Cosi fan tutte? Parteienkoalitionen im Fünf-Parteien-System

25. März 2008
Von Gero Neugebauer

Dr. Gero Neugebauer
Politikwissenschaftler am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin

Nach dem Anfang 2008 erfolgten Einzug von drei Landesverbänden der im Juni 2007 gegründeten Partei Die Linke beginnt man in den Parteien und den Medien über die Konsequenzen für künftige Koalitionsbildungen nachzudenken - das Wahljahr 2009 wird bereits mitgedacht.

Wenn auf absehbare Zeit Drei-Parteien-Koalitionen auch auf Bundesebene zur Regel werden sollten, dann sind besonders die drei kleineren Parteien betroffen, wenn sie ihre bisherigen Optionen erweitern oder weitere überhaupt erst erwerben wollen: die Linke als eine (noch) nicht als koalitionsfähig betrachtete Partei, die den Lagerwechsel kalkulierenden Grünen und die „rotierende“ FDP.

Die Grünen sollen, so wünscht es sich nicht nur die CDU, in von ihr geführte Regierungen wechseln. Die FDP erkennt die Kalamität, in der sie durch ihre Bindung an die Union steckt und öffnet sich, wenn auch bislang nur rhetorisch. Die Art, in der das quasi per ordere mufti erfolgt, weckt Zweifel an der Substanz der Entscheidung. Die SPD, die sich ansonsten als uneingeschränkt bündnisfähig gibt, trifft im Westen unvorbereitet auf die Linke. Die Linke wiederum soll, kann oder will nicht überall dabei sein. Das könnten allerdings die Grünen. Solche bombastische Perspektive haben weder FDP noch Union, denn wenn irgendwo die Linke dabei sein sollte, fallen beide – wie lange noch? - aus.

Kulturelle Differenzen drittrangig?

In Hamburg soll der Beweis dafür angetreten werden, dass auch die Grünen das Lager wechseln können; SPD, CDU und FDP haben das auf Länder- wie auf Bundesebene ja schon getan. Dort sei zum einen die GAL nicht explizit links und oppositionell, was sich in der letzten Wahlperiode in der Bürgerschaft gezeigt habe. Die CDU andererseits sei besonders liberal, was sich 2001 gezeigt habe, als sie mit dem rechtspopulistischen Ronald Schill sowie mit der FDP eine Koalition bildete. Soll die nun angestrebte Koalition als Absolution für Ole von Beust und zugleich als Nachweis für seine politische Biegsamkeit, die ihn in der gesamten CDU aufwertet, dienen?

Für eine politische Kooperation sind kulturelle Differenzen drittrangig; bei Tisch und an der Theatergarderobe wird Mensch sich ja benehmen können. Doch ist Vorsicht geboten.
Zum einen müssen die Grünen Projekte realisieren, durch die sie erfolgreich ihre Kernkompetenzen und Identitäten bestätigen. Zum anderen sind ihre Anhänger nicht mit denen der CDU verwechselbar. Diese sind mehrheitlich in anderen Milieus daheim als bei den Grünen. Die stützen sich auf zwei politische "Schlüsselmilieus": Kritische Bildungseliten und Engagierte Bürger. In beiden Milieus sind die Anhänger der CDU kaum bzw. nur schwach zu Hause; dagegen deutlich stärker bei den Leistungsindividualisten sowie unter den Etablierten Leistungsträger. Hier sind die Grünen wiederum kaum oder schwach, die FDP aber umso stärker vertreten. Diese Milieus bilden das obere Drittel der deutschen Wählerschaft. Selbst wenn Anhänger der CDU und der Grünen vielleicht in derselben Straße wohnen sowie beim selben Italiener verkehren und Ärzte, Lehrer, Hochschulangehörige, Freiberufler oder Selbstständige sind, demonstrieren sie weder bei den gleichen Anlässen, CDU-Anhänger tun das eher selten, noch haben sie dieselben Anschauungen über den Sozialstaat, über Geschlechterpolitik, über Bildungs-, Familien- und über Migrationspolitik oder über innere Sicherheit und anderes mehr. Das beruht auf unterschiedlichen Wertorientierungen. Denn mehrheitlich sind die Grünen nicht autoritär, sondern politisch libertär und sozialstaatlich eingestellt. Solche für politische Entscheidungen wichtigen Orientierungen sucht man bei der Union lange; manche Grünen meinen ohnehin, dieser oder jener Teilverband der CDU sei eine schlagende Verbindung, die sich als Partei getarnt habe. Zwar müssen sich die politischen Eliten bei ihren Entscheidungen nicht durch die Orientierungen der Anhänger binden lassen. Für die Basis sind sie jedoch eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz von Bündnissen, die von den Eliten vereinbart werden - und zugleich für deren Akzeptanz. Selbst wenn die neuen Koalitionen reine Zweckmäßigkeit- und Nützlichkeitsbündnisse darstellen und ideologische Barrieren deshalb keine Rolle spielen sollten, können politische Identitäten beschädigt werden.

Die Jamaica-Ampel

Die zweite Partei, die durch das Fünf-Parteien-System herausgefordert wird, ist die FDP, die sich aus ihrer Bindung an die CDU wieder lösen muss, um sich vor allem im Bund, wenn die Perspektiven "Jamaika" oder "Ampel" heißen sollten, nicht selbst zu blockieren. Zwar wird sie, wie die Union, in keine Koalition mit Beteiligung der Linken eintreten, auch wenn sie und die CDU dadurch ihre Optionen reduziert. Diese Aussicht bestimmt teilweise die Argumentation gegen rechnerisch mögliche rot-grün-rote Koalitionen. Wenn diese, wann auch immer, funktionieren würden, würde die geborene Regierungspartei CDU in die Rolle der Oppositionspartei auf Dauer versetzt; an ihrer Seite die FDP.

Was bedeuten die beiden Perspektiven für die FDP? Sie müsste sich nicht nur um ihre Beziehungen zur CDU kümmern, sondern ebenso um ihr Verhältnis zu den Grünen, denn ein solches Bündnis wirft für beide die Frage auf: Wie hältst du es mit der Partnerin?

Wahrscheinlich müssen die ökologisch und mehrheitlich sozialstaatlich orientierten Grünen nun die marktliberale und staatsminimalistische FDP gesund beten. Die FDP - was kann sie eigentlich wirklich originäres anbieten? – würde wohl damit aufhören, auf die Grünen affektiv und partiell hysterisch zu reagieren. Deren Bereitschaft zu Ampelkoalitionen hat nur taktische Bedeutung. Eine Koalition trägt nicht zur Verringerung der Distanz zwischen beiden Parteien bei. Die Differenzen sind insgesamt größer als die zwischen CDU und Grünen. Dinner-Koalitionen, wie sie die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus gelegentlich zelebriert, haben ihren medialen Reiz, aber keine politischen Wirkungen. Sie funktionieren kaum im Parlament, der Parteienwettbewerb wird dadurch nicht aufgehoben und die gravierenden Unterschiede der Wertorientierungen sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Aber für alle bleibt das Problem: sie müssen, um in eine Regierung zu kommen, erst einmal gewählt werden.

Dinner-Koalitionen und Brot- und Butterthemen

Als dritte Partei ist die Linke herausgefordert. Ihr östlicher Flügel, die alte PDS, hatte stets nur eine Option: die SPD, selbst wenn die von den Grünen begleitet wurde. Die gesamtdeutsche Linke hat vorerst – anders als in einem Bundesland - im Bund vorerst keine; das dürfte ihr ganz recht sein, bis sie sich dann anbietet. Unabhängig davon, ob ideologische oder sachliche Erwägungen bei Angeboten die ausschlaggebende Rolle spielen, sollte bedacht werden, dass auch die Linke ihr Profil ändern und mehr anbieten könnte als ihre gegenwärtigen Brot- und Butterthemen aus der Sozial- und der Arbeitsmarktpolitik. Solange sie sich jedoch selbst auf die SPD fixiert und damit nur als bedingt zukunftsfähig ausweist, wird sie ihre Optionen einschränken. Das gilt auch dann, wenn nur die gegenwärtigen Lager neu definiert werden würden. Das hieße für das linke Lager, dass die Linke, die per se nicht zu einem Lager gehören möchte, durch den Wähler jedoch dort verortet wird, klärt, ob sie Systemopposition - dann ist sie nicht koalitionsbereit und zugleich nicht akzeptiert - oder Reformalternative sein will. Das „bürgerliche“ Lager müsste sich politisch und thematisch den Grünen öffnen. Das würde in der Union, die gern als eine Partei erscheinen möchte, die das alles politisch nicht tangiert, kurzfristig Kontroversen befördern, langfristig jedoch deren Modernisierung. Ob es dabei zur Gründung einer konservativen Partei kommen könnte, ist sehr fraglich.

Mehr Plebiszit wagen

Ungeachtet der geringen politischen Akzeptanz von Dreier-Koalitionen durch den Wähler bieten sich dafür bei den gegenwärtigen Verhältnissen als politisch möglich nur schwarz-gelb-grün oder rot-gelb-grün an; die rechnerischen sind vielfältiger, aber beispielsweise schwarz-rot-grün unwahrscheinlich.

Die Situation würde sich sofort ändern, wenn die Linke als dritte koalitionsfähige Partei im Bunde akzeptiert wird. Das setzt Anpassungsleistungen von ihr und der SPD voraus. In diesem Fall wären SPD und Grüne begünstigt und CDU/CSU und FDP benachteiligt. Einfluss auf Koalitionsbildungen hat die Linke, ohne selbst an einer Koalition beteiligt zu werden. Politische Macht gewinnt sie jedoch erst in einer Regierung. Darüber - und über die Voraussetzungen dafür - wird in der Partei heftig gestritten. Im Moment erscheint die Situation für Grüne und FDP günstiger zu sein, wenngleich die Grünen riskieren, in der Umarmung der Union grau zu werden.

Zu guter Letzt: wenn argumentiert wird, ein Fünf-Parteien-System führe dazu, dass keine verlässlichen Mehrheiten mehr gebildet werden könnten und das Regieren schwieriger werden würde, weil immer wieder Konsens hergestellt werden müsste, dann bietet es sich an darüber nachzudenken, ob nicht der Bürgerin und dem Bürger mehr politische Rechte eingeräumt werden sollten, um die gefundenen Kompromisse durch plebiszitäre Verfahren zu bestätigen – oder zu verwerfen.