In Wahljahr 2012 tritt die Partei wieder an, mit einer Kampagne der Ärztin Dr. Jill Stein aus Boston und ihrem Wahlkampfmanager, dem Rechtsanwalt und Civil-Rights-Aktivisten Ben Manski aus Wisconsin. Die Kampagne gilt als die erfolgreichste, die die Grünen bislang organisiert haben. In einem System, das von zwei Parteien beherrscht wird, ist Erfolg für sogenannte dritte Parteien relativ. Welche Rolle spielen Parteien und die Grünen in der US-Politik?
Die Verfassung und die Geschichte der amerikanischen Parteien
Die US-Verfassung kennt keine Parteien. Anders als im deutschen Grundgesetz finden sie nicht einmal Erwähnung in der ältesten demokratischen Verfassung der Welt. Die Gründungsväter Amerikas wollten den Parteienstreit und die ideologischen Auseinandersetzung meiden, die Parteien mit sich bringen. Sie gingen davon aus, dass die Abgeordneten allein denen verantwortlich sein sollten, die sie wählen. Dieses basisdemokratische Denken prägt noch heute die Diskussion um die Gestaltung des demokratischen Wettbewerbs.
Die basisdemokratischen Ambitionen wurden schon bald von der Gründung der Demokratischen und Republikanischen Parteien bzw. deren Vorläufern überholt. Das politische Geschäft kam nicht ohne solche Mittlerinstitutionen aus. Weitere Parteien entstanden und in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg waren vier Parteien im Kongress vertreten. Die Republikanische Partei rangierte damals sogar nur auf Rang drei. Innerhalb der einzelnen Staaten war die Parteienvielfalt sogar noch breiter. Die heute beliebte Beschreibung der US-Demokatie als Zweiparteien-Demokratie beschreibt deshalb nur den aktuellen Zustand, trifft aber keineswegs die Intentionen der US-Verfassung.
Auf dem Weg ins Parteien-Duopol
Die beiden großen Parteien haben nichts unversucht gelassen, sich die lästige Konkurrenz vom Halse zu halten. Eine Reihe von linken Parteien sind in der Zwischenkriegszeit von den Demokraten aufgesogen worden, die mit ihrer New Deal Politik dem Denken vieler Linker oder fortschrittlich denkender Menschen entgegenkamen. Die Rechte ging rabiater vor: Mit jedem Krieg wurde die Frage der staatspolitischen Loyalität gestellt. Opfer waren kleinere Parteigruppierungen, die gerne in den Ruf gebracht wurden, die Sicherheit der Nation zu gefährden. Am bekanntesten wurde Senator Joseph McCarthy, der in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg mit seinem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ alles verfolgte, was sich kritisch in der Politik artikulierte. Danach war das Terrain weitgehend bereinigt, das sich die beiden Großen seither untereinander aufteilen. Nunmehr konnte man sich darauf konzentrieren, das Entstehen weiterer Parteien zu verhindern. Mehrheitswahlrecht, hohe Eingangsbarrieren bei der Zulassung zu den Wahlen, eine Parteienfinanzierung, die Politikerinnen und Politiker zu Angestellten großzügiger Geldgeber macht und eine Reihe anderer Mechanismen helfen dabei, die amerikanische Parteienlandschaft zu einer Einöde zu machen.
Schmutziges Politikgeschäft
Das politische Geschäft gilt so in den USA als schmutziges. Das ist es tatsächlich. Die Parteien spielen in der politischen Auseinandersetzung kaum eine Rolle, sie werden nur für die Wahlen mobilisiert. Die Mitglieder haben wenig Einfluss auf die Parteiprogramme. Fragt man die Kampagnen-Verantwortlichen danach, so spürt man die Verblüffung über die Frage. Gelesen habe das Programm keiner, sagte uns kürzlich ein Manager der Obama-Kampagne, wichtiger sei, das „wording“ und „framing“ der Kandidaten. Innerparteiliche Demokratie wird nicht einmal als Anspruch formuliert.
Politik in den USA hat etwas von Entrepreneurship aber auch etwas Tribales. Macht sich eine Kandidatin oder ein Kandidat auf den Weg, ein Mandat zu erobern, muss er sich zunächst um die Finanzierung kümmern. Dies wird ihn sein Politikerleben lang begleiten. Jeder Abgeordnete im Repräsentantenhaus hat statistisch 9 Millionen Dollar aufgebracht um an seinen Sitz zu kommen. Ein Senatssitz kostet 14 Millionen. Präsident Obamas Wahlkampf von 2008 hat fast eine Milliarde Dollar verschlungen. Die werden gebraucht, um den Wahlkampf zu führen, und um den entsprechenden Apparat dafür aufzubauen. Die Partei spielt dabei kaum eine Rolle. Sie kommt erst ins Spiel, wenn man auf die Kolleginnen und Kollegen im Kongress trifft. Zu besseren, weil früheren Zeiten waren die Abgeordneten noch Alleinunternehmer, die sich gegen jede Art des Fraktionszwangs sperrten.
Das hat sich geändert, vor allem seit die rechte Fraktion der Republikaner von der Vorwahl bis in den Kongress die Abgeordneten gängelt. Ein opakes Netzwerk aus Politik und Geldgebern besorgt das Geschäft. Ein anschauliches Beispiel sind die drei Vorleute der republikanischen Rechten, die sich selbst die „Young Guns“ nennen, die Abgeordneten Paul Ryan, Eric Cantor und Kevin McCarthy. Sie sind die Stammeshäuptlinge, die dem gewählten republikanischen Mehrheitsführer Boehner, einem der wenigen moderaten Republikaner, das Leben und die Politik schwer machen.
Strategie der Blockade
Das Ergebnis ist bekannt: das Ansehen des Kongresses in der Bevölkerung ist konstant kaum zweistellig, am schlechtesten schneiden die Republikaner ab, die kaum auf eine Zustimmungsrate von 10 Prozent kommen. Das ist nur für demokratisch zarte Seelen ein Problem. Seit der Ära von Newt Gingrich, der für die Republikaner 1994 nach Jahrzehnten erstmals die Mehrheit im Repräsentantenhaus errang, haben die Republikaner eines gelernt: Als Partei, die demographisch auf der Verliererschiene ist, weil sie vorrangig die weißen Männer, die weniger Gebildeten sowie die ländliche Bevölkerung anspricht, versucht sie unliebsame Wählerinnen und Wähler von den Urnen zu halten. So kann man sich in Texas mit dem Waffenschein bei der Wahl ausweisen, nicht aber mit dem Studentenausweis. Gesetze wie dieses beschäftigen inzwischen in mehreren Bundestaaten die Gerichte.
Eine zweite Strategie, von der die deliberativ gesinnten Gründungsväter nicht zu träumen gewagt hätten, ist die Blockade: Wenn die Partei schon nicht die strukturelle Mehrheit erringen kann, dann soll die Blockade die größtmögliche Hebelwirkung erzielen. So hat Newt Gingrich in den 90ern der Regierung Clintons die Finanzierung verweigert und damit für Wochen die gesamte Administration lahmgelegt. 2011 wurde der amtierende Präsident Obama zu Steuerkompromissen zugunsten der Reichen genötigt, weil die Republikaner, durchaus glaubhaft, damit drohten, das Land zahlungsunfähig zu machen.
Das funktioniert in einem System, das auf Kooperation aller Verfassungsorgane angelegt ist und Minderheiten einen umfangreichen Schutz einräumt, auf verheerende Weise. Kompromissverweigerung wird zur politischen Waffe, Erpressung zur Strategie. Auf der Strecke bleibt die Demokratie. Kein Wunder, dass die Produktivität rasant abnimmt. 2011 hat der Kongress so wenig Gesetze verabschiedet wie nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte. Ein Kongress, der nichts zustande bekommt, ist deshalb das gängige Bild in der Öffentlichkeit.
Die USA: eine einzigartige oder nur eine merkwürdige Demokratie?
Zur Illusion einer indirekten Basisdemokratie und dem Politikmonopol der beiden Parteien kommt das in der Verfassung angelegte Bestreben, die Macht der Zentrale nicht zu groß werden zu lassen. Es sind nicht Zyniker, die uns staunenden Beobachterinnen und Beobachtern erklären: Es hat keinen Sinn sich über die Dysfunktionalitäten des Zentralstaates zu erregen, die dreizehn Gründerstaaten wollten keine funktionierende Zentralmacht, vor der die ersten Siedelnden aus Europa ja gerade geflohen waren.
Eine weitere Ursache der Probleme ist die Verfassung selbst. Während die Verfassungen der Einzelstaaten immer wieder den aktuellen Notwendigkeiten angepasst werden, sind die Hürden auf Bundesebene so hoch, dass das ehrwürdige, aber eben auch unzeitgemäße Dokument in seiner über zweihundertjährigen Geschichte kaum geändert werden konnte. Einen modernen Staat kann man damit nicht machen. Auch das Mehrheitswahlrecht gilt nur für den Wettkampf der Parteien untereinander. In einigen Staaten, wie etwa Virginia, wenden selbst Republikaner bei ihren Vorwahlen das Verhältniswahlrecht an, das dritten Parteien eine faire Chance böte.
Change we can believe in?
Die amerikanische Demokratie steckt in einer ernsten Krise, darin sind sich Kommentatoren von links und rechts einig. Bücher von Think Tank Beratern und Universitätsprofessoren mit Analysen der Krise und entsprechenden Verbesserungsvorschlägen füllen die Bücherregale. Konsens besteht auch darin, dass die Parteienfinanzierung eines der Hauptübel ist. Seit dem Urteil, das die Lobbygruppe Citizen United 2010 gegen das National Electoral Board vor dem Obersten Gerichtshof erwirkt hat, das Unternehmen die gleichen Rechte einräumt wie Privatpersonen, gibt es kaum noch Grenzen der Parteienfinanzierung. In US Präsidentschaftswahlkämpfen werden bis zu vier Milliarden Dollar aufgewendet, das politische Geschäft beschäftigt inzwischen eine eigene Industrie. Einzelne reiche Gönner können nun ungeahnten Einfluss ausüben. So hat der Glückspiel Mogul und Milliardär Sheldon Adelson aus Las Vegas mehrfach mit Millionenspenden die Kampagne von Newt Gingrich vor der Pleite gerettet und damit die republikanischen Vorwahlen verlängert - eine Einflussnahme, die selbst einigen Konservativen zu weit geht.
Die USA sind die einzige moderne Demokratie, in der es zwei Parteien gelungen ist, alle anderen zu verdrängen. Die Rolle der Parteien ist jedoch umstritten. Konservative Reformer berufen sich auf die Verfassung und wollen die Macht der Parteien einschränken. Die Wähler sollen ihre Abgeordneten unmittelbar zur Rechenschaft ziehen. Hier kommen die basisdemokratischen Wurzeln der Konservativen zum Tragen.
In einigen Staaten, wie Washington State und Kalifornien wird mit einer Öffnung der Vorwahlen für alle Wahlberechtigten experimentiert. Damit soll den oft extremen Aktivistinnen und Aktivisten der Parteien die Vorauswahl der Kandidierenden schwerer gemacht werden. Die Tea-Party hat in der jüngsten Vergangenheit ihre Basis immer wieder in Vorwahlen mobilisieren können, und damit die Partei nach rechts gerückt.
Grüne Chancen?
Andere Vorschläge gehen in eine Richtung, das Wahlrecht repräsentativer zu machen. Gerade die angelsächsischen Länder bilden ein gutes Anschauungsmaterial dafür, dass sich zunehmend ausdifferenzierende, moderne Gesellschaften ein vielfältigeres Politikangebot einfordern. Und überall haben die Grünen die Chance genutzt. In England und Kanada hat es mit je einer Abgeordneten im nationalen Parlament gerade für einen Achtungserfolg gereicht, in Neuseeland und Australien aber schon zur direkten oder indirekten Regierungsbeteiligung. Es leuchtet ein, dass eine wie auch immer geartete Reform notwendig ist, in einer Demokratie in der sich immer mehr Menschen von den Parteien abwenden: 40 Prozent der US-Wählerschaft bezeichnet sich als unabhängig. Bei den Wahlen selbst ist die Mobilisierung zunehmend schwierig. Selbst an Präsidentschaftswahlen beteiligt sich gerade einmal die Hälfte der Wahlberechtigten.
Die Grüne Kampagne
Die US-Grünen scheinen die mittelfristigen Chancen für die Partei und ihre Wählerschaft zu begreifen. Die Kampagne der Kandidatin Jill Stein und ihrem Manager Ben Manski, ist die konsequenteste und erfolgreichste seit Bestehen der Partei.
Die Partei ist in 44 der 50 Bundesstaaten registriert. Derzeit (August 2012) ist sie in 32 Staaten zu den Wahlen zugelassen. Ein Erfolg, der nur zu verstehen ist, wenn man die hohen Hürden für dritte Parteien berücksichtigt, die für eine Wahlbeteiligung zu nehmen sind.
Außerdem stellen die Grünen 136 Abgeordnete vor allem auf kommunaler Ebene. Sie betreiben dort zumeist eine anerkannte Politik ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit und engagieren sich in unterschiedlichen sozialen Feldern. Die Zahl der Abgeordneten stagniert allerdings, viele werden von der demokratischen Partei abgeworben, die bessere Angebote für eine politische Karriere bieten kann.
Die Grünen weigern sich, Spenden von Unternehmen einzuwerben und zahlen dafür einen hohen Preis. Es gibt auf nationaler Ebene keinen hauptamtlichen Mitarbeitinnen oder Mitarbeiter. Entsprechend unausgereift sind daher auch eine Reihe ihrer Positionen zu Fragen nationaler oder internationaler Politik.
Die Kampagne zielt neben Privatspenden auf die (vergleichsweise bescheidene) öffentliche Wahlkampffinanzierung. Erstmalig ist es einer grünen Kampagne gelungen, sich für sogenannte Matching Funds zu qualifizieren, bei denen der Staat, Privatspenden verdoppelt. Damit kann sich die Kampagne einen kleinen aber enthusiastischen Stamm von etwa einem Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leisten und es ist gelungen, eine – wenn auch bescheidene – Struktur in den Bundesstaaten aufzubauen, in denen die Partei am 6. November antritt.
Mittelfristige Strategie statt Soforterfolg
Die Kampagne macht sich keine Illusionen über ihre Erfolgschancen. Aber sie möchte ein Zeichen setzen, dass eine andere (Partei-)Politik möglich ist. Die Strategie ist eher mittelfristig angelegt und zielt auf die Stärkung der Mitgliedsverbände in den Bundesstaaten. Thematisch konzentriert sich die Kampagne auf das Konzept des Green New Deal, mit dem eine ökologische und soziale Reform der US-Gesellschaft angestrebt wird.
Das Konzept, das sich eng an das der europäischen Grünen anlehnt, trifft auf viel Resonanz. Die US Grünen fordern eine Stärkung der Bürgerrechte und setzen sich für mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit ein. Beide Forderungen tragen der zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichheit in den USA und der Gefährdung der Middle Class Rechnung sowie der noch immer unzureichenden Durchsetzung der Bürgerrechte. Hieraus erklärt sich auch die Nominierung von Cheri Honkala als Vize-Präsidentschaftskandidatin. Honkala ist Präsidentin des „Poor Peoples‘ Human Rights Campaign“, einer der größten Bewegungen der Armen und Obdachlosen.
…und immer wieder Nader
Diskutiert man mit amerikanischen oder deutschen Beobachterinnen und Beobachtern die grüne Kampagne, dann dauert es nicht lange bis das Stichwort Ralph Nader fällt. Als grüner Präsidentschaftskandidat hatte Nader, so der gängige Vorwurf, dem Demokraten Al Gore die notwendigen Stimmen genommen, die zum Sieg von George W. Bush führten, dem Alptraum der amerikanischen Linken. Die Rechnung ist einfach: Bush hatte in Florida Gore mit ganzen 543 Stimmen geschlagen. Bei der Stimmauszähling kam es damals zu unzähligen Ungereimtheiten. Da der grüne Nader 97.000 Stimmen erhielt, so der Vorwurf, seien die Grünen am Wahlsieg Bushs Schuld. Ähnlich verhielt es sich in New Hampshire, wo Bush ebenso knapp siegte.
So einleuchtend diese Arithmetik sein mag, so irreführend ist sie: Laut dem San Francisco Chronicle haben 12 Prozent der Demokraten republikanisch gewählt oder sind der Wahl ganz ferngeblieben. Wenn Al Gore nur ein Prozent dieser Wechsel- oder Nichtwählerinenn und -wähler für sich hätte gewinnen können, hätte er gewonnen. Die Demokraten sind also an ihrer mangelnden Mobilisierungsfähigkeit gescheitert, nicht an den Grünen.
Al From, damals Mitglied des Democratic Leadership Councils kommentierte: „Der Vorwurf, dass Naders marginale Stimmen Gore verhindert hätten, wird von den Umfragen an den Urnen (exit polls) nicht bestätigt. Die Frage, wie sie gestimmt hätten, wenn nur zwei Parteien zur Wahl gestanden hätten, führte zu einem Sieg von Bush von einem ganzen Prozentpunkt. Das wäre ein besseres Ergebnis für Bush gewesen, als wenn Nader nicht angetreten wäre.“ Die Erklärung liegt darin, dass die sogenannten dritten Parteien zwar nur wenige Prozentpunkte erringen können, oft aber nicht unerheblichen Einfluss auf die politische Debatte ausüben. Das dürfte auch auf den Wahlkampf 2012 zutreffen: Die Grünen mobilisieren stark die Nichtwählerinnen und -wähler und solche, die sich von den Demokraten soweit entfremdet haben, dass sie nicht mehr für sie mobilisierbar sind. Der grüne Wahlkampf verhindert also nicht die Wahl des kleineren Übels, sondern stärkt progressive Politik insgesamt.
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Klaus Linsenmeier ist Leiter des Nordamerika Büros der Heinrich Böll Stiftung in Washington D.C.
Anna Fero ist Assistentin im Nordamerika Büro der HBS