Poets, Essayists, Novelists: 90 Jahre internationale Schriftstellervereinigung

6. September 2011
Ralf Fücks

Als Herbert Wiesner, seines Zeichens Generalsekretär des deutschen PEN-Zentrums, mich auf das Projekt einer Ausstellung zum 90jährigen Geburtstag des Internationalen PEN ansprach, war es für uns die selbstverständlichste Sache der Welt, dass dieses Ereignis in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfinden sollte.

Der PEN war Böll ein Herzensanliegen: als Forum des internationalen Austauschs, als Plattform für öffentliche Interventionen und als Schutzschild für bedrohte Autoren. Er, der allen öffentlichen Ämtern und Repräsentationspflichten abhold war, ließ sich sogar zum Präsidenten der westdeutschen Sektion und dann des Internationalen PEN wählen.

Wir versuchen diese Tradition so gut wir können fortzusetzen, unter anderem mit dem Literaturhaus Langenbroich, dem ehemaligen Rückzugsort Bölls, der heute bedrängten Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt als vorübergehende Zuflucht dient, aber auch mit unserer internationalen Arbeit, in der es um Menschenrechte, freien Meinungsaustausch und interkulturellen Dialog geht.

Aus der Ausstellung, die wir heute eröffnen, will ich nur eine Begebenheit hervorheben, die mir den nervus rerum zu treffen scheint:  Im April 1961, kurz bevor der Bau der Mauer die deutsch-deutsche Spaltung zementierte, lud ZEIT-Herausgeber Gerd Bucerius Autoren aus Deutschland Ost und West nach Hamburg, um die Frage „Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager?“ zu diskutieren. Dabei rief der unzähmbare Freigeist Marcel Reich-Ranicki den Kollegen des ostdeutschen PEN zu:

„Es ist alles sehr schön und gut. Ihr kommt hierher, um über so schöne Sachen zu diskutieren:

‚Am Ende bleibt die Freundschaft, die Literatur‘. Aber es gibt in der Deutschen Demokratischen Republik Schriftsteller, die bis heute im Zuchthaus sitzen! […] Es ist doch wohl angebracht, die Frage zu stellen, was die Freunde vom PEN-Club getan haben, um die Freilassung dieser Schriftsteller zu erreichen.“

Will sagen: Literatur als Brücke zwischen Nationen, Religionen und politischen Systemen ist eine prima Sache – solange diese Mittlerrolle nicht durch das Schweigen über diejenigen erkauft wird, die in Gefängnissen  und Arbeitslagern sitzen, weil sie von der Freiheit des Denkens und Schreibens Gebrauch gemacht haben.

Es ist immer eine traurige, peinvolle Angelegenheit, wenn Intellektuelle die Loyalität zu politischen Systemen, welcher Couleur auch immer, über die Verteidigung der elementaren Freiheiten stellen, von denen in der Gründungserklärung des Internationalen PEN die Rede ist.

Genau auf dieses universelle Engagement für die Freiheit zielte Heinrich Böll, wenn er in einem Gespräch vom September 1968 ausführt: „Die Proteste von Schriftstellern gegen die Verhaftung [der russischen Dissidenten] Daniel und Sinjawski und gegen den Vietnam-Krieg kommen  ja  aus einem Geist.  Das hat man nicht kapiert. Man hat im Osten nur unsere Proteste gegen Vietnam wahrgenommen und  hier [im Westen] nur unsere Proteste gegen die Verhaftung von Daniel und Sinjawski.“

Für Böll gehörte ein Alexander Solschenizyn ebenso zur „Internationalität des Widerstands“ wie ein Fernando Arrabal – in vieler Hinsicht weltanschauliche Antipoden, waren beide unbedingte Wahrheitssucher, die gegen repressive Mächte aufbegehrten. Deshalb musste man für ihre Freiheit eintreten, ob man nun mit ihren Auffassungen übereinstimmte oder nicht. Von dieser Haltung können wir auch heute noch lernen.

In vielen Staaten ist es immer noch hoch riskant, aus der Zwangsjacke der Zensur und Selbstzensur auszubrechen. Das Komitee „Writers in Prison“ listet allein für 2010 mehr als 200 Autoren auf, die zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, 25 ermordete Schriftsteller und zehn, die spurlos verschwanden.

Von den 15 bisher mit dem Hermann Kesten Preis des PEN  ausgezeichneten Autoren wurden Anna Politkowskaja und Hrant Dink ermordet, Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft verurteilt.

Reden wir also über Literatur und Kunst ohne über die Repressionen zu schweigen, denen Autoren und Künstlerinnen ausgesetzt sind.

Ich schließe mit einer zeitlos gültigen Ermahnung unseres Namenspatrons auf dem Deutsch-Niederländischen PEN-Treffen 1970: „Wir dürfen kein Veteranenclub sein.“ Das gilt natürlich nicht nur für den PEN.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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