächst Pop und nahmen Werbemusik auf.

Erst als Suleiman die zwei Musiker für den Rock begeisterte, stand der Stil der neugeborenen Gruppe fest. „Keine andere Musik hat für mich so viel Energie wie Rockmusik“, meint Suleiman.

Ihre Kindheit hatten alle drei fernab der Heimat verbracht. „Kabul ist der Ort, der uns zusammenführte. Hier trafen unsere Träume aufeinander“, sagt Suleiman. „Daher ,Kabul Dreams’“.

Siddique erinnert sich gut an ihre erste gemeinsame Reise. „Kabul Dreams“ waren erst wenige Monate alt. Man hatte sie auf das „South Asian Band Festival“ nach Delhi eingeladen. Eine Rockband aus Afghanistan – das war etwas Neues. Am Kabuler Flughafen beäugte ein Soldat die Pässe der Musiker. Der Mann war erstaunt: ein Usbeke, ein Paschtune und ein Tadschike zusammen im Flugzeug. „Er wollte wissen wie wir zueinander gefunden haben. Erst da wurde mir bewusst, dass wir alle drei ganz unterschiedliche Hintergründe haben“, lacht Siddique. Der muskulöse Bassist hat buschige Augenbrauen und trägt Gel in den Haaren. Lässig lässt er sich gegen die Lehne seines Drehstuhls fallen.

Der Gig in Delhi gab der jungen Band Auftrieb. Zuhause in Afghanistan allerdings erfuhren die Musiker was es bedeutet, Pioniere zu sein. „Bei unserem ersten Konzert in Kabul erwarteten die Zuhörer zuerst klassische Musik“, sagt Siddique. Oder Pop, der seit nunmehr zehn Jahren aus jedem Kabuler Taxi sprudelt. Aber keiner kannte Rock.
Doch dem Publikum schienen die neuen Töne zu gefallen. „Kabul Dreams“ traten bald in Universitäten auf, in Restaurants und im französischen Kulturzentrum. Sicherheit blieb dabei eine ständige Sorge. Ein geplantes Konzert während der Präsidentschaftswahl musste wegen akuter Anschlagsgefahr abgeblasen werden. Suleiman denkt, dass seine Band schon längst auf der Liste von Extremisten steht.

„Aber so lange wir hier Musik machen können, werden wir Afghanistan nicht verlassen“, sagt Siddique. Die ständige Beschäftigung mit Politik ließe den Verstand nicht zur Ruhe kommen, meint er. „Musik war schon immer eine Medizin, die jeden positiv stimmt.“ Afghanistan brauche nicht nur den Wiederaufbau von Infrastruktur, sondern auch einen psychologischen Wiederaufbau.

Die „Kabul Dreams“ sehen sich als Teil dieses Wiederaufbaus. Das Leuchten in den Augen der Konzertbesucher sei schon Beweis genug. Und wenn nur als eine kurze Ablenkung von den hinreichend bekannten Sorgen des Landes.

Allerdings erreichen die „Kabul Dreams“ mit ihren Konzerten nur jene Afghanen, die privilegiert genug sind, die zumeist abgeschirmten Veranstaltungsorte zu besuchen. Aus dieser Selektion wollte die Band an einem Sommertag im letzten Jahr ausbrechen. Ohne großes Nachdenken packten sie Verstärker und Instrumente ein.  Im Viertel Shar-e-Now starteten sie eine spontane Straßenmusik-Show. Einfach so.

Aufgeregt wie zwei Kinder, die etwas Verrücktes getan haben, scrollen Suleiman und Siddique durch die Fotos von jenem Nachmittag. Da stehen Männer im schmutzigen Shalwar Kameez, dem typischen Hosenanzug des einfachen Mannes, und hören zu. Kinder staunen über die Gitarren. Taxifahrer haben ihre Fenster heruntergekurbelt.
Nun hoffen „Kabul Dreams“, den Sprung auf die internationale Bühne zu schaffen. Dabei hilft ihnen die deutsche Promotionsplattform „Sellaband“. Auf Grundlage eines individuellen Finanzierungsplans hilf „Sellaband“ neuen Musikern, im Internet Fangelder für die Aufnahme eines Studioalbums einzusammeln. Je nach Höhe der Unterstützung erhalten Fans im Gegenzug das frische Album oder ein afghanisches Abendessen mit den Jungs. Klappt es mit Geld und Visa, wollen Suleiman, Siddique und Mujtaba im Sommer in Berlin ihr erstes professionelles Album einspielen. Mit der Hilfe von Sponsoren ist auch eine Tournee durch Deutschland geplant.

In Deutschland leben aber wollen die beiden nicht. Suleiman hat zwar schon viel von Berlin und seinen Clubs gehört. Seine Zukunft aber sieht er in Afghanistan: „Als ich außerhalb von Afghanistan lebte hatte ich immer das Gefühl, eines Tages zurückzukehren. Und das ist endlich passiert.“

....
Link zur Fundraising-Website der Band:
www.sellaband.com/kabuldreams
 

Video

Kabul Dreams "Sadae man"

Der Artikel erschien zuerst auf Zeit Online.

Dossier

Afghanistan 2011 - 10 Jahre Internationales Engagement

Nach zehn Jahren internationalem Einsatz in Afghanistan wird im Dezember 2011 eine weitere Afghanistan-Konferenz in Bonn stattfinden. Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt seit 2002 aktiv den zivilgesellschaftlichen Aufbau in Afghanistan und fördert den Austausch zwischen deutscher und afghanischer Öffentlichkeit. Das folgende Dossier gibt Raum für Kommentare, Analysen und Debatten im Vorfeld der Bonner Konferenz zu Afghanistan.