Pakistan: Regierung mit dem Rücken zur Wand

Stacheldraht vor dem Innenministerium in Islamabad. Foto: Gregor Enste 

4. März 2011
Britta Petersen
Nein, die Bilder werden sich nicht wiederholen. Der jüngste politische Mord in Pakistan – am Minister für Minoritäten, Shabaz Bhatti – hat eine andere Qualität als jener an Salman Taseer im Januar, dem liberalen Gouverneur der ostpakistanischen Provinz Punjab. Es gibt keinen Attentäter, der sich selbstgefällig lächelnd festnehmen lässt und auch keine Sicherheitskräfte, die dem Mörder tatenlos zuschauen. Shahbaz Bhatti starb ganz allein. Begleitet nur von seinem Fahrer. Die pakistanischen Taliban namens Therik-e-Taliban haben sich zu dem Mord bekannt. Der Täter floh unerkannt.

Niemand wird Rosenblätter über den Mörder schütten und kein Anwalt wird sich anbieten, seine Verteidigung umsonst zu übernehmen, so wie es beim Attentat auf Salman Taseer geschah. Dieser war eine Figur der liberalen Oberschicht – Whisky-trinkend, geschieden, uneheliche Kinder, das volle Programm – und wurde deshalb von den puritanischen Kräften, die ihn ermordeten, aus tiefstem Herzen gehasst.

Shahbaz Bhatti hingegen war ein einfaches Opfer. Er war der einzige Christ im Kabinett von Premierminister Jusuf Raza Gilani und dabei Angehöriger einer Minderheit, die in Pakistan am Rande der Gesellschaft steht. Die meisten Christen sind Kinder von Unberührbaren, das indische Kastensystem lebt auch im islamischen Pakistan fort. Sie konvertieren in der Hoffnung, als Christen nicht länger Unberührbare zu sein. Shahbaz Bhatti hatte trotz seines Amtes keinen Personenschutz und die, die in den letzten Tagen seines Lebens mit ihm sprachen, sagen, er habe seinen Tod erwartet – in der Nachfolge Christi.

Abgesehen von ihrer Zugehörigkeit zur Regierungspartei PPP hatten diese beiden so unterschiedlichen Männer also kaum etwas gemein – außer ihrem mit selbstmörderischer Sturheit anmutenden Kampf gegen das Blasphemie-Gesetz Pakistans. Dieses war unter Diktator Sia eingeführt worden und ermöglicht theoretisch Angriffe auf den Koran mit lebenslanger Haft und Beleidigung des Propheten Mohammed mit der Todesstrafe zu ahnden. Das Gesetz wird heute in Pakistan von radikalen Geistlichen zur Unterdrückung Andersgläubiger, aber auch aus unpolitischen Gründen einfach zur Diffamierung instrumentalisiert.

Bhatti und Taseer hatten daher gute Gründe, gegen das Gesetz zu sein. Jeder der beiden hatte erkannt, dass er derzeit Gefahr läuft, alles zu verlieren, was sein Leben in Pakistan ausmacht. Die liberale Oberschicht ihren westlichen Lebensstil, die Minderheiten ihre ohnehin schon schwierige Heimat.

Denn wenn die Kräfte, die Taseer und Bhatti ermordet haben, sich durchsetzen sollten – und diese Möglichkeit ist nicht unwahrscheinlich – wird in Pakistan ein puritanischer Islam regieren, der seit jeher der Meinung ist, dass das Land nur als "Heimstatt für die südasiatischen Muslime" eine Berechtigung hat – so der Gründungsmythos. Für Anhänger anderer Religionen und Weltanschauungen, und dazu kann auch der Säkularismus zählen, ist darin kein Platz.

Dabei ist der Kampf gegen jegliche Änderung des Blasphemie-Gesetzes, das jetzt schon das Schärfste in der muslimischen Welt ist, nur ein Mittel, um die gewachsene Zahl derer hinter sich zu scharen, die der Meinung sind, Pakistan sollte islamischer werden. Und das sind viele. Es ist die "Generation Sia", aufgewachsen mit Lehrplänen, die unter Militärdiktator Sia al-Haq in den siebziger Jahren verfasst wurden. Sia ließ all das hineinschreiben, was man nun auf der Straße und in der veröffentlichten Meinung hören und lesen kann: Hass gegen Indien, abenteuerliche Geschichtsklitterung und vor allem die "Notwendigkeit" zum Dschihad, zum heiligen Krieg.

Spätestens nach dem Mord an Gouverneur Taseer wurde deutlich, dass die Saat der siebziger Jahre aufgegangen ist. In der öffentlichen Diskussion um das Attentat herrschte auch unter vielen jungen Menschen aus der Mittelklasse der Tenor: Taseer verdiente den Tod, ausführlich begründet mit Verweisen auf den Koran.


Liberale werden zur Minderheit

Auch deshalb steht die Regierung auf einmal mit dem Rücken zur Wand. Lange Zeit haben die liberalen Kräfte geglaubt, nur einige Fanatiker an der Grenze zu Afghanistan wollen ein anderes Pakistan. Doch das ist ein Irrtum. Zusammengenommen bilden die Taliban, Teile der Armee und ein immer größer werdender Teil der Mittelklasse heute eine Mehrheit.

Erfolgreich haben dabei die Islamisten jene Taktik kopiert, mit denen es schon den britischen Kolonialherrschern gelang, das große Indien zu unterjochen: Teile und herrsche! Arm gegen Reich, Christen gegen Muslime, Muslime gegen Hindus, Schiiten gegen Sunniten, Punjabis gegen Paschtunen, Paschtunen gegen Sindhis, Intellektuelle gegen Großgrundbesitzer und alle gegen die kleine muslimische Reformsekte der Ahmadis.

Jeder kämpft so allein in Pakistan und am Ende spielen sie denen in die Hände, die seit jeher wissen, was sie wollen: ein islamisches Kalifat in Südasien und die islamische Atombombe.

Und der Westen? Der stellt – wie immer – die falsche Frage: Wäre es da nicht am besten, wenn die Armee wieder übernähme? Wer so fragt, übersieht, dass der Sicherheitsapparat in Pakistan Teil des Problems ist. Teile des Offizierscorps sind selbst Islamisten. Der Mörder Taseers war Mitglied einer Eliteeinheit. Die Armee kämpft in Teilen des Landes gegen die Taliban und in anderen lässt sie Terrorgruppen gewähren, weil diese noch in Kaschmir gegen Indien gebraucht werden.

Südasien und der arabische Raum haben außer der Religion wenig gemeinsam. Aber vielleicht lässt sich aus dem aktuellen Lauffeuer der arabischen Revolutionen doch zumindest eines für die Politik gegenüber Pakistan lernen: Hört auf, Diktatoren und autoritäre Kräfte zu unterstützen! Denn früher oder später erntet man in der Politik, was man sät. In Pakistan ist jetzt Erntezeit.

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Die Autorin Britta Petersen ist Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Pakistan. Dieser Artikel erschien zuerst auf Zeit.de und wird hier mit freundlicher Genhemigung zweitveröffentlicht.