Dekoloniale Dialoge
Für eine neue Beziehungsethik zwischen Afrika und Europa
Der Kolonialismus als Unrechtssystem und seine Folgen prägen bis heute die Beziehungen zwischen Afrika und Europa. Die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe ist ein vielschichtiger, oftmals widersprüchlicher und vor allem offener Prozess, der in seiner breiten öffentlichen und politischen Rezeption in Deutschland leider noch am Anfang steht. Vor dem Hintergrund einer über Jahrhunderte verflochtenen Geschichte zwischen den beiden Kontinenten kann die systemische Dekolonisierung nur gemeinsam gelingen.
4-teilige Online-Reihe 2022
Die Dekolonialen Dialoge der Heinrich-Böll-Stiftung wollen keine fertigen Antworten liefern, sondern das wechselseitige Lernen in Begegnung fördern. Als digitale, interaktive Denkwerkstatt wollen sie zum inklusiven Empfinden, Sehen und Sprechen jenseits der gängigen Stereotype und ausgrenzender Normierungen anregen. Es geht dabei um Impulse und Erfahrungen, die vielstimmig, offen und unfertig sind und bleiben können.
Die spannende Frage ist: Wie können daraus transformative Schritte für postkoloniale Realitäten in Europa und Afrika und in den Beziehungen zueinander erfolgen? Das Ende bleibt offen!
Die Dekolonialen Dialoge der Heinrich-Böll-Stiftung widmen sich der Frage, wie eine neue Beziehungsethik zwischen Europa und Afrika in Folge einer Aufarbeitung dieser gemeinsamen Geschichte ermöglicht werden könnte. Wie kann die Erinnerung an Kolonialgewalt, Versklavung, Zwangsarbeit, Enteignung und Zerstörung zum Ausgangspunkt für die Gestaltung einer postkolonialen Zukunft werden? Was ist von den ehemaligen Kolonialmächten an Rückgaben und Reparationen zur symbolischen und materiellen Entschädigung für historisches Unrecht zu leisten? Welche Kräfte könnte die Anerkennung der Kolonialgeschichte dann freisetzen für gemeinsame Beiträge zur Bearbeitung globaler Herausforderungen?
Die Dialoge wollen neue Räume schaffen, um bisher unterbelichtete Aspekte der öffentlichen Rezeption von Dekolonisierung offenzulegen und Gespräche auf der Basis von Multiperspektivität und Polyzentrismus zu ermöglichen. Mit dem Auftakt „Freisetzung der Kräfte“ gehen wir gemeinsam auf aktuelle Herausforderungen der dekolonialen Transformation zu und führen in die drei in der Dialogreihe folgenden Themenbereiche ein.
Mit:
Dr. Philmon Ghirmai, Landesvorsitzender Bündnis 90 / Die Grünen Berlin
Dr. Toni Haastrup, Senior Lecturer Internationale Politik, University of Stirling, Schottland
Dr. Mahret Ifeoma Kupka, Kunstwissenschaftlerin / Kuratorin, Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt a. M.
Diakon Adelino Massuvira João, Diplom Sozialpädagoge, Sprecher des Fortsetzungsausschusses "Respekt und Anerkennung", Suhl
Moderation: Aisha Camara
Mitschnitt vom 01. März 2022
Als übergreifender geschichtlicher Kontext erweist sich der Kolonialismus als europäisches Projekt trotz unterschiedlicher nationaler Ausprägungen. Die Eroberung anderer Kontinente war eine wesentliche Grundlage für hiesigen Wohlstand und eigene Identität. Die Neuordnung der Welt nach dem zweiten Weltkrieg bedeutete keineswegs eine Zäsur: Der europäische Einigungsprozess erfolgte in Teilen als spätkoloniales Projekt, das europäisch-afrikanische Beziehungen nach altem Denken fortschrieb. Beispielsweise durch die zollfreie Einbeziehung der Kolonien in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft durch die Römischen Verträge von 1957.
Wie kann die Überwindung der (neo)kolonialen Außenbeziehungen und der inneren Verfasstheit Europas durch Zusammenarbeit auf dem Kontinent in die Wege geleitet werden? Welche Vorstellungen haben die afrikanischen Gesellschaften für eine neue Beziehungsethik mit Europa und deren institutionelle Ausformung in politischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht?
Moderation: Aisha Camara
Mit
Dr. Yvette Abrahams, Lehrbeauftragte "San and Khoi Unit", University of Cape Town, Südafrika
Dr. Selly Ba, Soziologin, Programmkoordinatorin hbs, Dakar
Prof. Dr. Peo Hansen, Autor von "Eurafrica", Linköping Universität, Schweden
Prof. Dr. Facil Tesfaye, Juniorprofessor & Direktor Programm Afrikastudien, Universität Hong Kong
Moderation: Aisha Camara
Mitschnitt vom 06. April 2022
III Erzählungen der Objekte
10. Mai 2022 17.00 – 19.00 Uhr
Wichtiger Kristallisationspunkt für die Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe sind die zahllosen Objekte aus kolonialen Zusammenhängen in europäischen Museen. Die langjährigen Rückgabeforderungen der Herkunftsländer wurden und werden in Europa zumeist ignoriert oder aktiv abgewehrt. Aber der Druck wächst; erste Rückgaben sind zu verzeichnen. Viele Museen in Europa befassen sich inzwischen selbstkritisch mit ihrem kolonialen Kern und suchen nach postkolonialer Identität.
Die beginnenden Gespräche über koloniale Sammlungsgüter und museale Praktiken eröffnen ein tieferes Verständnis der Folgen kolonialer Gewalt für die Ursprungsgesellschaften durch Auslöschung ihrer kulturellen, spirituellen und religiösen Identität. In Europa zeigt sich die koloniale Dimension der Sammlungspraktiken durch kontextverfremdende, musealisierte Präsentation, mit der die Unterwerfung „der Anderen“ symbolisch inszeniert wird.
Wie kann aus den objektbezogenen Dialogen eine andere Beziehungsethik erwachsen, die die bedingungslose, permanente Übertragung der Eigentumsrechte an die Ursprungsgesellschaften nicht als Schlussstrich, sondern als Anfang einer neuen Kooperationskultur versteht?
Moderation: Aisha Camara
Mit
Stefanie Bach, Kuratorin für Global Art History, GRASSI Museum für Völkerkunde, Leipzig
Dr. Mahret Kupka, Kunstwissenschaftlerin / Kuratorin, Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt a. M.
Dr. Yann LeGall, Projektleitung "The restitution of knowledge: artefacts as archives in the (post)colonial museum", TU Berlin
Chao Tayiana, Historikerin und Expertin für digitales Erbe, Gründerin "Open Restitution Africa", Nairobi
Ibrahima Thiam, Kunstfotograf, Dakar
Moderation: Aisha Camara
Mitschnitt vom 10. Mai 2022
IV (De)Koloniale Erinnerung in der DDR
21. Juni 2022 17.00 – 19.00 Uhr
Ein besonderes Merkmal der kolonialen Erinnerung in Deutschland ist der getrennte Weg von Ost und West zwischen 1945 und 1989. Der unterschiedliche Zugang der DDR zeigt sich beispielsweise in der wissenschaftlichen Forschung zur Kolonialvergangenheit und in der Solidaritätsarbeit zu antikolonialen Kämpfen im Globalen Süden. Mit Blick auf ehemalige Vertragsarbeiter*innen aus Afrika, beispielsweise Mosambik, stehen immer noch ungelöste Entschädigungsfragen auf der deutschen Tagesordnung. Auch die Lebensbedingungen Schwarzer Menschen in der DDR und in der Nachwendezeit haben bislang in öffentlichen und politischen Debatten nicht ausreichend Beachtung gefunden.
Wie können diese Geschichten und spezifischen Erfahrungen (in) der DDR beim Umgang mit dem kolonialen Erbe und bei der Dekolonisierung gleichrangigen Eingang in die deutsche Erinnerungsarbeit finden?
Moderation: Aisha Camara
Naita Hishoono, Leiterin, Namibia Institute for Democracy, Windhoek
Peggy Piesche, Fachbereichsleiterin „Politische Bildung und plurale Demokratie“, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn
Katharina Warda, Autorin / Soziologin/ Literaturwissenschaftlerin
Dr. Hans-Joachim Döring, Religionspädagoge, Ko-Sprecher des Fortsetzungsausschusses „Für Respekt und Anerkennung“
Moderation: Aisha Camara