Chiranuch Premchaiporn ist Mitbegründerin und Leiterin der regierungskritischen und unabhängigen thailändischen Netzzeitung Prachatai («Free People»). Wegen Königsbeleidigung wurde sie angeklagt und verurteilt – aber nicht zum Schweigen gebracht.
Frau Chiranuch Premchaiporn, Sie glauben an den demokratischen Nutzen des Internets – warum?
Immer mehr Menschen gehen hier in Thailand online und beteiligen sich an politischen Diskussionen. Das Internet lebt vom kollektiven Austausch der Nutzerinnen und Nutzer; es hat also als Medium selbst schon eine demokratische und dezentralisierte Form.
In Thailand wurde die Meinungs- und Medienfreiheit in den vergangenen Jahren aber immer weiter eingeschränkt.
In der Tat: Staatliche Zensur und sehr restriktive Gesetze begrenzen die Möglichkeiten, das Internet zu nutzen. Dazu kommt, dass das Internet in diesem Land noch relativ wenig verbreitet ist.
Auch deswegen wird in der Debatte um das demokratische Potenzial des Internets oft die Kluft zwischen Online- und Offlineaktivität beklagt. Was sagen Sie dazu?
Ich bin davon überzeugt, dass Onlineaktivität sehr wohl dazu beitragen kann, dass sich auch außerhalb des Netzes Bewegungen formieren. Der Funke kann überspringen. Ein Beispiel: Nach dem Coup im Jahr 2006 in Thailand dauerte es nur einen Tag, bis sich Gruppen zum Protest formiert hatten. Früher hätte das mehrere Tage oder sogar Monate gedauert. Und diese ersten Gruppen, wie zum Beispiel « Saturday People Against Dictatorship », haben sich über das Internet kennengelernt und haben dann gemeinsame Aktionen geplant. Eine Gesellschaft verändert sich, wenn eine kritische Masse bereit ist und neue Ideen in sich trägt. Und die kann sie auch über das Internet vermitteln.
Thailand ist momentan in einer schwierigen politischen Krise. Kann das Internet, kann Prachatai eine Plattform sein, um einen Prozess der Aussöhnung zu unterstützen?
« Reconciliation » oder Aussöhnung, das bedeutet ja nicht: vergeben und vergessen. Es bedeutet, dass alle Seiten die Chance bekommen, ihre Meinung zu sagen. Und Prachatai beleuchtet vor allem die Geschichten von Menschen, die von anderen Medien vernachlässigt werden. Ich will dem Internet nicht zu viel Gewicht beimessen, aber es ist in jedem Fall eine Plattform, auf der sich alle Beteiligten auseinandersetzen können.
Das Gesetz in Thailand macht jeden Internet Service Provider und Betreiber von Webseiten für die Inhalte verantwortlich und droht mit hohen Gefängnisstrafen. Auch Sie wurden angeklagt und verurteilt. Sie arbeiten weiter – haben Sie keine Angst?
Die Anwendung dieses Gesetzes ist sehr selektiv. Niemand weiß, ob es ihn treffen wird oder nicht. Wenn wir Informationen im Internet kommunizieren, ist das natürlich mit einem Gefühl der Angst verbunden. Viele Gruppen entscheiden sich deshalb, in den Untergrund zu gehen.
Wie werden Sie sich schützen?
Prachatai will weiterhin transparent arbeiten. Aber wir mussten das Forum schließen. Als Webmaster bin ich gesetzlich verpflichtet, jeden auf der Seite geposteten Inhalt auf Rechtmäßigkeit zu prüfen. Und ich bin letztlich verantwortlich, ob ich den Inhalt kenne oder nicht. Das konnte ich bei den vielen Beiträgen einfach nicht mehr leisten.
Seit vielen Jahren setzen Sie sich auch für Frauenrechte ein. Welche Rolle können Online-Medien hier spielen?
Die Mainstream-Medien schließen bestimmte Gruppen aus, ihre Vorstellungen finden keinen Platz. Wenn es um Genderthemen geht, dann wurde das vor den Zeiten des Internets im medialen Mainstream meist von « Experten » diskutiert, es war der Versuch, eine « Subkultur » von außen zu erklären. Das Internet gibt all diesen Gruppen jetzt die Möglichkeit, selber das Wort zu ergreifen. Das ist eine große Chance, Stereotype aufzulösen.
Chiranuch Premchaiporn ist Direktorin und Webmasterin von Prachatai, einer alternativen Thai News-Website, die 2004 gegründet wurde. Sie ist auch Mitbegründerin von Thai Netizen Network, einer Gruppe, die sich für Rechte im Zusammenhang mit digitalen Medien einsetzt. 2011 gewann sie den «Courage in Journalism Award» der International Women's Media Foundation für ihre Arbeit und ihren persönlichen Einsatz im Bereich Medienfreiheit. Im selben Jahr gewann sie auch den Human Rights Watch «Hellman/Hammet Award». Sie lebt und arbeitet in Bangkok.
Marisa Elisa Schlacher studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Im Sommer 2012 war sie Praktikantin bei der Heinrich-Böll-Stiftung im Bangkoker Büro, wo sie beim Media for Democracy Programme mitgearbeitet hat.