Zeitgeisteffekt oder grüner Wertewandel? - Teilstudie Schleswig-Holstein

Monika Heinold, Robert Habeck und Anke Erdmann von der Grünen Fraktion Schleswig-Holstein am 15. September 2009 in Kiel.
Bild: Arne List. Lizenz: Creative Commons BY-SA 2.0. Original: Flickr.

8. November 2011
Michael Lühmann, Christian von Eichborn, Katharina Rahlf

Noch im Frühjahr 2011 erlebten die Bündnisgrünen einen ihrer größten Erfolge. Der Sieg Winfried Kretschmanns in Baden-Württemberg krönte den grünen Aufschwung, der seit 2010 zu spüren war. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich, in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung, eine Forschungsgruppe des Göttinger Instituts für Demokratieforschung gebildet, die in der Woche vor der baden-württembergischen Landtagswahl in qualitativen Untersuchungen neue – und zum Vergleich auch alte – grüne Wähler/innen nach ihren Einstellungsmustern und Werthaltungen befragte.

Ziel der Untersuchung war es, Werthaltungen und Politikeinstellung der baden-württembergischen Wähler/innen im Vorfeld der Landtagswahlen vor dem Hintergrund der Frage zu erhellen, ob es sich beim grünen Aufschwung um einen kurzfristigen Zeitgeisteffekt handelt oder um einen eher untergründigen Mentalitäts- oder Wertewandel der bundesrepublikanischen Gesellschaft im Angesicht starker Krisenerfahrungen. Die Antwort aus den baden-württembergischen Erhebungen fiel ambivalent aus. So stand einem kurzfristig erhofften Wechsel des Politikstils mithilfe der Grünen und einer starken Frontstellung gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Mappus zugleich der Befund eines möglichen dauerhaften Wertewandels, mindestens einer Werteverschiebung, gegenüber. Hinweise auf eine solche Verschiebung bei den neuen Grün-Wähler/innen fanden sich etwa im Rückgang der Leistungsbegeisterung, zudem in der Abwendung von der bundesrepublikanischen Leiterzählung des gesellschaftlichen Fortschritts durch ewiges Wachstum. Nicht zuletzt drückte sich auch in einer veränderten Wahrnehmung der Generationengerechtigkeit, die weniger als soziale Frage verhandelt wurde, sondern vielmehr in die Formel Wir müssen die Erde für unsere Kinder und Enkel erhalten mündete, eine Verschiebung im Wertehaushalt aus. Gleichwohl handelte es sich eher um Indizien, denn um handfeste Belege. Dies führte zum Schluss, dass ein Wertewandel, der den Grünen dauerhaft nutzen könnte, allenfalls gerade erst vor der Tür steht. Überdies zeigte die erste Untersuchungswelle, dass (noch) kein solides Wertefundament existiert, über das sich alte und neue Wähler verständigen können.

Um dieser Frage auf längere Sicht nachzugehen, sind nun in einer zweiten Welle, angesichts inzwischen wieder sinkender Wahlumfragen, grüne Neu- und Altwähler/innen in Schleswig-Holstein nach der gleichen Methodik der ersten Untersuchungswelle befragt worden. Einige Ergebnisse fanden ihre Bestätigung, einige müssen zumindest modifiziert werden und wieder andere Befunde sind vermutlich, nicht auf Schleswig-Holstein, ein sozialstrukturell vollkommen anderes Bundesland, übertragbar. Im Folgenden können nicht alle Punkte angesprochen werden, deshalb greifen wir exemplarisch zwei Ergebnisse heraus. Das erste betrifft die Werteebene, das andere die Sicht auf den Staat im Allgemeinen und die Grünen im Besonderen. Davon ausgehend wollen wir letztlich einen ersten Antwortversuch wagen, inwieweit sich die These eines vor der Tür stehenden Wertewandels (auch in Anbetracht scheinbar sinkender Zustimmung zu grüner Politik) aufrechterhalten lässt.

Die Verantwortung, die sie meinen

Die Wertedebatten in Schleswig Holstein offenbarten dabei, noch stärker als im Süden der Republik, eine grundsätzliche Differenzierung im diskutierten Wertekanon. Die Unterscheidung zwischen Basis- und Folgewerten wurde in den Gruppendiskussionen immer wieder vorgenommen. Basiswerte bilden in der Wahrnehmung der Probanden die Voraussetzung dafür, dass sich andere Werte überhaupt erst entwickeln können. Als zentraler basaler Wert, der alle grünen Neuwähler/innen zu verbinden scheint, hat sich in diesen Diskussionen die Eigenverantwortung herauskristallisiert. Diese Übereinstimmung soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Eigenverantwortung höchst ambivalent diskutiert wurde.

So können sich nach Auffassung der grünen Neuwähler/innen etwa Gerechtigkeit, Solidarität oder auch Leistung nicht selten nur auf Basis eigenverantwortlichen Handelns ausprägen. Gemein scheint auch, dass in eigenverantwortlichem Handeln von vielen Einzelnen eine Strategie gesehen wird, gesamtgesellschaftliche Veränderung zu bewirken: Eigenverantwortung ist eine Ermöglichungsstrategie der Vielen. Dieser Konsens wird auch von jenen Befragten geteilt, die echte Wahlfreiheit im individuellen Handeln negieren. Das heißt nun aber nicht, dass es ein gruppenübergreifendes Konsensmodell über die konkrete Ausgestaltung von Eigenverantwortung – als leitenden Handlungsimperativ von Individuen – zur Schaffung einer gerechten Gesellschaft geben würde. Dafür sind die Zugänge und Bedeutungsmuster, die sich hinter verantwortlichem Handeln verbergen, zu heterogen. So wird etwa der Eigenverantwortung als individuelle Fähigkeit, als Ermöglichungsstrategie der Vielen in Form bewussten Handelns, auch die kollektive Unfähigkeit der Vielen zum bewussten Handeln – aufgrund einer Mischung aus Ignoranz und Verblendung – entgegengestellt. Diese Kontrastierung findet sich besonders häufig in Konsumfragen. Zum einen wird durchaus die Möglichkeit gesehen, durch Konsum gesellschaftliche Veränderung zu bewirken. Zum anderen wird die Untätigkeit oder auch Unfähigkeit der Vielen hervorgehoben, dem Anspruch, der sich mit einem bewussten Konsum verbindet, gerecht zu werden.

Weitergehend werden dem Individuum grundsätzlich die Wahlfreiheit und die Fähigkeit zugesprochen, die eigenen Lebenschancen in freier Entscheidung zu nutzen, oder dies eben – eigenverantwortlich – nicht zu tun. So wird die Wahlfreiheit des Einzelnen in der Form interpretiert, dass aus ihr eine möglichst verantwortungsvolle Nutzung der eigenen Fähigkeiten resultieren soll – eben um der Gesellschaft „nicht zur Last“ zu fallen. Die Forderung nach ökonomischer Unabhängigkeit eines jeden Einzelnen ist das Hauptanliegen dieser Interpretation von Eigenverantwortung.

In dieser Frage unterscheiden sich allerdings tendenziell die Deutungsmuster zwischen besser und weniger gut verdienenden Neuwähler/innen. Insbesondere in den unterdurchschnittlich verdienenden Gruppen werden denn auch die Grenzen eigenverantwortlichen Handelns zumindest angesprochen: Sei es der Zweifel an der Wahrnehmbarkeit bestimmter Freiheiten oder die mangelnde Einflussmöglichkeit auf Joberhalt sowie Einkommenshöhe. Eigenverantwortliches Handeln ist in dieser Frage für die Proband/innen dann nicht mehr der Schlüssel zum Erfolg, sondern geht einher mit einer gewissen Hilflosigkeit. Die Assoziierung von Eigenverantwortung mit Leistung und Leistungsdruck, Ellbogengesellschaft und Konkurrenz verleiht dem Wert auch ein negatives Antlitz. Bei den besser verdienenden Neuwähler/innen wird dies indes in einer Gruppe eine andere Grenze von Eigenverantwortung verhandelt: Mit der Konkretisierung von Eigenverantwortung in Form ehrenamtlichen Engagements wird das Beziehungsdreieck zwischen Individuen, Staat und eigenverantwortlichem Handeln thematisiert. Dabei vollzieht die Debatte die klassischen Pole ehrenamtlicher Tätigkeit nach, wonach diese einerseits natürlich wichtig sei, andererseits aber nicht staatliches/professionelles Engagement ersetzen dürfe.

Demgegenüber ist der Wert der Eigenverantwortung als persönlicher Freiheitswert bei den besserverdienenden Neuwähler/innen deutlich anders und positiver nuanciert. Hier wird kollektivem gesellschaftlichen Handeln der Glauben an die eigene Verantwortung von Individuen entgegengesetzt. Eigenverantwortung scheint in dieser Variante derjenige Wert zu sein, der als aufgeklärter Vernunftappell in jeder Person verwurzelt sein sollte, denn sonst könne weder das eigene Leben gelingen, noch könne man ohne eine starke Eigenverantwortung das Recht auf Intervention in gesellschaftliche Belange einfordern oder Anspruch auf Hilfe seitens der Gesellschaft erheben. Das Gelingen der Gesellschaft liegt in einem solchen Modell an jedem einzelnen Individuum und ist mithin weit entfernt von einem nur annähernd kollektiven Denken. Der Staat als ordnende Instanz fällt somit zumeist aus; Gesellschaft strukturiert sich – folgt man diesem Wert – aus jedem einzelnen Glied derselben.

Bei den Altwähler/innen hingegen zeigt sich ein anderes Bild: Neben der Überzeugung, dass Aktiv-Werden im Kleinen, d.h. das eigenverantwortliche Handeln, tatsächlich auch Veränderungen im Großen bewirken könne (insbesondere im Bereich des verantwortlichen Konsums), fungiert Eigenverantwortung vor allem als Reizwort. Anders als Solidarität oder Gerechtigkeit etwa, die zu den kollektiven Werten gezählt werden, gehört Eigenverantwortung für diese Gruppe eher zu den individualistischen Werten, die per se mit Skepsis betrachtet werden, da man hier eine tendenziell egoistische Haltung vermutet.

Den Staat, den sie meinen

Die starke Fokussierung auf das verantwortliche Handeln einzelner Gesellschaftsglieder zur Schaffung einer guten Gesellschaft stellt natürlich die Frage nach dem Aufgabenbereich des Staates und nach Gesellschaftskonzepten. Die dominante Wahrnehmung Schleswig-Holsteins als abgehängtes Land – zumindest im Nord-Süd-Vergleich – lässt die Politik als Akteur in einem eher negativen Licht erscheinen. Gleichwohl perlen all die Vorwürfe und Interessenkonflikte, politische Fehltritte und Korrumpierbarkeiten an den Grünen in Schleswig-Holstein ab. Sie gelten als politisch deutlich integere Alternative zu den Volksparteien.

Das Gefühl aber, verantwortungsbedürftige Aufgaben an staatliche Akteure delegieren zu können, ist anders als in Baden-Württemberg – einem wirtschaftlich stabilen und starken Land – weit weniger ausgeprägt. Und insbesondere in Bereichen, in denen das Land eigene Regelungskompetenzen besitzt, vor allem in der Bildungspolitik, ist das Zeugnis vernichtend. In der Skandalträchtigkeit der schleswig-holsteinischen Landespolitik ist sogar eine der Kernursachen für den Eindruck, in einem abgehängten Land zu leben, zu suchen.

Aus der baden-württembergischen Perspektive war es aber eben dies, was den Grünen so sehr nutzen konnte: Der Verdruss mit den herrschenden Parteien und deren wahrgenommene Unfähigkeit, gute Politik zu machen. Und, anders als nun in Schleswig-Holstein, gab es für den Fall eines grünen Wahlsieges die Hoffnung, dass sich grundlegend etwas ändern würde – in der Transparenz politischer Entscheidungen, aber auch in der Bildungs- und Umweltpolitik. Die Grünen in Baden-Württemberg schwammen auf einer Welle der Euphorie und des unbedingten Willens zum Wechsel – zunächst eher ein Indiz für einen kurzfristigen Zeitgeisteffekt, gemeint aber auch als langfristiges Signal mit bundespolitischer Bedeutung.

In Schleswig-Holstein aber ist die Erwartungshaltung an die Politik, an den Staat generell geringer ausgeprägt, weshalb auch ein grüner Wahlerfolg aus Sicht der Neuwähler/innen nicht sehr viel ändern würde. Setzt man die Erwartungen an den Staat in Zusammenhang mit dem Eigenverantwortungsimpetus der befragten Neuwähler/innen, so ist der republikanische Konsens, der die Bundesrepublik über ihre gesamte Entwicklung entscheidend geprägt hat, zumindest angekratzt. Bei den schleswig-holsteinischen Neuwähler/innen zeigt sich die wahrgenommene Frontstellung zwischen Staat und Bürger/innen als äußerst verhärtet. Sich selbst empfinden die Bürger/innen des norddeutschen Landes nur noch bedingt als Teil des Staates, den sie durch Engagement, Willen und Befähigung verändern könnten. Eigenverantwortung – d.h. hier auch eine gewisse Abkoppelung von etablierter Politik – wird angesichts eines reduzierten Vertrauens in den Staat somit zur folgerichtigen Lösungsperspektive.

Gleiches gilt auch eingeschränkter für den Blick auf das gesellschaftliche Zusammenleben, das zuerst auf eigenverantwortlichem Handeln fußt und erst dann, in Teilbereichen, politische Regelungen als notwendig und durchsetzbar erfordert. Der Atomausstieg, eine einheitlichere, verlässlichere Bildungspolitik und eine fördernde Familienpolitik mit Fokus auf Betreuungsangebote sind Felder, in denen der Staat als Akteur angerufen wird. Deutlich wird dies in der Forderung nach mehr Chancengleichheit, die zugleich die dominierende Spielart der Gerechtigkeit darstellt. Der Staat, die Politik ist damit nicht ausgleichender, sondern ermöglichender Akteur, hat seiner Rolle in dem Sinne gerecht zu werden, gleiche Startbedingungen für alle zu schaffen. Wohlgemerkt: Dabei ist weniger die sozialstaatliche Versorgung gemeint. Vielmehr wird der Staat in der Familien- und Bildungspolitik als Strukturgeber für eigenverantwortliches Handeln konkret eingefordert.

In einigen dieser Politikfelder erhofft man sich von den Grünen wichtige Impulse. Auffällig dabei ist, dass eine tatsächliche Wechselhoffnung innerhalb des Politischen vor allem im bundespolitischen Kontext diskutiert wird – lokale grüne Politiker sind eher unbekannt, wohingegen ein/e grüne/r Bundeskanzler/in inzwischen nicht mehr als utopisch abgetan wird.

Auch beim Staatsverständnis tun sich bemerkenswerte Diskrepanzen zwischen neuen und alten Grünen-Wähler/innen auf. Für letztere ist der umfassende Staat noch immer der beste Garant für eine gerechte, solidarische, ja gute Gesellschaft. Nicht umsonst rangiert der „Ausbau der Infrastruktur“ bei ihnen sogar unter den Werten ganz vorne. Sie, als traditionelle Sozialstaatsbefürworter, gehen davon aus, dass der Staat zunächst die Voraussetzungen schaffen müsse, damit eigenverantwortliches, freies individuelles Handeln überhaupt möglich sei. Der Staat ist bei ihnen zugleich (wenn auch nicht immer funktionierender) Garant für Solidarität und Gerechtigkeit wie auch Adressat zur Eindämmung überhandnehmender individualistisch-egoistischer Einstellungen.

Zeitgeisteffekt oder Wertewandel?

In Baden-Württemberg schien evident, dass die Bündnisgrünen von einem Zusammenspiel von Zeitgeisteffekt und Wertewandel hatten profitieren können. Doch gilt diese Diagnose auch für Schleswig Holstein, ein halbes Jahr nach Fukushima, anderthalb Jahre nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko und im Zuge einer massiven Zuspitzung von Euro-, Finanz- und Schuldenkrise? Für den Zeitgeisteffekt spricht der weiterhin bestehende Zweifel an der Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie und der Regelungsmöglichkeiten und Fähigkeiten der großen Politik. In der Wahrnehmung der Neuwähler/innen sind die Grünen diesbezüglich eine Alternative. Was fehlt, ist die klare Fronstellung, wie sie in Stuttgart vorlag.

Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, inwieweit sich ein, den Grünen zugeneigter, Wertewandel feststellen lässt. Erste Ergebnisse verweisen auch in Schleswig-Holstein auf eine fast noch stärkere Abkehr von der unhinterfragten Leistungseuphorie vergangener Jahrzehnte. Der Wunsch nach einer qualitativen Umdeutung des noch dominanten Leistungs(druck)begriffes – etwa als eigenverantwortliche, moralisch abgesicherte Leistung des Einzelnen im gesellschaftlichen Kontext – war zu beobachten. Auch ewiges Wachstum wird entweder über Umwelt- oder Finanzkrisen in Frage gestellt. Diese Debatten waren vor allem dominant in den überdurchschnittlich verdienenden Gruppen. Hier werden die Folgen von (negativem) Fortschritt – der sich in Rationalisierung und damit verbundenen sozialen Konsequenzen, in Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch niederschlägt – als wenig zukunftsträchtig betrachtet. Positiver Fortschritt hingegen, etwa im medizinischen Bereich und vor allem auch in puncto Energiewende, wird begrüßt und bezüglich von Windkraft auch als Chance (mit Belastungspotential durch Flächenverbrauch) für das Land gesehen.

Bei den alten Grün-Wähler/innen ist diese grundsätzliche Leistungs- und Fortschrittsskepsis – wenig überraschend – bereits tief verankert. Die Gesellschaft empfindet man im Vergleich zu „früher“ als weniger solidarisch und gerecht, beobachtet zunehmenden Egoismus und steigende Fixierung (zumindest außerhalb des eigenen Milieus) auf individualistische Werte. Allerdings, so scheint es, ist diese Anti-Leistungs- und Fortschrittshaltung schon so selbstverständlich geworden, dass sich hier zum Teil eine Gegenbewegung andeutet, auch diese Werte und Begriffe nun umgedeutet werden und - allen abzulehnenden Seiten zum Trotz – die doch vorhandenen positiven Aspekte in die Bewertung einbezogen werden, sodass das Urteil nicht mehr ganz so einhellig negativ ausfällt.

Und nicht zuletzt wird auch die Idee einer nachhaltigen Generationengerechtigkeit vereinzelt angesprochen, etwa hinsichtlich der Energiewende oder bezüglich des Ressourcenverbrauchs. Indes, jene für die Frage eines Wertewandels wichtige Diskursverschiebung hinsichtlich der Generationengerechtigkeit ist in Schleswig-Holstein geringer ausgeprägt.

Die Ursachen hierfür scheinen vielfältig, der zeitliche Abstand zu Fukushima auf den ersten Blick evident. Dennoch würde diese Erklärung womöglich zu kurz greifen, betrachtet man die Zukunftssichten und Krisenwahrnehmungen der befragten Neu- und Altwähler/innen. Zum einen zeigt sich, dass die Bedeutung von Umweltpolitik, Atomausstieg und Energiewende für grüne Neuwähler/innen – wohl auch bedingt durch die Bedeutung Schleswig-Holsteins für die Energiewende – im Vergleich zur Aktualität des Themas bei den Erhebungen in Baden-Württemberg, nur geringfügig zurückgegangen ist. Zum anderen könnte es sein – dies werden womöglich die Erhebungen im Frühjahr 2012 in Sachsen beantworten können – dass der, im Frühjahr 2011 diagnostizierte, vage Beginn eines ökologisch-nachhaltigen Wertewandels derzeit von den Krisenwahrnehmung monetärer Werte deutlich überlagert wird.

Aktuell jedenfalls scheint die Fundamentalität der Finanzkrisen ein stark einschneidendes Erlebnis in den Erfahrungshorizont der Befragten zu bedeuten. Die Angst vor weitreichenden Folgen für die eigene Zukunftsabsicherung scheint offensichtlich. Erst eine Überwindung dieser konkreten Ängste könnte hier womöglich auch einen Wertewandel jenseits von Fragen über die Funktionsweise des Finanzmarktkapitalismus ermöglichen – oder ihn gar mit einer noch größeren Dynamik versehen. Womöglich fehlen aber für diese Stoßrichtung eines Wertewandels noch – anders als etwa bei der Energiewende - die vertrauenswürdigen und glaubhaften Alternativen und Auswege. Hier ist die grüne Partei selbst gefordert. Denn deren Position zu den aktuellen ökonomischen Krisen war kaum einem/r Teilnehmer/in bewusst, die Regelungsfähigkeit dieser Krisen wird bei den Grünen eher nicht vermutet.