Neue Farbenlehre in der Politik? Auf die Inhalte kommt es an!

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Das Fünfparteiensystem in Deutschland erzeugt neue Handlungszwänge, eröffnet aber auch neue Handlungsoptionen und Chancen

25. März 2008
Von Hartmut Bäumer

Von Hartmut Bäumer

Traditionelle Blöcke – schwarz-gelb hier und rot-grün dort – lockern sich, da hat Ralf Fücks recht. Es gibt Bewegung im eingefahrenen Lagersystem. Die Politik muss sich etwas einfallen lassen, um auf den Wählerwillen zu reagieren. Die Antwort kann nicht heißen: weiter so. Weder in der Koalitionsarithmetik noch in den angebotenen Inhalten. Lagermentalitäten neuer Machart nach dem Muster rot-rot-grün als Mehrheit links von der Mitte verbieten sich ebenso, wie eine dogmatische Ausgrenzung der Linken. Vielmehr ist in jeder Lage neu zu entscheiden, welche Mehrheiten welche Politikinhalte transportieren können.
Das ist nicht nur auf den ersten Blick gut so. Der zweite Blick bedarf einer genaueren Analyse, will man nicht allzu einfach die Veränderung als solche begrüßen.

Drei zentrale Themen

Drei zentrale Themen stehen politisch auf der Tagesordnung. Sie haben mit zu der veränderten Parteienkonstellation beigetragen. Welche politischen Farbkombinationen am ehesten gesellschaftlich tragfähige Antworten auf diese zentralen Fragen geben können, muss erörtert werden. Zwei der Themen hängen explizit mit wirtschaftlichen Fragestellungen zusammen.

Die tiefere Ursache des Aufstiegs der Linken liegt in einem Teil der Politik des letzten Jahrzehnts – in einer im Interesse der Zukunftsfähigkeit des Industrielandes Deutschland notwendigen, aber zwiespältigen Modernisierung. Diese ging einher mit Zumutungen für die abhängig Beschäftigten und noch größeren Zumutungen für den Großteil derjenigen, die nicht mehr beschäftigt sind. Sie hat zugleich die Kluft zwischen arm und reich vertieft und, wenn man so will, die Profiteure des Systems immer hemmungsloser werden lassen.

Neben realen Nöten tritt die empfundene Gerechtigkeitslücke. Einige Webfehler der insgesamt richtigen Agenda 2010 sind weniger von Bedeutung als das Fehlen einer verantwortlichen Reaktion auf Seite der Unternehmen und Unternehmer, vor allem des Managements großer Gesellschaften. Die wirtschaftliche Entwicklung zeigt, dass die Reformen der Agenda greifen. Die Wirtschaft ist wieder konkurrenzfähig. Was fehlt, ist die politisch wie ethisch adäquate Antwort. Statt Zurückhaltung bei den Gewinnmargen und Managereinkommen und ein öffentliches Bekenntnis zur Beteiligung aller am Zuwachs, erleben wir täglich das Gegenteil: immer höhere Gewinnerwartungen, immer höhere Manager-Boni und Gehälter, immer weniger soziales Bewusstsein und eine scheinbar handlungsunfähige Politik. So lange diese Situation anhält, so lange wird auch eine Linke, einerlei ob sie Lösungen anzubieten hat oder nicht, in der Wählergunst zunehmen.

Klimaschutz contra Aktienwerte

Jede neue Parteienkonstellation wird daher Antworten darauf finden müssen, wie die Modernisierung von Gesellschaft und Wirtschaft sozial verträglicher gestaltet werden kann – national wie international.

Besonders aus Grüner Sicht geht es verstärkt darum, aus ökologischer Vernunft der schrankenlosen Kapitalverwertung Einhalt zu gebieten, also Klimaschutz höher zu bewerten, als das unbegrenzte Wachstum der Aktienkurse.
Im Ergebnis: Auch aus ökologischen Gründen steht eine Neujustierung von Freiheit und Verantwortung im wirtschaftlichen Handeln an.

Als drittes – und nicht zuletzt – stellt sich die Frage der Freiheit des Individuums in einer sich globalisierenden Welt. Wie kann individuelle Teilhabe an demokratischen Entscheidungen und kulturellen Errungenschaften angesichts ungelöster internationaler Konflikte gesichert werden?

Diese Fragen sind alle nicht neu. Sie sind aber ungelöst und spitzen sich im Moment erfahrbar und fühlbar national und international zu.

Welche Konstellationen bieten tragfähige Antworten?
 
Spannend ist es herauszufinden, ob die politischen Farben neu zu mischen bessere Antworten liefert, als die des bisherigen Farbenspiels, besser vor allem als das Grau in Grau der Großen Koalition.
Dabei gilt es für Die Grünen besonders das erhebliche Risiko abzuwägen, das ein politischer Schwenk zu ihnen bisher fremden Farben bedeutet. Einfache Lösungen sind auch da nicht zu haben.

Auf den allerersten Blick scheint rot-rot-grün probate Antworten vorzuhalten. Natürlich: Alle drei Parteien wollen mehr soziale Gerechtigkeit; mit Einschränkungen wollen sie auch, dass ökologische Notwendigkeiten in der Wirtschaft stärker berücksichtigt werden. Dem politischen Bekenntnis nach steht auch die individuelle Freiheit oben auf der Prioritätenliste. Schaut man näher hin, wird die Antwort schwieriger.

Zum Beispiel beim Thema Gerechtigkeit. Aller Voraussicht nach wird der Umgang mit ihr in den kommenden Jahre die entscheidende politische „Demarkationslinie“ im politischen System Deutschlands sein.

Demarkationslinien

Welche Mittel und Wege schlagen die Parteien vor, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen? Wird auf mehr Staat gesetzt, in gewisser Weise auf ein zurück zum Status quo von 1989, mindestens aber vor 2003 (Agenda 2010)? Oder werden neue Lösungen gesucht – Lösungen, mit denen zwar die Gefahren angegangen werden, die durch Globalisierung und demografische Entwicklung für das soziale Gleichgewicht im Land entstehen, die aber diese Realität nicht negieren. Lösungen zudem, die den Markt weder vergötzen noch als per se schädlich definieren, sondern sich um Rahmenbedingungen kümmern, die ihn sozial und ökologisch vernünftig eingrenzen.

Bei der Linkspartei, aber auch in Teilen der SPD ist ein merkliches „Zurück“ zu alten Mustern zu erkennen, zu Mustern, die auf den Staat als Handelnden, und eben nicht als nur Rahmen setzende Macht abzielen. Der Ansatz „Staat statt Markt“ hat sich seit 1989 – und noch einmal verstärkt mit der Globalisierung – verbraucht. Auf den ersten Blick mag ein solcher Ansatz verlockend sein, auch bei ökologischen Themen, auch für viele Grüne. Die Dynamik der globalisierten Welt wird jedoch ein Exportland wie Deutschland sehr schnell an empfindliche Grenzen stoßen lassen, wenn man meint, heute noch nach keynsianischem Muster nationalstaatlich handeln oder es gar durch dirigistische staatliche Eingriffe von der Weltwirtschaft abkoppeln zu können.

Auch die Frage der Menschen- und Freiheitsrechte birgt mit rot-rot mehr Fallstricke als auf den ersten Blick angenommen. Es sei nur auf die Haltung der SPD zu China verwiesen. Auch innenpolitisch geben sich SPD und CDU nicht viel, wenn es um die umfassende Beobachtung der Bürgerinnen und Bürger zum Schutz der Sicherheit geht, wie wir unter Innenminister Schily schmerzlich erfahren durften.

Farbspiele

Wie sieht es demgegenüber mit anderen Optionen aus? Sind Lösungen mit der CDU oder der FDP bei den drei zentralen Problemen eher zu erwarten? Auf den ersten Blick kaum, aber auch hier lohnt der zweite.

Bei den Themen Gerechtigkeit und Ökologie ergibt sich die gleiche Demarkationslinie wie schon oben im Verhältnis zur Linken, nur diesmal in genau der anderen Richtung: der Abgrenzung von einem Neoliberalismus à la Westerwelle und der FDP heutiger Prägung.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie dünn die Bretter sind, die die Marktradikalen bohren, dann liefert sie gerade jetzt Herr Ackermann Arm in Arm mit US-Präsident Bush. Angesichts der katastrophalen „Erfolge“ einer von allen rechtlichen wie ethischen Einschränkungen befreiten globalen Marktwirtschaft rufen genau sie nun nach dem Staat – nach einem Staat, der Geld ins System pumpt und sich dann wieder heraushält. Was sie nicht wollen ist ein Staat oder übernationale Einrichtungen im Sinne von „governance without government“, die vernünftige Rahmenbedingungen setzen für Kapitalflüsse und Besteuerung, für die Begrenzung der Macht multinationaler Gesellschaften und Fonds, für die Beschränkung von Managermacht und Einkommen.
Nur ein solcher Staat oder eine übernationale Einrichtung aber könnte garantieren, dass ein Handlungsrahmen, der in einer globalisierten Welt von nationaler Politik nicht mehr gesetzt werden kann, für das Geschehen auf den Weltmärkten wieder greift, sozial wie ökologisch.

Hamburg als Modell?

Die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und GAL in Hamburg haben in diesem Zusammenhang durchaus exemplarischen Charakter. Anders als die neoliberale FDP hat die CDU mit dem Ordoliberalismus (Röpke, Eucken) aus den 1950er Jahren eine Wirtschaftstradition, aus der sich wichtige Anknüpfungspunkte ergeben, will man dem Markt gewisse Regeln auferlegen. Den Ordoliberalen war immer klar, dass der Markt nur eine dienende Funktion gegenüber dem gesellschaftlichen Wohl hat, Eingrenzungen und Rahmenbedingungen nötig sind. Auch darum geht es in Hamburg jetzt: Setzt sich Vattenfall mit seinen Profitinteressen zu Lasten der Umwelt durch? Wieweit muss, mit Rücksicht auf den Arbeitsmarkt, Hamburg auf die Interessen der Schifffahrt Rücksicht nehmen? Wie gewährleistet der Staat am ehesten eine zukunftsfähige Bildung?

Ob sich wichtige Teile der CDU auf ordoliberale Traditionen besinnen – und sich so von der FDP absetzen – lässt sich nicht einfach beantworten. Zwei Argumente, ein strategisches und ein inhaltliches sprechen dafür: Die CDU spürt den Druck der Wähler ähnlich wie die SPD. Will sie im Bund und in den Ländern an der Macht bleiben, braucht sie nicht nur die Grünen als potentiellen Partner, sondern auch sozialere Inhalte. Das gilt – etwas abgeschwächt vielleicht – auch für das Thema Ökologie. Der wertkonservative Teil der CDU und der soziale Flügel werden Ökologie und Gerechtigkeit auf die Tagesordnung setzen müssen, wenn sie sich treu und an der Macht bleiben wollen.
Die Chance, dass mit der CDU auch in der Wirtschaftspolitik einiges mehr realisiert werden kann, als gegen sie, hängt mit einem Spezifikum des Politikgeschäfts zusammen: Zumutungen lassen sich häufig besser ertragen, wenn sie „von den eigenen Leuten“ kommen, siehe Bundeswehreinsätze in Kriegen, Agenda 2010.

Errungenschaften von rot-grün verteidigen

Deshalb ist heute aus Grüner Sicht die Möglichkeit einer Koalition mit der CDU durchaus interessant. Der CDU ist klar, dass sie den Grünen einen relativ hohen „Einstiegspreis“ zahlen muss. Und sie ist, Hamburg scheint das zu beweisen, dazu auch bereit.
Die Grünen umgekehrt brauchen vorzeigbare Erfolge, die inhaltlich mindestens besser als die einer Großen Koalition, möglichst sogar einer rot-grünen oder rot-rot-grünen Koalition ausfallen müssen, um den Schritt zur CDU den eigenen Anhängern und Wählern gegenüber rechtfertigen zu können.

Aus Grüner Sicht gibt es einen nicht unbedeutenden strategischen Grund, eine schwarz-grüne Koalition ernsthaft ins Auge zu fassen – wenn sie möglich ist, und die handelnden Personen sie positiv nach außen vertreten. Es geht dabei um die Absicherung der „Errungenschaften“ der rot-grünen Regierungszeit. Vor allem in der Umweltpolitik und an erster Stelle dem Atomausstieg lässt sich der „Ausstieg aus dem Ausstieg“ nur mit der CDU bewerkstelligen, nicht gegen sie. Es versteht sich von selbst, dass jede schwarz-grüne Koalitionsvereinbarung auf Landes- oder Bundesebene nur mit einer solchen Absicherungsklausel für die CDU zu haben sein sollte.

Ob eine schwarz-grüne Verbindung auch unter Zuhilfenahme der FDP sinnvoll ist, also Jamaika, muss im jeweiligen Fall entschieden werden. Wichtig ist dabei, welche wirtschaftspolitische Grundhaltung sich durchsetzt, eine eher ordoliberale mit einem starken Staat oder eine neoliberale, die auf einen schwachen Staat setzt. In Menschenrechts- und Freiheitsfragen dürften Grüne und FDP sich relativ schnell verständigen können.

Natürlich bedeutet das, was ich bisher ausgeführt habe, keine Absage an eine Ampelkoalition, noch weniger an eine rot-grüne Verbindung, sollte dies rechnerisch möglich sein. In Zukunft werden die Grünen gegenüber der SPD aus der Rolle des Kellners nur dann heraustreten können, wenn sie auch andere Optionen haben – und beriet sind, diese wahrzunehmen.

Keine einfachen Antworten, keine Bewegung ohne Risiko – aber auch weniger Chancen ohne Risiko.


Hartmut Bäumer ist Geschäftsführender Gesellschafter der BRIDGES Politik- und Organisationsberatung GmbH