Amerika hat die Wahl

Teersände als Wahlkampfthema: Protest gegen die Pipeline Keystone XL von Kanada nach Texas im Oktober 2012; Bild: Chesapeakeclimate/Flickr und Wikipedia; Lizenz: CC-BY-SA

11. September 2012
Klaus Linsenmeier
Wenn Amerikas Wähler am 6. November zu den Urnen gerufen werden, stehen neben dem Präsidenten ein Drittel des Senats und die Mitglieder des Repräsentantenhauses zur Wahl. Nach mehr als einem Jahr emotionalem, aber doch weitgehend themenarmen Wahlkampf geht es um eine Richtungsentscheidung: Die Demokraten stehen für einen weiteren Ausbau des Wohlfahrtstaates, auch wenn dieser in der aktuellen Ausgestaltung nicht finanzierbar sein wird. Die Republikaner, unter dem Druck der Tea-Party weit nach rechtsgerückt, kämpfen für das amerikanische Gegenbild, den auf seine verfassungsgemäßen Mindestaufgaben reduzierten Staat, der das Individuum und den Privatsektor als alleinige Motoren des Fortschritts begreift.

Sinnkrise der US-Demokratie

Diese kursorische Beschreibung macht eines deutlich: Die amerikanische Politik, die traditionell von den  Interessen der Wähler geleitet wurde, ist zunehmend ideologisch verhärtet. Standen früher demokratische Konservative rechts von moderaten Republikanern, so sind heute kaum mehr inhaltliche Überlappungen sichtbar, Kompromisse kaum mehr erreichbar. Die US-Demokratie, deren Kennzeichen und Lebenselixier immer das Deliberative, der aushandelnde Diskurs, gewesen ist, steckt in einer tiefen Sinnkrise.

US-Wahlkämpfe dienen dazu, die Kandidaten in diesem großen Land, den Wählern bekannt zu machen. Da hat der amtierende Präsident einen entscheidenden Vorteil:  Er hat die amerikanische und die Weltwirtschaft in der größten Wirtschaftskrise seit 1929 vor dem Absturz bewahrt, mit der Gesundheitsreform einen generationenalten Traum der Demokraten erfüllt und - rascher als die Europäer - die Finanzmärkte neuen Regulierungen unterworfen, mit denen künftige Krisen verhindert werden sollen. Er hat einen Schwerpunkt auf die Energiepolitik gelegt und sich um die Verbesserung des Bildungswesens  bemüht. Sein größter außenpolitischer Erfolg dürfte die Beendigung der Kriege im Irak und in Afghanistan liegen. Eine Agenda, die sich sehen lassen kann.

Allerdings ist die andere Seite der Bilanz nicht minder umfangreich: das demokratische Klima- und Umweltgesetz ist, vom Weißen Haus spät und halbherzig unterstützt, 2010 im Senat gescheitert, die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo ließen seine demokratische Parteifreunde scheitern, der Drohnenkrieg erreichte einen Umfang, von dem die Krieger der Bush-Regierung wohl kaum zu träumen wagten. Wirtschaftspolitisch sind die USA vergleichsweise gut aus der Krise herausgekommen, die Arbeitslosigkeit ist jedoch mit derzeit 8,3 Prozent hoch, die Jugendarbeitslosigkeit mit 16 Prozent erschreckend und dem Abgleiten der Mittelschicht hat der Präsident außer rhetorischen Beschwörungen wenig entgegen zu setzen vermocht.

Von einer "grün"-orientierten Energiepolitik hin zu einer der nationalen Unabhängigkeit


Neben den Fragen der Sozialpolitik, der Rolle des Staates und der Außenpolitik verdient sicher die Energiepolitik ein besonderes Augenmerk, weil sich hier eine längerfristige Transformation der USA abzeichnet: Unmerklich hat sich der Fokus der Regierung von einer „grün“-orientierten  Energiepolitik zu einer der nationalen Unabhängigkeit gewandelt. Haben die USA noch vor wenigen Jahren etwa 57 Prozent der fossilen Energie importiert, so sind es derzeit etwas mehr als 43 Prozent. Bei der nationalen Energieversorgung spielen erneuerbare Energien eine wichtige Rolle, immerhin sind die USA der weltgrößte Produzent von Windenergie, sie sind aber nur ein Element des für die Zukunft angestrebten Energiemixes, der – so glauben viele Experten – künftig die USA völlig unabhängig von fossilen Importen machen wird.

Die Klimabilanz bleibt dabei auf der Strecke, sieht aber nicht so katastrophal aus wie man vermuten könnte: die Umweltbehörde EPA, eine recht erfolgreiche Anti-Kohlebewegung, befördern eine zunehmende Verdrängung der Kohleverstromung zugunsten von Gas, was – zusammen mit dem Abschwung der Industrieproduktion – zu einem Absinken der CO2-Emissionen geführt hat.

Der historisch niedrige Gaspreis wird erzielt durch die Ausbeute sogenannter unkonventioneller Gase, die mit hohen Umweltkosten verbunden ist, und von denen Geologen annehmen, dass sie die Erdbebenhäufigkeit und -intensität befördern. Es steht zu erwarten, dass Präsident  Obama diesen Weg, des „all of the above“  nach der Wahl weitergehen wird. Zudem steht eine weitere Entscheidung an: Im kanadischen Bundesstaat Alberta liegen Ölreserven, die fast so umfangreich sind wie die in Saudi-Arabien bekannten Erdölvorkommen.

Unabhängigkeit vom Öl des Nahen Ostens durch die Nutzung von Teersand

Der Entscheidung, dieses Öl mit einer Pipeline zu den texanischen Raffinerien zu leiten, ist der Präsident bislang ausgewichen. Er weiß genau, dass diese Entscheidung die Unterstützung der frustrierten Umweltbewegung, aber auch anderer Bevölkerungskreise endgültig wegbrechen ließe. Der Grund: Die USA, derzeit bereits der größte Erdölproduzent der Welt, würden damit – gemeinsam mit Kanada – das größte Teersand-Vorkommen der Welt der kommerziellen Nutzung zuführen. Anders als die Ölblasen in Saudi-Arabien ist das nordamerikanische Öl in sogenannten Teersänden gebunden. Diese werden im Tagebau gefördert, der ganze Landstriche in Mondlandschaften verwandelt und dessen energieintensive Förderung und Verbrennung ein Vielfaches mehr an Klimagasen freisetzt als die Nutzung der bislang ausgebeuteten Ölvorkommen.

Eine solche Entscheidung hat erhebliche wirtschaftspolitische Auswirkungen, denn sie weist der US-Ökonomie einen Weg billiger fossiler Energie, der Anforderungen von Effizienz oder gar Suffizienz gegenstandslos werden ließe. Klimapolitisch würden sich Amerika und Kanada aus den globalen Verhandlungen herausnehmen, da sie mit einer solchen Politik keine sinnvollen klimapolitischen Angebote mehr formulieren könnten. Unabsehbar sind auch die außenpolitischen Konsequenzen: Bislang sind die USA der Garant der Stabilität im Nahen Osten, da die dort lagernden Ölvorkommen das Schmiermittel der energiehungrigen US-Wirtschaft sind. Mit wachsender Unabhängigkeit von diesen Lieferungen wird auch das Interesse der USA an dieser Region nachlassen.

Das politische System der USA, das die beiden großen Parteien auf ein de facto Zweiparteiensystem verengt haben, ist nicht gerade reich an politischen Alternativen. Im Bereich der Energie- und Umweltpolitik sind die Unterscheidungen, die der Herausforderer Mitt Romney zu bieten hat aber eindeutig: die Umweltbehörde EPA ist seiner Meinung nach vor allem ein Hindernis auf dem Weg zur wirtschaftlichen Erholung, ihr Einfluss sollte weiter eingeschränkt oder die Behörde gar ganz abgeschafft werden. Die heimischen Energiequellen gilt es uneingeschränkt zu nutzen.

Romney: Schwach und wenig kalkulierbar?

In anderen Politikfeldern ist der Herausforderer weniger eindeutig. Eigentlich ein moderater Republikaner der Ostküste hat Romney der konservativen Basis viele Zugeständnisse machen müssen. Er gilt deshalb als schwach und wenig kalkulierbar, sogar seine Förderer an der Wallstreet verlieren ab und an die Geduld mit dem Zauderer und seinem vorsichtigen Wahlkampf. Es gibt kaum ein Thema, bei dem Romney nicht mindestens einmal die Position gewechselt habe, lästert das Magazin Newsweek, und schlussfolgert: Nach sechs Jahren Wahlkampf (Romney war 2008 in der Vorwahl gegen John McCain unterlegen), weiß immer noch niemand, wofür Romney eigentlich steht.

Die mangelnde Eindeutigkeit und die Unzufriedenheit seiner rechten Basis, hat Romney mit der Wahl seines Vizepräsidentschaftskandidaten versucht auszugleichen: Der sozial- und fiskalkonservative Katholik Paul Ryan, ist Vorsitzender des einflussreichen Budget-Komitees. Ebenso wichtig ist dessen Rolle als eine der treibenden Kräfte der sich selbst so bezeichnenden „Young Guns“, einer Gruppe beinharter junger Konservativer, die seit Jahren erfolgreich den Durchmarsch von Tea-Party-Kandidaten organisieren. Die Tea-Party mag ihren Zenit überschritten haben, doch bleibt unklar, ob es dem republikanischen Establishment gelingt, die Tea-Party zu umarmen, oder ob die Partei Abraham Lincolns nicht von den rechtsextremen Rebellen in Haft genommen wird.

Die amerikanischen Grünen erleben ihre bisher erfolgreichste Kampagne

Wirtschaftspolitisch hat sich Ryan bereits klar positioniert: Die von den Demokraten sträflich vernachlässigte Haushaltskonsolidierung hat er zu seinem Markenzeichen gemacht. Den Preis der fiskalpolitischen Radikalkur werden die Rentner, die Bezieher von Sozial- und Gesundheitsleistungen zahlen müssen. Die ohnehin vom Abstieg bedrohte Mittelschicht, dürfte bei diesem Experiment weiter abrutschen. Außenpolitisch sind der Kandidat und sein Vize weitgehend unbeschriebene Blätter.

Die US-Grünen gehen wieder mit einer eigenen Kandidatin, Dr. Jill Stein, einer Ärztin aus Boston ins Rennen um das höchste Amt im Staat. Ihr Ergebnis dürfte kaum ins Gewicht fallen. Dennoch: mit ihrem Manager Ben Manski, einem Rechtsanwalt aus Madison/Wisconsin erleben die amerikanischen Grünen ihre bislang erfolgreichste Kampagne. Vor dem Hintergrund der wachsenden Unmut der Wähler über die Anmaßungen der beiden dominierenden Parteien und der Tatsache, dass es keine moderne Demokratie außerhalb der USA gibt, in der ein Parteien-Duopol auf Dauer die unliebsame Konkurrenz hat ausschalten können, versuchen die Grünen zurecht ihre Chance zu nutzen.

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Klaus Linsenmeier ist Leiter des Büros der Heinrich Böll Stiftung in Washington D.C.
 

Dossier

US-Wahl 2012

Am 6. November entscheiden die Wählerinnen und Wähler in den USA, wer ihr Land in den kommenden vier Jahren regieren wird. Ob Barack Obama oder Mitt Romney – der gewählte Präsident wird in absehbarer Zeit innen- wie außenpolitisch neue Akzente setzen. Schon jetzt ist unverkennbar: Im kommenden November stehen die US-Bürgerinnen und Bürger  vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Gemeinsam mit unserem Büro in Washington begleiten wir den Endspurt und die Ergebnisse der US-Wahl 2012 mit Analysen und Hintergrundinformationen.