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Thailand: Leiterin von unabhängiger Netzzeitung Prachatai angeklagt

Chiranuch Premchaiporn, Leiterin des unabhängigen thailändischen Nachrichtenportal Prachatai auf einem Foto von 2007. Foto: oso. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

28. September 2010
von Sopida Werakultawan und Jost Pachaly


Am Freitag den 24.09.2010 wurde Chiranuch Premchaiporn, Webmasterin der Netzzeitung Prachatai, bei Ihrer Rückkehr aus Ungarn am Flughafen Bangkok von der thailändischen Polizei festgenommen. Premchaiporn kam gerade zurück von einer internationalen Konferenz zum Thema Freiheit im Internet.

Anschliessend wurde sie in die Provinz Khon Kaen, im Nordosten des Landes, gebracht, wo schon am 8. September ein Haftbefehl gegen sie ausgestellt worden war. Ihr wird Diffamierung der königlichen Familie und Verstoß gegen die Artikel 14 und 15 des Computerkriminalitätsgesetzes und gegen die Artikel 112 und 116 des Strafgesetzbuchs vorgeworfen. Die Vorwürfe beziehen sich allerdings auf Kommentare, die schon im Jahr 2008 in der Netzzeitung Prachatai erschienen sind. Nach Zahlung einer Kaution wurde sie am folgenden Tag wieder freigelassen.

Die Verhaftung von Premchaiporn und die gegen sie erhobenen Vorwürfe wurden von nationalen Organisationen, wie dem Thai Netizen Network und internationalen Organisationen, wie Reporter ohne Grenzen und Amnesty International verurteilt.


Prachatai – unabhängige Netzzeitung

Prachatai ist eine unabhängige Netzzeitung, die wegen ihrer offenen und kritischen Berichterstattung in Thailand sehr populär ist. Die Netzzeitung wurde im Jahr 2004 gegründet und konzentriert sich auf die Erstellung und Verbreitung von Nachrichten, die von den herkömmlichen Medien nicht publiziert werden. Darüber hinaus hatten Besucher auf Prachatai die Möglichkeit, in einem Webportal eigene Kommentare zu erstellen und damit Meinungen und Informationen auszutauschen. Im Zusammenhang mit der politischen Krise in Thailand wurde das Büro von Prachatai im März 2009 von der Polizei durchsucht und Chiranuch Premchaiporn erstmals festgenommen. Auch damals wurde sie nach Zahlung einer Kaution wieder freigelassen und erwartet jetzt die entsprechende Gerichtsverhandlung, ebenfalls wegen des Verstoßes gegen das Computerkriminalitätsgesetzes.

Die Webseite wurde während der Auseinandersetzungen im April und Mai mehrfach blockiert und die Adresse musste häufig geändert werden. Momentan ist die Netzzeitung unter der Adresse www.prachatai3.info zu erreichen.

Ende Juli kündigte Prachatai an, die Community-Bereiche - auf denen Besucher eigene Beiträge und Kommentare einstellen können - zu schließen. Als Begründung wurde angegeben, dass Prachatai nicht mehr für die Sicherheit der Nutzer garantieren könne und sich die Betreiber selbst in Gefahr brächten.


Fragwürdiges Computerkriminalitätsgesetz

Das Computerkriminalitätsgesetz wurde im Jahr 2007 mit der Intention verabschiedet gegen Pornographie und Computerkriminalität vorzugehen, ist seit dem aber häufig dazu genutzt wurden kritische Stimmen in der politischen Auseinandersetzung einzuschränken. Nach offiziellen Angaben des thailändischen Ministeriums für Informations- und Kommunikationstechnologie wurden bisher 43.000 Webseiten blockiert. Seit 2007 wurden mindestens fünf Anklagen gegen Autor/innen und Webmaster wegen Verbreitung von Informationen über das Internet erhoben.

Das Gesetz wird seit seinem in Kraft treten sehr kontrovers in der Gesellschaft diskutiert. Im Artikel 14 wird nur eine sehr ungenaue Definition der Inhalte gegeben, die zum Straftatbestand werden können. Sie werden allgemein als „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ oder „Öffentlicher Panik“ bezeichnet und bieten damit sehr viel Spielraum für Interpretationen. Außerdem autorisiert dieser Artikel die zuständigen Behörden dazu, bereits Verfahren in Fällen einzuleiten, die zu Verstößen führen könnte. Das überschreitet die Befugnisse des Strafgesetzbuches and erlaubt den Behörden, auf reinen Verdacht hin, tätig zu werden. Die Kritik an Artikel 15 bezieht sich auf die Frage der Verantwortlichkeit für die Inhalte auf Internetseiten. Werden Inhalte veröffentlicht, die beispielsweise die „nationale Sicherheit“ gefährden, ist nicht nur der Autor selbst, sondern auch der Webmaster bzw. Provider zur Verantwortung zu ziehen, da sich letztere mitschuldig für die Verbreitung derartiger Informationen machen würden. Beide Umstände schaffen ein Klima der Unsicherheit und führen zur Selbstzensur, wie auch im Fall der Schließung der Communityfunktionen von Prachatai.


Majestätsbeleidigung: Kontroverses Thema in der thailändischen Gesellschaft
 
Die Straftat der Majestätsbeleidigung wird im Artikel 112 des Strafgesetzbuches definiert, und besagt, dass diffamierende, beleidigende oder gefährdende Kommentare gegen den König, die Königin oder Regenten mit Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren geahndet werden können. Während der politischen Krise des Jahres 2010 wurden Vorwürfe der Majestätsbeleidigung häufig von den unterschiedlichen politischen Lagern missbraucht, um der jeweils anderen Seite Schaden zuzufügen. Dies wird dadurch erleichtert, dass jeder eine Anzeige bei Polizei erstatten kann, der das Königshaus durch Aussagen anderer diffamiert sieht.


Medien für Demokratie: Projekte der Heinrich-Böll-Stiftung

Das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Thailand arbeitet seit mehreren Jahren zum Thema unabhängige Medien in Thailand, um einen Beitrag zur besseren Information der Bevölkerung und zur Medienfreiheit zu leisten. Ein laufendes Projekt setzt sich mit dem oben erwähnten Computerkriminalitätsgesetz auseinander und bemüht sich um eine Präzisierung und Verbesserung der Gesetzgebung, um zukünftigen Missbrauch zu verhindern. Dabei werden unter anderem Vergleiche mit Gesetzten anderer Länder angestellt. Mit Prachatai arbeitet die Heinrich-Böll-Stiftung zurzeit an einem Forschungsprojekt zur Untersuchung der Auswirkungen der politischen Krise des Jahres 2010 auf die neuen Medien. Es wurden zwölf Interviews mit Medienvertretern geführt, die sowohl online als auch in Papierform veröffentlicht werden sollen.


Sopida Werakultawan ist Programmkoordinatorin des Programms „Medien für Demokratie“, Jost Pachaly ist Direktor des Südostasien-Regionalbüros der Heinrich-Böll-Stiftung in Bangkok

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