Geheimhaltung ist in der Außenpolitik unverzichtbar

Voigt: "Es muss Bereiche der strikten Geheimhaltung geben". Foto: Getrud K. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

1. Dezember 2010
Karsten D. Voigt
Von Karsten D. Voigt

In einer Demokratie sind Pressefreiheit, ein möglichst freier Zugang zu politisch relevanten Informationen, jedoch auch ein möglichst umfassender Schutz der Privatsphäre und der privaten Daten unverzichtbar. Ein ähnliches Spannungsverhältnis zwischen dem unverzichtbaren Zugang und dem erforderlichen Schutz von Informationen besteht in der Außenpolitik: In einer Demokratie können und müssen die Ziele, Werte und Prioritäten der Außenpolitik einer Regierung öffentlich diskutiert werden. Auch die operative Umsetzung der Regierungspolitik wird sich der öffentlichen Debatte stellen müssen. Aber zugleich gibt es Bereiche, die der strikten Geheimhaltung bedürfen. Wer dies leugnet, ist entweder töricht oder er will die Regierung bei der Durchsetzung von Werten und Interessen oder dem Schutz seiner Bürger schwächen.

Für jeden offensichtlich besteht eine Notwendigkeit, Informationen dann geheim zu halten, wenn es um die Befreiung von Geiseln aus der Hand von Terroristen oder Piraten geht. Um erfolgreich zu sein, dürfen die hierzu erforderlichen nachrichtendienstlichen, polizeilichen und im Einzelfall auch militärischen Aktionen den Terroristen oder Piraten nicht bekannt werden. Aus meinen jahrzehntelangen Erfahrungen weiß ich, dass bei solchen kritischen Operationen aus gutem Grunde auch die Zahl der Personen, die im Auswärtigen Amt oder innerhalb der Bundesregierung insgesamt über operative Einzelheiten informiert werden, möglichst klein gehalten wird.

Zusammenarbeit atmosphärisch erschwert

Das gilt auch für die mit solchen Operationen verbundenen diplomatischen Aktivitäten. Dabei geht es keinesfalls nur im die Geheimhaltung gegenüber Terroristen und Piraten. In der Regel finden Piraten, Terroristen und Geiselnehmer gerade in den Gebieten ihren Unterschlupf, in denen es keine Demokratie und häufig überhaupt keine funktionsfähige Staatlichkeit gibt. In diesen Fällen muss die Bundesregierung, um ihre Bürger effektiv schützen zu können auch mit autoritären Regierungen und im Einzelfall auch mit höchst problematischen politischen Gruppen Kontakte pflegen und Vereinbarungen treffen. Ohne eine Bereitschaft hierzu hätte die Bundesregierung zum Beispiel bei der Freilassung israelischer Gefangener durch die Hisbollah nicht erfolgreich sein können.

Wer den Erfolg einer diplomatischen Lösung des Konfliktes mit dem Iran wegen seines Atomprogramms will, muss hierfür eine möglichst breite Koalition von Staaten gewinnen. Besonders wichtig ist hierbei die Unterstützung aller Staaten in der Nachbarschaft des Irans. Die Zusammenarbeit mit der einzigen stabilen Demokratie in der unmittelbaren Nachbarschaft, der Türkei, ist schon in der Vergangenheit in dieser Hinsicht nicht immer einfach gewesen. Es besteht die Gefahr, dass durch die Veröffentlichung der diplomatischen Berichte der US-Botschaft aus Ankara diese Zusammenarbeit zumindest atmosphärisch weiter erschwert wird. Erst recht gilt dies für die Zusammenarbeit mit den anderen Regierungen in den islamischen Staaten der Region.

Veröffentlichung spielt Teheran in die Hände

Hier versucht der Iran seit Jahren, die Bereitschaft zur Kooperation bei der Umsetzung von Sanktionen durch Appelle an die arabische Straße zu unterlaufen. Die Veröffentlichung von Berichten über die Zusammenarbeit arabischer Staaten mit den USA (und übrigens auch mit Deutschland) spielt der Regierung in Teheran in die Hände. Ähnliche negative Konsequenzen wären zu befürchten, weil alle Einzelheiten über eine diplomatische Lösung des Konfliktes mit Nord-Korea oder über die gegenwärtigen Bemühungen zur Verhinderung gewaltsamer Konflikte im Sudan im Zusammenhang mit der dort für das nächste Frühjahr geplanten Abstimmung über die Selbständigkeit des südlichen Sudans in die Öffentlichkeit gelangten.

Im Vergleich zu den möglichen schwerwiegenden Folgen in den Krisenregionen der Welt sind die Veröffentlichungen von Berichten aus der US-Botschaft in Berlin eher für die Klatschspalten der „Bunten“ interessant als dass sie einen Anlass für diplomatische Verwerfungen zwischen Deutschland und den USA bilden könnten. Allerdings gibt es drei Punkte in den Berichten, bei denen sich ernsthafte Fragen stellen. In allen drei Punkten richten sich die Fragen eher an die deutsche Politik als an die amerikanische Regierung.

Ernsthafte Fragen


Erster Punkt: Ich bin für eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Vertretern der US-Regierung. Wenn aber Notizen oder Protokolle aus internen Koalitionsverhandlungen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, von einem Vertreter der FDP an Vertreter der US-Botschaft übergeben worden sein sollten, dann sind meiner Meinung nach in diesem Falle die Grenzen einer politisch noch akzeptablen Zusammenarbeit mit den Repräsentanten eines verbündeten Landes überschritten worden.

Zweiter Punkt: Wenn die Botschaft der USA nach Washington berichtet, dass man gegenwärtig im Interesse relevanter Informationen und einer effektiven Zusammenarbeit lieber mit dem Kanzleramt als mit dem Auswärtigen Amt zusammen arbeitet, dann gibt diese Wahrnehmung den Eindruck eines Bedeutungsverlustes des Außenministeriums wider, die – wenn diese Einschätzung von anderen in Berlin akkreditierten Botschaften geteilt werden sollte – eine effektive Wirkung des Auswärtigen Amtes erheblich beeinträchtigen könnte.

Dritter Punkt: Wenn die Einschätzung der fachlichen Qualifikation und der Persönlichkeit des Außenministers weiterhin – und dies nicht nur bei den USA – so abfällig beurteilt werden sollte, wie in den Berichten der US-Botschaft aus Berlin, dann mag das für die Oppositionsparteien im Bundestag ein verständlicher Anlass für ihre Kritik sein. Für das Ansehen und die Wirksamkeit der deutschen Außenpolitik aber würde erheblicher Schaden entstehen, wenn diese Einschätzung unserer Partner und Verbündeten sich nicht bald ändert.

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Karsten  D. Voigt steht seit mehreren Jahrzehnten als Experte für Außen- und Sicherheitspolitik im öffentlichen Leben. Von 1999 bis 2009 übte er das Amt des Koordinators für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt aus.

Weiterer Kommentar von Jan Philipp Albrecht: Richtiges Leaken will gelernt sein

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