Mit Leidenschaft und Verstand

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Bärbel Bohley. Foto: Ann-Christine Jansson. Copyright: www.jansson-photography.com

Zum Tod von Bärbel Bohley

14. September 2010

» Gedenkveranstaltung und Trauerfeier für Bärbel Bohley

Von Wolfgang Templin

Es heißt, dass die friedliche Herbstrevolution 1989 in der DDR keine „Köpfe“ hervorgebracht habe. Falscher kann ein Satz nicht sein. Diese Revolution brachte keinen Vaclav Havel und keinen Jacek Kuron hervor, die als Intellektuelle Oppositionelle in Tschechien und Polen lange vorher europäische Namen und Geltung hatten. Es gab Intellektuelle wie Jens Reich und Wolfgang Ullmann, es gab die Volkstribunen der friedlichen Demonstrationen und prägende Persönlichkeiten der Runden Tische.  Zum Symbol dieser stürmischen Wochen und Monate wurde jedoch die Malerin Bärbel Bohley. Geboren im letzten Kriegsjahr 1945 war sie Berlinerin mit Leib und Leben. Sie rebellierte gegen das freiheitsverweigernde, menschenverachtende SED-System mit den Instinkten und der Leidenschaft einer Künstlerin. Ihr standen Menschen vor Augen, die sich der verordneten Lüge und Heuchelei entzogen, die den Mut fanden „Nein“ zu sagen und das wahre Leben im Falschen riskierten. Anders als Robert Havemann, der Altkommunist und spätere Oppositionelle , den sie gut kannte und mit dessen Frau Katja sie eng befreundet war, kämpfte sie sich nicht durch das Gestrüpp der kommunistischen Ideologie und entwarf keine sozialistischen Zukunftsvisionen.

Bärbel wollte handeln und nicht unendlich diskutieren. Ob es die Gruppe „Frauen für den Frieden“ war, die sie Anfang der achtziger Jahre mit begründete oder die im Herbst 1985 entstandene „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM) - immer ging es um Zusammenschlüsse, die eine Furchtschwelle überwanden, einen Tabubruch riskierten. Die „Frauen für den Frieden“ versetzten halb Ostberlin in Aufruhr, wenn sie als Gruppe „Schwarzer Witwen“ das Postamt am Alexanderplatz lahmlegten, weil sie dort gegen die geplante Einführung des Wehrersatzdienstes für Frauen demonstrierte. Da ihr Drang in die Öffentlichkeit nicht an den Grenzen der DDR haltmachte, fanden sie bald Verbündete in der Bundesrepublik, in West- und Osteuropa. Petra Kelly und Eva Quistorp, Lukas Beckmann und Milan Horacek wurden zu solidarischen Weggefährten, lange vor 1989.
Bei den „Frauen für den Frieden“ waren es die phantasievollen Aktionsformen und die erfolgreiche Suche nach internationalen Verbündeten, welche die  SED-Mächtigen in Panik stürzte, bei der „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ das selbstbewusste Agieren als Oppositionsgruppe, welche sich auf die Erfahrungen der mittelosteuropäischen Dissidenten berief und den Kontakt zu deren Vertretern fand.  Die Lektion der Solidarność wirkte.

Den Strategen der SED und des Ministeriums für Staatssicherheit gelang es, Bärbel Bohley und ihren damaligen Lebensgefährten Werner Fischer Anfang 1988 mit DDR-Pässen in den Westen zu pressen. Wie andere Mitglieder der IFM gehörten sie zu den Verhafteten im Umfeld der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration und wurden im Zuchthaus Hohenschönhausen unter starken Druck gesetzt, das Land zu verlassen. „Nicht länger als ein halbes Jahr“ war ihre Entscheidung. Kaum einer der Freunde wagte an ihre schnelle Rückkehr zu glauben, die SED-Spitze sah Bohley und die anderen Oppositionellen für immer im Westen und atmeten auf.

Kurz vor Ablauf des halben Jahres erhielt sie die höhnische Auskunft, dass sie als gefährliche Staatsfeindin ja wohl nicht damit rechnen könne, wieder in die DDR einreisen zu können. Ihre Antwort war knapp: „Ich werde zum vereinbarten Termin an der Grenze stehen. Sollten Sie sich weigern mich in die DDR zu lassen, setze ich mich auf die Westseite des Checkpoint-Charlie und trommele dort jeden Tag die Weltpresse zusammen. Mal sehen, wie lange Sie das aushalten.“
Bärbel Bohley kehrte im August 1988 in die DDR zurück, in ein Land, geprägt von den Zeichen des Verfalls und den ersten Signalen des Aufbruchs.

Der Herbst und Winter 1989/90 sah sie als Treibende und Getriebene zugleich. Sie konnte und wollte nicht glauben und wahrhaben, dass Menschen, die den Mut zur Selbstbefreiung aufbrachten und sich einem waffenstarrenden System entgegenstemmten, kurze Zeit später bereit waren ihre eigenen Angelegenheiten wieder in andere Hände zu legen, weil sie den Verheißungen der großen bundesdeutschen Parteien und der „blühenden Landschaften“ folgten. Hader mit den neuen Mehrheitsverhältnissen und den Realitäten des Vereinigungsprozesses war ihre Sache nicht, scharfe Kritik und Ablehnung einer DDR-geprägten Untertanenmentalität sehr wohl. Als sie in den späteren neunziger Jahren das Gefühl hatte, zur „Saure-Gurken-Emmi“, zum Kummerkasten der Nation zu werden, entsprach es ihrem Naturell, sich eine neue Aufgabe zu suchen, die sie bei Hilfs- und Aufbauprojekten in Kroatien fand. Erst die Krebskrankheit konnte ihre Energie zum Erlahmen bringen.

Freiheit und die damit verbundenen Chancen von Selbst- und Mitgestaltung einer offenen Gesellschaft damit war ihr Verständnis von Demokratie verbunden. Ihr oft zitierter und in aller Regel missverstandener Satz: „Wir wollten Gerechtigkeit und haben den Rechtsstaat bekommen“, ist alles andere als eine Abwertung von Rechtsstaat und Gewaltenteilung. Er drückt einen Anspruch an Demokratie aus, dem Streben nach Gerechtigkeit und menschlichem Miteinander Raum zu geben, sich nicht in Institutionen und Prozeduren einzugrenzen, so wichtig diese als Voraussetzung sein mögen.

Wie hätte Bärbel jetzt vielleicht gesagt: „Na Wölfchen, schön hast Du das wieder ausgedrückt“…


Wolfgang Templin ist Leiter des Büros Warschau der Heinrich-Böll-Stiftung.
Templin war Mitbegründer der DDR-Menschenrechtsgruppe "Initiative Frieden und Menschenrechte", die Protestaktionen gegen Menschenrechtsverletzungen in der DDR durchführte. Jahrelang wurde er von der Staatssicherheit überwacht, schließlich 1988 inhaftiert und zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland gezwungen. Im Zuge der friedlichen Revolution des Herbstes 1989 kehrte er in die DDR zurück und nahm für die "Initiative für Menschenrechte" am Runden Tisch teil. 1991 gehörte er zu den Gründern der Partei Bündnis 90, verließ die Partei jedoch 1993 nach deren Vereinigung mit den Grünen wieder.

Bärbel Bohley,
Besetzung der Stasi-
zentrale, Berlin 1990 (Quelle: Bundes-
archiv, wikipedia.org)

Im Westen wird sich viel durch den Osten ändern

Im Gespräch: Bärbel Bohley, Juli 1991

Wie konnte man in der DDR zu solch einer Person ohne Angst und mit geradem Rückrat werden, wie Bärbel Bohley es war? Das wollte ich im Sommer 1991 für die Zeitschrift aus Frauensicht „Ypsilon“ herausbekommen. Geredet haben wir in ihrer Wohnung in der Fehrbelliner Straße. Sie war damals genervt, dass man sie „Als Mutter der Nation“ bezeichnete. Welche Rolle habe ich eigentlich? fragte sie und begann über sich zu erzählen.
Das Gespräch wurde von ihr autorisiert, dann jedoch nicht veröffentlicht. Heute – im Jahr zwanzig nach der Wende und nach ihrem Tod – ist es eine kleine Zeitreise. Von Annette Maennel  mehr»

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