Verhandlungen über EU-Finanzrahmen: Anmerkungen zum Verhältnis von Bakschisch und Rechtsstaatlichkeit

Die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt im Rahmen der Konferenz zum EU-Finanzrahmen.
Foto: European Union 2012 EP/Pietro Naj-Oleari, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

18. Februar 2013
Michaele Schreyer

Man stelle sich vor, die Verhandlungen über Höhe und Inhalt des Bundeshaushalts einschließlich der Finanzzuweisungen an die Länder und auch die Verhandlungen über die Finanzierung der Bundesausgaben lägen primär in der Hand der Ministerpräsidenten der Bundesländer. Der Bundesfinanzminister hätte zwar die Entwürfe einbringen dürfen, wäre selbst an den Verhandlungen aber nicht direkt beteiligt und auch die Bundeskanzlerin könnte zwar ab und zu einwenden, dass man doch eigentlich was anderes erreichen wollte, wäre aber ansonsten hauptsächlich zum Nachrechnen dabei. Die Ministerpräsident/innen würden hinter verschlossenen Türen verhandeln, es wäre Einstimmigkeit erforderlich und jeder würde im Zwiegespräch mit dem Bundesratspräsidenten die Bedingungen für seine Zustimmung stellen. Eine Möglichkeit, Gleichbehandlung einzuklagen, gäbe es nicht.

Bei solchen Bedingungen käme auch im Bundesrat schnell Basarstimmung auf und die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung und Transparenz würden vom Feilschen um das größtmögliche Bakschisch für die Zustimmung verdrängt. Kaum verwunderlich wäre dann, dass am Schluss der Rotstift hauptsächlich bei denjenigen Bundesausgaben angesetzt würde, die nicht in der einen oder anderen Form in die Bundesländer zurückfließen, zum Beispiel beim außenpolitischen Budget, und selbstverständlich bei den Bundesbeamten, deren Hereinreden in Landesangelegenheiten sowieso ein Ärgernis ist.

Würden dann auch noch die Finanzierungsregelungen für den Bundeshaushalt im gleichen Verfahren verhandelt, dann läge das Hauptinteresse der reichen Bundesländer vielleicht weniger darin, Extrawürste aus dem Bundestopf herauszuholen, als vielmehr darin, möglichst wenig Mittel in diesen hineinzugeben. Wer besonders reich ist und deshalb von einigen Bundesprogrammen weniger abkriegt, könnte einen Beitragsrabatt zur Bedingung seiner Zustimmung zum Bundeshaushalt machen, um in Zukunft nur noch einen geringen Anteil – sagen wir vom eingenommen Mehrwertsteueraufkommen – an den Bund abführen zu müssen. So ein Rabatt für die reicheren Bundesländer ist doch gerecht, da sie ja schließlich weniger Geld aus den Programmen für ärmere Bundesländer erhalten! Oder?

Nun gäbe es aber noch die Notwendigkeit, dass auch der Bundestag dem Ergebnis für den Bundeshaushalt zustimmt. Wird er das machen? Eigentlich kann das Parlament doch froh sein, dass die Ministerpräsidenten sich überhaupt auf den Finanzrahmenrahmen für den Bundeshaushalt geeinigt haben. Und außerdem verspricht man dem Bundestag – wie immer – , dass man nach einiger Zeit bereit sein könnte, nochmals nachzudenken. Wenn das kein Zustimmungsanreiz ist!

Freilich – dieses fiktive Vergleichsszenario mit den Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen für das EU Budget hinkt. Die EU ist schließlich kein Bundesstaat, sondern ein politisches Gebilde sui generis. Da sind die Kompetenzen zwischen den Institutionen anders verteilt. Zudem ist der mehrjährige Finanzrahmen ein EU-spezifisches haushaltspolitisches Instrument. Es dient der Sicherung von Haushaltsdisziplin und Planbarkeit von mehrjährigen Programmen, deren Ausführung zu einem erheblichen Teil den Mitgliedstaaten obliegt. Und die Beschlussfassung hierüber mit ihrer Aufteilung der Rechte zwischen den beiden Armen des EU-Haushaltsgesetzgebers Rat und Parlament erfolgt nicht nach dem mittlerweile in den meisten Feldern europäischer Politik bestehenden ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, sondern nach einem besonderen Verfahren, das erheblich von dem in Nationalstaaten üblichen Budgetprozessen und auch von dem jährlichen Haushaltsverfahren auf EU-Ebene abweicht.

Basarstimmung im Europäischen Rat

Dennoch gilt bei allen Besonderheiten für das politische Gebilde der EU: Einer der Grundwerte, auf denen die EU beruht und den die EU nicht müde wird für sich zu reklamieren und von anderen einzufordern ist Rechtsstaatlichkeit. Rechtsstaatlichkeit bedeutet für den öffentlichen Haushalt, dass die Regeln für die Verteilung von Ausgaben und die Regeln für die Erhebung von Einnahmen für alle gelten und dass diese Regeln transparent und nachvollziehbar sind und in einem eben diesen Kriterien folgenden Verfahren festgelegt werden.

Aber alles dies wurde von den Staats- und Regierungschefs in dem 26 stündigen Poker über den Finanzrahmen wieder einmal außer Kraft gesetzt. Mehr denn je zuvor. Zwar lag das gesamte umfangreiche Paket der Gesetzesvorschläge der Kommission über die Ziele der einzelnen Förderprogramme und die Kriterien ihrer Verteilung auf dem Tisch (1) und die Beratungen von Rat und Parlament hierüber sind teils weit gediehen. Aber es fehlt neben der Einigung auf einzelne Förderbestimmungen insbesondere noch die Einigung über das Volumen der verfügbaren Fördermittel für die einzelnen Programme – vom Forschungsprogramm Horizon 2020 über die Förderung des ländlichen Raums und den Asyl- und Migrationsfonds bis zum Programm für die Förderung von Demokratie und Menschenrechten in der Welt. Die Verhandlungen im Europäischen Rat drehten sich aber im wesentlichen um Sonderzuweisungen – sprich Extrawürste - und um Beitragsrabatte – als Preis für die jeweilige Zustimmung von 27 Staats- oder Regierungschefs.

Wer dachte, dass das Basarverhalten im Europäischen Rat unter der Verhandlungsführung von Tony Blair vor 7 Jahren seinen Gipfel erreicht hätte, sah sich nun eines anderen belehrt. Zwar traf nicht ein, was Wolfgang Schüssel, damals österreichischer Bundeskanzler für die nächsten Finanzverhandlungen prophezeit hatte: das nächste Mal gehen wir uns an die Gurgel. Aber die Inszenierung war die eines Kampfes um die eigenen nationalen Interessen. Am Ende durfte die Öffentlichkeit auf den jeweiligen, aber im Tenor ziemlich gleichen nationalen Pressekonferenzen der Staats- oder Regierungschefs erfahren, dass er oder sie genau das erreicht habe, was er oder sie schon vor Beginn der Verhandlungen als nationales Verhandlungsziel genannt hatte. Das befriedigt die nationale Presse, die längst dazu übergegangen ist, von den Europäischen Gipfeln eine Art Boxkampf-Berichterstattung zu liefern. Um ein gemeinsames Ergebnis zu erreichen, habe man aber – so der sich wiederholende Tenor - akzeptiert, dass auch die anderen ihre nationalen Interessen durchgesetzt sehen wollten. Und das europäische Interesse? Dem sei man doch dadurch nachgekommen, dass man sich schließlich und tatsächlich geeinigt habe.

Die Bakschisch-Liste der vereinbarten Sonderzuweisungen ist lang und in der Summe milliardenschwer. Im Bereich der Strukturfonds reicht sie von 150 Millionen Euro für Madeira und 500 Millionen für die Extremadura, über 200 Millionen für Mayotte bis hin zu 200 Millionen für Leipzig und 75 Millionen für Slowenien. In der Summe sind es mehr als 9 ½ Milliarden Euro, die außerhalb der Regeln verteilt werden. Im Bereich der Landwirtschaft reichen die Sonderzuweisungen von 700 Millionen für Österreich und 1 Milliarde für Frankreich über 20 Millionen für Luxemburg und 7 Millionen für Zypern bis hin zu 600 Millionen für Finnland. In der Summe kommen so weit mehr als 6 Milliarden € zusammen.

Kein Wunder, dass am Ende der Beratungen insbesondere bei den Ausgaben, die nicht ex ante an die Mitgliedstaaten zugeteilt werden und beim außenpolitischen Budget gestrichen wurde, um die gewollte Gesamtkürzung des EU-Budgets zu erreichen. Bei der Ausgabenkategorie „ Sicherheit und Unionsbürgerschaft“ und im außenpolitischen Budget stehen jetzt Zahlen im Verhandlungsergebnis, die um 20% niedriger sind als im Vorschlag der Kommission. Dabei hat der Europäische Rat nicht spezifiziert, an welchem Programm der Rotstift ansetzen soll, sondern die Absenkung der Zahlen erfolgte pauschal. Ohne Erörterung. Das Interesse der Staats- und Regierungschefs an diesen Bereichen europäischer Politik ist eben begrenzt – zumindest wenn es um deren Finanzierung geht.

Gespart wird an Europa

Setzt man diese Kürzung pauschal um, dann hat die EU beispielweise im Programm „EU für Bürger und Bürgerinnen“ zukünftig 4 Cent pro Bürger und Bürgerin übrig. Im Jahr! Welch ein Signal zum Beginn dieses europäischen Jahrs der Bürger und Bürgerinnen. Und welch ein Signal an die Welt, dass nach den Beschlüssen des Europäischen Rates die EU im nächsten Jahr volle 20% weniger im außenpolitischen Budget – einschließlich der Mittel für gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik - zur Verfügung haben wird als im letzten Finanzrahmen für dieses Jahr, für 2013 enthalten ist. „Europe in the world!“ Anspruch und Wirklichkeit werden demnächst wohl noch mehr auseinander klaffen.

Auf der Seite der Finanzierung des EU-Haushalts ist die Liste der Ausnahmeregelungen von den allgemeinen Regeln, also die Rabattliste, ebenfalls länger geworden. Der britische Rabatt wurde nicht angetastet. Auch Deutschland, die Niederlande und Schweden erhalten milliardenschwere Rabatte: Anstatt des eigentlich geltenden Satzes von 0,3 % des Mehrwertsteueraufkommens, der an die EU zu überweisen ist, soll für diese Länder weiterhin ein ermäßigter Satz gelten, nämlich von 0,15%. In die Liste der Länder, die einen pauschalen Rabattbetrag von ihren eigentlich fälligen Beitragszahlungen abgezogen bekommen, reiht sich neben den Niederlanden und Schweden und Österreich (Österreich aber nur noch für 3 Jahre) nun auch Dänemark ein. Insgesamt summieren sich die Beitragsrabatte auf mindestens 7 Milliarden Euro jährlich, für die Dauer der Finanzperiode also auf rund 50 Milliarden Euro. Dabei ist die Höhe der jeweiligen Rabatte keineswegs durch eine allgemeingültige und nachvollziehbare Formel festgelegt, sondern ist schlicht Verhandlungsergebnis.

Damit bleibt es nun auch in Zukunft dabei, dass beispielweise Griechenland und Portugal in Relation zu ihrer Wirtschaftskraft einen höheren Bruttobeitrag zur Finanzierung des EU-Haushalts nach Brüssel überweisen müssen als Deutschland oder Schweden und als das UK ohnehin. Gerechtfertigt wird dieses regressive Beitragssystem damit, dass ärmere Länder relativ mehr Mittel aus dem EU-Haushalt, hauptsächlich aus den Strukturfonds erhalten als die Länder, die einen Beitragsrabatt für sich reklamieren, die einen "Nettoempfänger", die anderen "Nettozahler" sind. Dabei fließt z.B. ein Teil der Strukturförderung in Form von Aufträgen für Investitionen wieder in die wirtschaftsstarken Länder ab, was sich in den Nettosalden schlichtweg nicht widerspiegelt. Diese sind ohnehin nicht einmal ein korrektes Spiegelbild der buchhalterischen Gegenstellung von Beitragszahlungen eines Landes und den Rückflüssen an Empfänger im Land, weil der Wohn- oder Geschäftssitz des Empfängers nicht unbedingt der Ort des Verbleibs dieser Mittel ist, geschweige denn ein Ausdruck dessen, wo der Nutzen der Förderung anfällt.

Alle diese Sonderzuweisungen und Rabatte folgen keiner allgemeingültigen und nachvollziehbaren Regel. Sie sind reine Verhandlungsergebnisse und Zugeständnisse dafür, dass kein Veto zum Finanzrahmen erhoben. Eben Bakschisch. Dass sie hinterher als Anhang zu den Gesetzestexten für die einzelnen Fonds im Amtsblatt veröffentlicht werden, macht das rechtsstaatliche Defizit genauso wenig wett wie die bis vor wenigen Jahren gegebene Möglichkeit, Schmiergeldzahlungen in der Steuererklärung als Betriebsausgaben abzusetzen, diese zu einem rechtsstaatlichen Mittel machte.

Bei der Inszenierung dieses Gipfels über den EU-Finanzrahmen mit seinen Unterbrechungen, Vertagungen und dem Schlussmarathon geriet aus dem Blickfeld, dass es sich bei dem europäischen Haushalt um weniger als 2 % aller öffentlichen Ausgaben in der EU handelt. Dieser Anteil ist seit Mitte der neunziger Jahre rückläufig, denn die öffentlichen Haushalte der Mitgliedstaaten sind sehr viel stärker gestiegen als der EU Haushalt. Durch das Jonglieren mit der Gesamtzahl des Haushaltsrahmens für 7 Jahren wurden zudem die Maßstäbe verwischt und in der Öffentlichkeit das Bild eines gigantischen Haushalts auf der EU-Ebene geschürt. Rechnet man allein den Bundeshaushalt für 7 Jahren mit der jetzigen Größe hoch, so ergibt sich für diesen die sehr viel größere Zahl von über 2100 Milliarden – alleine für den Bundeshaushalt – die der jetzt vereinbarten Zahl von 960 Milliarden Euro Verpflichtungsermächtigungen für den siebenjährigen EU Finanzrahmen gegenüberzustellen wäre.

Wie stark die Verwendung der Sieben-Jahre-Zahl für die EU Ebene anstelle der auf nationale Ebene meist üblichen Jahreszahl gezielt eingesetzt werden kann, um Maßstäbe zu verwischen, zeigt sich auch an Einzelpositionen des Finanzrahmens. Es macht eben einen Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung, ob z. B. für das Programm „Connecting Europe“ – Programmteil Breitbandnetze - die Sieben-Jahreszahl von 1 Milliarde Euro verfügbaren Mittel genannt wird oder der verfügbare Jahresbetrag von weniger als 140 Millionen Euro pro Jahr für 28 Staaten zusammen (EU 27 plus Kroatien). Die Jahreszahl lässt eben leichter erkennen, dass damit nicht mehr viel Breitband bewegt werden kann.

Die Rolle des Europäischen Parlaments

Nun liegt der Ball im Europäischen Parlament. Der mehrjährige Finanzrahmen bedarf seiner Zustimmung. Das ist nicht neu. Neu ist seit dem Lissabon-Vertrag, dass der Finanzrahmen in Gesetzesform gegossen wird – in eine Verordnung des Rates. Vorher war er in eine Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen Rat, Parlament und Kommission gefasst, die nur zustande kam, wenn alle drei Institutionen sich einigten. Seit 1988 – eingeführt von Jaques Delors – hatte sich das EP also freiwillig zur Anwendung des Instruments des mehrjährigen Finanzrahmens aus Gründen der Haushaltsdisziplin entschlossen. Weil die Erfahrungen mit diesem Instrument von allen positiv bewertet wurden, hat der Konvent es in seinem Entwurf für eine Verfassung für Europa verankert und das ist nun auch im Lissabon-Vertrag der Fall.

Neu ist aber auch eine weitere Änderung im Lissabon-Vertrag (die auch im Verfassungsentwurf enthalten war) – gegenüber den vorherigen Verträgen: nämlich der Wegfall des Rechts des EP, die jährlichen Ausgaben (außer Agrarausgaben) um einen Höchstsatz zu steigern, der sich an der Wirtschaftsentwicklung in der EU und der Steigerung der öffentlichen Haushalte der Mitgliedstaaten bemaß. Damit hatte das Europäische Parlament in der Vergangenheit in einem zwar eingeschränkten Umfang die Möglichkeit zu verhindern, dass der Anteil des EU Haushalts an den gesamten öffentlichen Ausgaben in der EU und an der Wirtschaftsleistung einseitig vom Rat immer weiter abgesenkt wird. Insbesondere hatte es damit aber ein Instrument an der Hand, um einer immer größer werdenden Lücke zwischen den Zahlungsverpflichtungen und dem, was an Zahlungsmitteln zur Verfügung steht, vorzubeugen.

Der Höchstanteil des EU-Haushalts an der Wirtschaftsleistung der EU - sozusagen die europäische Staatsquote - ist gesetzlich im Eigenmittelbeschluss festgelegt. Nach geltendem Recht beträgt diese Obergrenze nicht 1%, sondern für die tatsächlichen Ausgaben 1,23% des Bruttonationaleinkommens und 1,2 % für finanzielle Verpflichtungen. Mitte der neunziger Jahre lag der EU Haushalt nahe an diesen Obergrenzen. Mit Zustimmung des Europäischen Parlaments lagen die beiden letzten mehrjährigen Finanzrahmen schon weit darunter. Hätte sich der EU-Haushalt an der Entwicklung der nationalen Haushalte orientiert, was die Mitgliedstaaten in den jetzigen Finanzverhandlungen lautstark als Forderung erheben, wäre er in den letzten Jahren erheblich höher gewesen als es der Fall war.

Auch wenn das EP also von seinem Recht, den EU Haushalt entsprechend der Entwicklung der nationalen -Haushalte und der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, keinen direkten Gebrauch mehr gemacht hatte, so hatte dieses Recht doch die Position des Parlaments bei den Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen gestärkt. Es nimmt sich deshalb schon als eine Art Provokation durch den Europäischen Rat aus, dass bei den ersten Verhandlungen nach dem Wegfall dieser Bestimmung dem Parlament ein Finanzrahmen vorgelegt wird, der eine weitere Absenkung des EU-Haushalts an allen öffentlichen Ausgaben von Jahr zu Jahr und eine immer geringer werdende europäische Staatsquote vorsieht. Nach dem Ergebnis des Gipfels soll die europäische „Staatsquote“, also der Anteil der EU-Wirtschaftsleistung, der in europäische öffentliche Ausgaben fließt, aus dem Prozent- in den Promillebereich verwiesen werden und im Jahr 2020 nur noch 9,1 Promille ausmachen soll.

Die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament, die nun die irische Ratspräsidentschaft führen wird, werden äußerst komplex sein. Eine Vielzahl von Kritikpunkten an dem Gipfelergebnis wird auf dem Verhandlungstisch liegen. Es wird um die Gesamthöhe des Finanzrahmens gehen. Es wird aber auch um die Jahrestranchen gehen, denn nach dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs soll der Anteil des EU Budgets an der Wirtschaftsleistung in dem 7 Jahreszeitraum von Jahr zu Jahr weiter sinken und im Jahr 2020 den niedrigsten Stand erreichen. Auch dies ist eine Provokation für das Parlament, weil dies seine Verhandlungsposition für den dann folgenden Finanzrahmen gravierend schwächen würde. Die Verhandlungen werden sich zudem um die Prioritäten im EU Budget drehen und darum, dass der Rat seinen Rotstift an dem Kommissionsvorschlag hauptsächlich an der Förderung von europäischen öffentlichen Gütern, die einen Mehrwert für die EU in ihrer Gesamtheit erzeugen, angesetzt hat.

Ein Beispiel ist das für die Wettbewerbsfähigkeit der EU, den gemeinsamen Markt und für nachhaltiges Wachstum so bedeutsame Programm „Connecting Europe“ zur Vernetzung der Infrastruktur über nationale Grenzen hinweg. Das Europäische Parlament wird aber auch mit der Kürzung des Solidaritätsfonds für Hilfe bei Naturkatastrophen von bisher einer Milliarde Euro auf nunmehr 500 Mio € oder des Globalisierungsfonds für die Hilfe an Arbeitsnehmer, die aufgrund globaler Strukturverschiebungen ihren Job verloren haben, auf nur noch 150 Millionen Euro p.a. nicht zufrieden sein. Und das Parlament wird die Kürzung des außenpolitischen Budgets um 20% nicht hinnehmen, da gerade hier angesichts der Konflikte in der Welt ständig Engpässe da sind und die Lücke zwischen den Versprechen der Staats- und Regierungschefs und der Außenminister, wo und wie man außenpolitisch aktiv werden wird einerseits und den Möglichkeiten, die das Budget erlaubt, andererseits immer größer wird.

Auf einige der Angebote, mit denen der Europäische Rat dem Parlament seine Beratungsergebnisse schmackhaft machen will, wird es nicht hereinfallen. Zwar gehört die flexiblere Handhabung des Finanzrahmens zu den langjährigen Forderungen von Parlament und Kommission und es wird geprüft werden, ob das Angebot zu mehr Flexibilität ausreichend ist. Aber eine Review-Klausel stand schon im letzten mehrjährigen Finanzrahmen. Der Review-Prozess wurde dann von Parlament und Kommission mit großem Aufwand betrieben, aber vom Rat im Sande verlaufen gelassen. Das ist vielen Akteuren im Parlament noch frisch in Erinnerung.

Auf der Einnahmeseite des Haushalts bleibt abzuwarten, ob sich das Europäische Parlament, das sich seit Jahren für steuerliche Eigenmittel der EU einsetzt, mit den Formulierungen des Gipfels zufrieden geben wird, dass der Rat neue Eigenmittelkategorien auf der Basis von Mehrwertsteuer und Finanztransaktionsteuer weiter prüfen soll. Allerdings hat das Europäische Parlament im Gesetzgebungsverfahren für den Eigenmittelbeschluss, also des Gesetzes zur Finanzierung des EU Haushalts, nur das Recht angehört zu werden. Dieses Gesetz bedarf keiner Zustimmung des EP, wohl aber der Ratifikation durch die nationalen Parlamente.

An den langen und teuren Listen der Sonderzuweisungen auf der Ausgabeseite und den Rabatten für einzelne Staaten auf der Einnahmeseite des EU Haushalts wird das Europäische Parlament nichts ändern können, denn diese haben die Staats- und Regierungschefs schon als Trophäen von der Brüsseler Jagd nach Hause getragen und sich dafür feiern lassen. Dabei sind es diese Bakschische, die das Gemeinschaftrecht und den Gemeinschaftscharakter des EU Budgets unterminieren und der Glaubwürdigkeit der EU schaden.

Wie geht es weiter?

Der Verfahrensablauf mit der vorrangigen Beratung des mehrjährigen Finanzrahmens im Europäischen Rat und der Dominanz der nationalen Interessen hat sichtbar seine Grenzen erreicht. Weder das Ergebnis ist überzeugend noch genügt es den Kriterien, die in einer Demokratie an politische Entscheidungsverfahren zu stellen sind. Was können die Konsequenzen sein?

Zum einen hat sich das Einstimmigkeitsprinzip in der EU von nun 27, demnächst 28 Mitgliedstaaten mehr denn je als Einfallstor für nationale Sonderwünsche und die Dominanz von nationalen Interessen in den Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen erwiesen. Deshalb stand das Einstimmigkeitsprinzip schon im Konvent zur Debatte. Der Lissabon-Vertrag beinhaltet nunmehr die Möglichkeit, dass der Europäische Rat den Übergang zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit beschließt. Aber dieser Beschluss muss einstimmig gefasst werden und setzt beispielweise in Deutschland auch die Zustimmung des Bundestages voraus.

Doch ist die Frage der Einstimmigkeit nicht die einzige, die als Konsequenz zur Debatte stehen sollte. Vielmehr sollte im Hinblick auf zukünftige Vertragsänderungen das Gesetzgebungsverfahren als solches überdacht werden. Der Verfahrensablauf sollte umgekehrt werden: es sollte das Europäische Parlament sein, das als erstes den Vorschlag der Kommission für den mehrjährigen Finanzrahmen berät und den Verordnungsentwurf dann dem Rat zur Zustimmung vorlegt – also ein besonderes Gesetzgebungsverfahren der umgekehrten Art zum jetzigen, wie es in Art. 289 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU aber aufgelistet ist.

Ein solches Verfahren für die Festsetzung des mehrjährigen Finanzrahmens, in dem zuerst das Parlament am Zuge ist, hätte nicht zwangsläufig zur Folge, dass der Haushaltsrahmen größer würde. Erstens sind es die Mitgliedstaaten, die im Eigenmittelbeschluss die Obergrenze des Anteils an der Wirtschaftsleistung, der maximal in den EU Haushalt fließen darf, festlegen. Zweitens bestände der Zustimmungsvorbehalt des Rates. Drittens wird in jedem Gesetz für ein EU Förderprogramm das dafür verfügbare Mittelvolumen im Gesetzgebungsverfahren von Rat und Parlament festgelegt. Und viertens hat sich das EP auch in der Vergangenheit als ein dem Prinzip der Haushaltsdisziplin verpflichteter Gesetzgeber erwiesen.

Die Umkehrung des besonderen Gesetzgebungsverfahrens wäre aber der Ausweg aus der immer länger und teurer werdenden Liste der Sonderzahlungen und Rabatte und würde dem Gemeinschaftsrecht auch im Haushaltsbereich wieder mehr Geltung verschaffen und würde die europäischen Haushaltsmittel stärker in jene Bereiche lenken, in denen sie einen europäischen Mehrwert für die gesamte Gemeinschaft bewirken.

Aber das ist Zukunftsmusik, zunächst stehen das EP und die irische Ratspräsidentschaft vor schwierigen Verhandlungen unter hohem Zeit- und Erwartungsdruck.

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Michaele Schreyer war 1999 bis 2004 EU-Mitglied der Europäischen Kommission, zuständig für den EU-Haushalt. Sie ist Ko-Sprecherin des Aufsichtsrats der Heinrich Böll Stiftung.

Fußnoten:
(1) Download: Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rats auf seiner Tagung vom 7. / 8. Februar zum Mehrjährigen Finanzrahmen (PDF). Alle Gesetzesvorschläge sind online abrufbar.

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