Historisches Archiv und Heinrich-Böll-Archiv sind zwei verschiedene Einrichtungen
Von Jochen Schubert, Markus Schäfer, Heinrich-Böll-Archiv Köln
Am 3. März 2009 ereignete sich der Einsturz des Gebäudes des Historischen Archivs, Severinstraße 222. Das Historische Archiv der Stadt Köln ist das größte kommunale Archiv in Deutschland und bewahrte neben Urkunden, Karten und Plänen auch etwa 700 private Nachlässe von Musikern und Künstlern, von Dombaumeistern und Architekten, von vielen Kölner Schriftstellern und Schriftstellerinnen (Irmgard Keun, Paul Schallück, Hans Mayer, Hans Bender, Dieter Wellershoff) und auch von Heinrich Böll auf.
Das Historische Archiv der Stadt Köln
140 Regalmeter bildeten den Bestand, den Heinrich Böll 1984 an die Stadt Köln verkaufte und der im Historischen Archiv bewahrt wurde. Dazu zählen sämtliche Typoskripte der ab 1946 entstandenen Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane sowie deren Entwürfe und Vorstufen, darüber hinaus die Niederschriften der essayistischen Texte und Reden. Hinzu kommen ca. 80000 Briefe von und an Heinrich Böll und weiteres dokumentarisches Material, etwa die Nobelpreisurkunde, die Urkunde zur Verleihung der Kölner Ehrenbürgerschaft oder Materialien der beiden PEN-Präsidentschaften Bölls. Im Februar 2009, vier Wochen vor dem Einsturz, verkaufte die Erbengemeinschaft darüber hinaus die noch im Besitz der Familie befindlichen persönlichen Materialien von Heinrich Böll an das Historische Archiv. Dazu zählten die für die Ausstellungen so wichtigen Exponate aus dem Dokumentenarchiv der Erbengemeinschaft (Geburtsurkunde, Abiturzeugnis und Sterbeurkunde) sowie das gesamte Frühwerk, die Briefe aus dem Krieg, wichtige Verlagskorrespondenz und eine umfangreiche Fotosammlung.
Dieser Nachlass von Heinrich Böll, der auf der ersten Etage des sechsstöckigen Magazinturms zur Straßenseite eingestellt worden war, wurde vermutlich vollständig von den Trümmern des Hauses verschüttet. Ursächlich für den Einsturz: Arbeiten im Zusammenhang mit einer von den Kölner Verkehrsbetrieben geplanten U-Bahnstrecke, die sich exakt vor dem Historischen Archiv befindet. Nach bisherigen Erkenntnissen spülte Grundwasser den Boden unter dem Archiv weg, wodurch der Magazinturm nach unten absinkend in sich zusammenbrach. Der untere Teil des Gebäudes – und damit auch die erste Etage – brach zunächst in den durch den Erdrutsch eröffneten Krater ein; der obere Teil des Gebäudes kippte daraufhin vornüber in eine 28 Meter tiefe Baugrube der Haltestelle. Die Feuerwehr geht davon aus, dass der erste Stock, in dem sich der Nachlass befand, durch die aufgetürmten Tonnen Schutt auf einen Meter zusammengestaucht und das Papier durch den Druck zermahlen wurde. Es gibt nur wenig Hoffnung auf unversehrte Dokumente.
Das Heinrich-Böll-Archiv
Das Heinrich-Böll-Archiv hat seinen Sitz am Josef-Haubrich-Hof in Köln und arbeitet intensiv mit dem Historischen Archiv zusammen. Organisatorisch gehören die beiden Archive nicht zusammen, da das Heinrich-Böll-Archiv eine Einrichtung der Stadtbibliothek ist und sich seit der Gründung 1979 als Dokumentations- und Informationsstelle über das Leben und Werk Heinrich Bölls versteht. Dort werden sämtliche Arbeiten von Heinrich Böll, sämtliche Übersetzungen seiner Werke sowie Sekundärliteratur und Zeitungsberichte über ihn gesammelt und katalogisiert.
Eine Erweiterung des Arbeitsspektrums entwickelte sich für das Heinrich-Böll-Archiv in den späteren Jahren vor allem durch das Zusammenspiel mit der Erbengemeinschaft Heinrich Böll sowie der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Verlag Kiepenheuer & Witsch. Das Archiv wurde damit zum Ort zahlreicher und vielfältigster Aktivitäten zu Leben und Werk Heinrich Bölls. Zu den ersten großen, von René Böll initiierten Projekten der Heinrich-Böll-Stiftung, in deren Rahmen das Heinrich-Böll-Archiv erstmals zur Arbeitsplattform wurde, gehörten beispielsweise die Herausgabe des Briefwechsels zwischen Heinrich Böll und Ernst-Adolf Kunz sowie die Ausarbeitung und Herstellung der 40 Plakate umfassenden Ausstellung "Heinrich Böll – Leben und Werk".
Glück im Unglück: Aktuelle Projekte sind nicht bedroht
Die aktuellen und die für die nahe Zukunft geplanten Projekte sind nicht gefährdet. Die Auswertung des im Historischen Archiv gelagerten Böll-Nachlasses durch die Kölner Ausgabe steht kurz vor dem Abschluss (die letzten Bände der Kölner Ausgabe erscheinen 2010). Die für die noch ausstehenden Bände notwendigen Dokumente waren mit Aufnahme der Editionsarbeit an diesen Bänden in die Räumlichkeiten des Heinrich-Böll-Archivs ausgeliehen worden. Die von der Heinrich-Böll-Stiftung geplante Publikation der farbigen Romanschemata ist ebenfalls nicht gefährdet, obwohl einige Pläne unter den Trümmern liegen. Auch die Arbeit an der Herausgabe des Briefwechsels zwischen Heinrich Böll und Lew Kopelew, die gegenwärtig im Auftrag der Stiftung vorbereitet wird, kann ungehindert fortgeführt werden. Alle verfügbaren Briefe zwischen den beiden Schriftstellern liegen zum größten Teil als Originale zumindest aber als Kopie vor.