Rechtspopulismus und Medien - eine nicht immer widerwillige Symbiose

Marine Le Pen von der rechtsradikalen Front National setzte im Wahlkampf u.a. auf eine Kampagne gegen die französischen Eliten und das politische Establishment, um die von der Politik enttäuschten Bevölkerungsteile anzusprechen. Foto: blandinelc, Quelle: Flickr, Bildrechte: CC BY 2.0

7. August 2012
Robert Misik

Die Aufmerksamkeitsökonomie des heutigen Medienbusiness begünstigt das Entstehen populistischer Stimmungen und den Aufstieg anti-etablierter politischer Formationen. Boulevardmedien, private Fernsehanstalten und in jüngster Zeit auch Onlinemedien stehen in harter Konkurrenz um Quoten und Klicks. Die schräge These, die bizarre Provokation, der Skandal und die Inszenierung von Politik als Duell sind wichtig für diesen Kampf um Beachtung. Politische Diskussionen müssen zum „Zweikampf“ werden, Krach und Krawall haben Entertainement-Effekt. Auch wenn einem das nicht gefällt – dem kann man sich kaum entziehen.

Den rechtspopulistischen Meinungsmachern und Politikern ist dabei die Rolle der provokanten Quergeister, der Tabubrecher, der Krachmacher zugedacht, der Gegenseite die der faden Gutmenschen, der blutleeren Apparatschiks, der Etablierten. Politiker „etablierter“ Parteien sind in einer solchen Konstellation von Beginn an in der Defensive, eine Defensive, aus der sie kaum herauskommen können: Sei es, weil sie aus Rücksicht auf Amt und Diplomatie vorsichtig formulieren müssen; sei es, weil sie aus Angst, etwas zu sagen, was gegen sie ausgelegt werden könnte, gar nichts sagen und sich in nebulöse Satzkaskaden hineinreden; sei es, weil ihnen Spin-Doctoren einreden, sie müssen möglichst knackige PR-Botschaften in 50-Sekunden-Soundbites senden – am besten im Stil sinnfreier Waschmittelwerbung; sei es, weil die komplexen Probleme von Regierungspolitik sich schlechter zu knalligen Sätzen verdichten lassen als radikaloppositionelle Attacken; oder sei es, weil sie sich in jahrzehntelanger Gremienarbeit und durch selbstreferentielle Politdiskurse das normale Sprechen abgewöhnt haben (sehr oft ist all das zusammen der Fall).

In dieser Konstellation ist der Rechtspopulist, der vorgibt, er rede „Klartext“, er sage, „was die einfachen Leute denken“, schon auf der Gewinnerstraße, bevor die Scheinwerfer überhaupt eingeschaltet sind. In der totalen Kommunikationsgesellschaft, schreibt die Politikwissenschafterin Dina Elmani, entscheidet Kommunikation „in allen Lebensbereichen über Erfolg und Misserfolg jeglichen Handelns und niemand kann ihr entrinnen. Das öffentliche Gehör stumpft … ab, es zählt nur mehr das Argument, das mit der lauteren Stimme vorgebracht wird. Daraus resultiert eine Lärm-Aufmerksamkeitsspirale, die sich aus Lautstärke und Unterhaltungsfaktor ableitet … wobei das wichtigste Kriterium der Spaßgesellschaft offensichtlich der Faktor ‚Unterhaltung’ geworden ist. Und genau diesem Metier hat sich der heutige Populismus verschrieben – er ist laut, provoziert, fällt aus der Reihe und damit auch auf und bietet Unterhaltung auf einer langweiligen, spröden Politbühne, obwohl er Ängste und Unsicherheit schürt“ (Dina Elmani: http://textfeld.ac.at/pdf/461.pdf). 

Die Symbiose von Medien und Populisten

Die Medien werden so zu Verbündeten der Rechtspopulisten – oft wider Willen, manchmal absichtlich und kalkuliert. Am Offensichtlichsten ist das noch bei den Printmedien aus der Abteilung Boulevard mit ihrem Massenpublikum. Sie geben sich als das Sprachrohr des kleinen Mannes, der einfachen Leute, der „regular Folks“, und sind damit schon von ihrer medial-politischen Agenda der Position der Rechtspopulisten ziemlich nahe, so dass der politische Populismus vom Medienpopulismus flankiert, im Einzelfall auch durch diesen ersetzt wird. Auch die Medienpopulisten geben vor, den echten Sorgen der normalen Menschen Ausdruck zu verleihen, die in einem angeblich abgehobenen Politikbetrieb nicht mehr ausreichend zur Sprache kommen würden.

Aber auch durchaus „kritische“ Medien geraten in eine eigentümliche Symbiose mit den populistischen Wort- oder Parteiführern. Rechtspopulistische Politiker inszenieren sich als „echt“, als „authentisch“, gleichzeitig als „erfrischend anders“ und werden gerade so zum Star. Die Medien verkaufen mit dem Star ihre Auflage. Sie heben den umstrittenen Populisten auf die Titelseite, was ihnen merkbare Verkaufszuwächse bringt, die Star-Aura des Populisten gleichzeitig aber wieder verstärkt. Dabei ist nahezu irrelevant, ob sie den Populisten anhimmeln oder dämonisieren.

Feiern sie ihn, kann es ihm recht sein. Warnen sie vor ihm und brandmarken sie seine Gefährlichkeit, kann es ihm genauso recht sein – dann ist er in seiner Rolle als „Tabubrecher“ bestätigt, der vom gesamten Establishment bekämpft wird, vom Medienestablishment inklusive. Kritische Berichterstattung wird dann als „Verfolgung“, als Missbrauch der Pressefreiheit charakterisiert, die ihn, den rechtspopulistischen Politiker, der unbequeme Wahrheiten ausspricht, mundtot machen will. Weshalb der rechtspopulistische Radau-Oppositionelle den Medien, von denen er profitiert, gerne auch androht, er würde in den Redaktionen schon für Ordnung sorgen, wenn er denn einmal an die Macht käme. Und wo das tatsächlich geschieht, wo Rechtspopulisten an einflussreiche Regierungsstellen gelangen, versuchen sie das tatsächlich – man denke nur an die Orbán-Regierung in Ungarn, auf spezielle Art geschah das in Italien (wo Berlusconi ohnehin als Eigentümer wichtiger Medien den Durchgriff hat), aber auch in Österreich gab es unter der ÖVP-FPÖ-Regierung massiven Druck auf Journalisten des öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosenders ORF.

Die Spirale von Provokation und Skandalisierung

Der Aufstieg der Rechtspopulisten ist jedenfalls immer auch eine politisch-mediale Aufschaukelung von Provokation – Skandalisierung – noch mehr Provokation – noch mehr Skandal. Dies führt dazu, dass der rechtspopulistische Politiker im Gespräch bleibt, während die „normalen“ Politiker mit ihren Sachthemen und langwierigen Kompromisssuchen unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle dahingrundeln. Der rechtspopulistische Politiker konzentriert damit einen überproportionalen Anteil von Aufmerksamkeit auf sich, sodass sich das politische Klima als ganzes sukzessiv verroht und radikalisiert, was ihm wiederum günstig ist. Freilich ist der populistische Politiker selbst in einer Spirale des „Mehr“ gefangen. Er muss die Dosis stets erhöhen: Eine Aussage, die gestern noch als provokant galt, ist heute schon bekannt und regt deswegen niemanden mehr auf, weshalb sie durch eine noch ärgere Provokation getoppt werden muss. Mehr noch: Die Strategie von Skandal und Skandalisierung ist mit der Zeit bekannt und führt zu einer Ermüdung des Publikums – weshalb noch ärger provoziert werden muss, um überhaupt die Erregungsschwelle zu überschreiten. Der Populist verabreicht Gift in kleinen, aber immer wachsenden Dosen, er ist aber selbst ein Getriebener seiner Strategie.

Die FPÖ, erst unter Jörg Haider, jetzt unter Heinz-Christian Strache, hat diese Strategie zur Meisterschaft gebracht. Ein beliebtes Mittel war es, in Wahlkämpfen skandalöse Plakate zu affichieren, worauf öffentliche Empörung ausbrach und alle Medien über die Plakate und die Empörung berichten mussten, sodass sich alles um die Themen drehte, die die Rechtspopulisten setzten. Mittlerweile ist aber ein derartiger Gewöhnungseffekt eingetreten, dass es selbst den FPÖ-Textern schwer fällt, sich ausreichend „noch skandalösere“ Plakate auszudenken. Mittlerweile bleibt die Empörung oft schon aus, was gewiss ein schlechtes Zeichen für die politische Kultur des Landes, aber paradoxerweise auch für die Rechtspopulisten ein Problem ist, weil es ihre Strategie unterläuft.

Exzentriker in der Politik

Es ist eine banale Feststellung, dass heute Politik in einem hohen Maße Inszenierung ist und die Frontleute der Parteien und politischen Bewegungen in den Lichtkegel der Aufmerksamkeit geraten und nicht nur als politische Funktionäre, sondern auch als Persönlichkeiten und „Celebrities“ funktionieren müssen. Ein Sachverhalt, der gerne mit Begriffen wie „Personalisierung“ und „Amerikanisierung“ beschrieben wird und der politische und mediale Ursachen hat. Zu den politischen Ursachen zählt: Die Bindekraft politischer „Lager“ nimmt ab, dagegen orientieren sich die Wähler verstärkt an den handelnden Personen. Zu den medialen Ursachen zählt: Medien erzählen ihre Geschichten lieber an Hand von Menschen, weniger gerne an Hand von Daten, Fakten und Gesetzesvorhaben. Jeder weiß das, darüber muss man nicht viele Worte verlieren. Dieser Strukturwandel ist Populisten günstig. Populistische Parteien sind in aller Regel auf eine Führungsperson zugeschnitten. Gewiss, diese Person kann relativ talentlos und auf fast schon schmerzhafte Weise „normal“ sein, wie Sarah Palin, Heinz-Christian Strache oder der Schweizer Christoph Blocher. Auch Viktor Orbán ist, als Person, eher ein normaler Typ. Aber es kann auch nicht übersehen werden, dass viele Frontleute der Rechtspopulisten recht eigentümliche Persönlichkeiten waren und sind. Pim Fortuyn in Holland, Jörg Haider, Silvio Berlusconi, Umberto Bossi, der Hamburger Kurzzeit-Populistenführer Ronald Schill, der niederländische Anti-Islam-Anführer Geert Wilders – sie sind doch eher extravagante Figuren, Exzentriker in der Politik. Menschen, von denen man nicht genau weiß, ob sie eher zum Lachen oder zum Fürchten sind.

Sie sind auf bizarre Weise auf ihr „Ich“ konzentriert. In der medialen Darstellung changieren sie auf frappierende Weise zwischen „gefährlich“ und „man darf sie nicht zu ernst nehmen“. Deshalb ist, was für andere Politiker politisch tödlich wäre, für sie nicht einmal peinlich. Sie tun und sagen Dinge, für die jeder andere ohne Zweifel im Handumdrehen für verrückt befunden würde. Sie sind Schauspieler, die gerade deshalb so authentisch wirken, weil sie sich ihrem Schauspieler-Ich so vorbehaltslos, so „echt“ hingeben. Weil es die Schaustellerei begnadeter Ich-Darsteller ist. Sie verfügen über einen Authentizitätsbonus, der durch ihre Ich-Fixiertheit, ihre narzistische Eigenliebe getragen wird. Ihre Macken, ihre Sucht nach Aufmerksamkeit, ihre Respektlosigkeit, ihr Vorwitz, ihre Ignoranz gegenüber Gepflogenheiten und Realitäten, mit einem Wort, all jene Charaktereigenschaften, in denen sich ihre Exzentrik erweist, heben sie vom Typus des politischen Funktionärs ab, der im schlimmsten Fall nicht mehr ist, als das Amt, das er bekleidet. Was politische Kommentatoren vorschnell „personales Charisma“ nennen, ist eine Subjektivität, die diesen politischen Exzentrikern erlaubt, obzwar sie meist an der Spitze von Parteien stehen, diese hinter sich verschwinden zu lassen – und so das antipolitische Ressentiment zu lukrieren. Es ist dieses Changieren, das praktisch immer zu ihren Gunsten ausschlägt: Gehen sie zu weit, das heißt, weiter, als selbst ihr engeres Publikum goutiert, so sind sie immer noch – ja, gerade dann! – Typen, die sich etwas trauen.

Dass sie, in solch eminenten Sinn, „Figuren“ sind, macht sie zu paradigmatischen Gestalten einer auf Personen fixierten Polittainment-Kultur, in der also Entertainment und Politikberichterstattung ineinander kollabieren.

Tabus und Pseudotabus

Rechtspopulistische Meinungsmacher und Politiker behaupten nicht nur, dass sie „Klartext“ reden und „die Wahrheit“ aussprechen, wohingegen etablierte Politiker und Mainstreammedien um den heißen Brei herum reden würden, sie behaupten zudem, dass Politik und Medien auf nachgerade verschwörerische Weise „Tabus“ errichten – dass sie vorschreiben, was gesagt und gedacht werden muss. Sie würden den normalen Bürgern verbieten, zu sagen, was sie wirklich denken, zu sagen, „was Sache ist“. Und der Populist, sei er Buchautor, Kommentator oder Parteiführer, würde die Wahrheit stellvertretend für die zum Schweigen verdammte Mehrheit aussprechen. Dafür wiederum ziehe er sich den Hass der Tabuhüter vor. Die Populisten würden also unterdrückte Meinungen aussprechen. Dass dies auch ohne populistische Politiker im engen Sinn funktioniert, zeigte die deutsche BILD-Zeitung am Höhepunkt der Sarrazin-Debatte, als sie mit dicken fetten Lettern von ihrer Titelseite schrie: „Das wird man ja noch sagen dürfen! – BILD kämpft für Meinungsfreiheit.“

Die plakative Behauptung von Tabus und die medial inszenierte Durchbrechung derselben ist ein argumentativer Dreh- und Angelpunkt populistischer Rhetorik. Solche „Pseudotabu-Debatten“ folgen dem von Alexander Hensel so schön beschriebenen Mechanismus: „Zunächst wird die eigene politische Position zum Tabu stilisiert. So kann die .. kollektive Ablehnung von Tabus aktiviert werden. Dies ermöglicht, etwaige Kritik der eigenen Position zu diskreditieren, indem diese als bloße Verteidigung des vorgeblichen Tabus beschrieben wird. Als solche kann sie, ungeachtet ihres Inhalts, als Angriff auf Pluralismus und Meinungsfreiheit umgedeutet werden. Der Pseudotabubrecher selbst inszeniert sich demgegenüber als intellektuell redlicher Querdenker und mutiger Verteidiger dieser demokratischen Werte. … Zweitens zieht ein inszenierter Tabubruch meist ein hohes Maß an Publizität nach sich. … Drittens kann die inhaltliche Position des Pseudotabubrechers immunisiert werden, indem jegliche Kritik seiner Position in eine Verteidigung des konstruierten Tabus umgemünzt wird“ (in: Alexander Hensel/Daniela Kallinich/Katharina Rahlf: Parteien, Demokratie und gesellschaftliche Kritik, Stuttgart 2010, Seite 243).

Das ist natürlich unredlich, weil der Pseudotabubrecher gerade das, was er wie ein Popanz vor sich herträgt – die „Meinungsfreiheit“ –, dementiert: die Gegenmeinung wird diskreditiert, der Kritiker des Tabubrechers unmöglich und damit mundtot gemacht. Das ist insofern durchaus bizarr, als sich die populistischen Pseudotabubrecher immer als Kämpfer gegen „Sprechverbote der politischen Correctness“ gerierten. In gewissem Sinn hat aber die „Politische Correctness“ die Seiten gewechselt – so dass es mittlerweile oft als politisch inkorrekt gilt, dem populistischen „Klartext“-Redner auch nur zu widersprechen. Mittlerweile jedenfalls wird das „Recht auf Meinungsfreiheit" verdammt oft mit dem Recht verwechselt, nicht kritisiert zu werden. Das Anmaßende an dieser Operation fällt nicht immer gleich auf, weil die so Sprechenden für sich in Anspruch nehmen, sie würden als einzige „Klartext" reden, während alle anderen um den heißen Brei herumreden, lügen usw. Wenn in solch einem Sinn von „Meinungsfreiheit" geredet wird, geht es aber natürlich nicht um „Meinungsfreiheit", sondern darum, in einer diskursiven Konstellation einen Vorteil gegenüber Andersdenkenden zu erzielen. „Meinungsfreiheit" ist dann nicht die Grundlage, auf der argumentiert wird, sondern selbst ein Totschlagargument, das besonders dann gute Dienste leistet, wenn man selbst nicht in der Lage ist, plausibel und vernünftig zu argumentieren. Motto: Wer meine Meinung nicht teilt, beschneidet meine Meinungsfreiheit.

Die These von der „Einschränkung der Meinungsfreiheit durch politische Correctness“ leistet den populistischen Politikern und ihren publizistischen Helfern jedenfalls gute Dienste. Natürlich kann man einwenden, dass es die von ihnen behaupteten Tabus gar nicht gibt, dass heutzutage ohnehin alles gesagt werden kann und auch gesagt wird, und dass gerade in einer medialen Welt, die vom Skandal lebt und von provokanten Thesen, noch die bizarrste Meinung in die entlegensten Wohnzimmer geliefert wird.

Aber wenn man sich mit dem Populismus auseinandersetzen, wenn man sein Wirken verstehen und sich Gegenstrategien überlegen will, dann soll man immer auch die Frage stellen, ob und inwiefern er nicht doch recht hat. Gibt es, auch wenn es keine Meinungen gibt, die zu Äußern verboten wäre, heute nicht doch so etwas in den liberalen westlichen Demokratien wie einen Pluralismus im Rahmen des Erlaubten? Gibt es so etwas wie einen Korridor der erlaubten Meinungen, sagen wir: von rechtskonservativ bis sehr gemäßigt linksliberal, innerhalb dem die „ernstzunehmenden“ Urteile verortet sind? Vielleicht ist es doch so: Wer sich außerhalb dieses enger werdenden Korridors positioniert, der kann durchaus seine Meinung äußern, er kann auch einen hübschen Haufen Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ja, er wird es womöglich sogar zu einer großen Nummer im Medienbusiness bringen, aber er wird immer mit einem Bein eine Lachnummer sein. Man wird ihn Quergeist nennen, oder Spinner. Vielleicht gibt es eine feine, unsichtbare, aber stets zu beachtende Linie, innerhalb derer sich die „ernsthaften“ Meinungen zu bewegen haben, jene, die als „seriös“ geadelt werden wollen. Und womöglich ist in diesem Sinne die Behauptung von „Tabus“ durch die populistische Rhetorik nicht gänzlich falsch.

Theatralisierung und Entideologisierung

Mit gewissem Recht könnte man die These formulieren, dass sich der rechte Populismus in einer Ära der Theatralisierung von Politik der totalen Inszenierung hingibt. Er nützt die Medien schamlos aus, während „normale“ Politik, sowohl die etablierter Regierungsparteien als auch die seriöser Oppositionsparteien, die Theatralisierung immer mit einem gewissen Vorbehalt betreibt. Seriöse Politiker bekümmert es, wenn sie politische Fragestellungen grob simplifizieren, obwohl sie über die Komplexität von Problemen Bescheid wissen – ja, oft macht es ihnen dieses Bescheidwissen unmöglich, ihre Positionen ausreichend zu simplifizieren. Seriöse Politiker wollen, selbst wenn sie sich Massenstimmungen anzuschmiegen versuchen, doch immer auch die Bürger von etwas zu überzeugen, ihre Meinungen zu verändern, und somit sind sie versucht, die Medien für eine komplizierte Operation zu nützen als bloß dafür, sich optimal in Szene zu setzen und den Wählern das zu geben, was diese gerade hören wollen. Sie können Gegner anprangern, sie können kritisieren, was in ihren Augen schlecht läuft, aber sie dürfen sich auch nicht in reinem Negativismus verlieren. Seriöse Politiker sind zudem in ein Netz von Zwängen verwoben: Sie müssen kantig und unverwechselbar sein, aber doch kompromissbereit und lösungsorientiert, am besten verbindlich und gleichzeitig konfliktbereit. Man erwartet, dass sie unideologisch und sachorientiert sind, gleichzeitig sollen sie aber doch auch zu ihren Grundsätzen stehen. Sie sollen kraftvoll, energetisch und vital erscheinen, aber keineswegs machtgierig und egoistisch, sie sollen das Gemeinwohl voran- und das Parteiinteresse zurückstellen, aber wehe sie sind Umfaller, die Parteipositionen vorschnell aufgeben. Erst Recht gilt das, wenn sie in Regierungen mitwirken und sowohl in Richtung Galerie sprechen, aber zeitgleich und vielleicht primär in Richtung Bürokratie und Politikapparat wirken müssen. Und wehe, diese Quadratur des Kreises gelingt ihnen nicht, dann werden sie medial an den Pranger gestellt.

Aber selbst wenn es ihnen, ohnedies mehr schlecht als recht, gelingt, dann haben sie sofort einen Nachteil: Sie haben in viele Rollen zu schlüpfen, können aber keine Rolle voll ausfüllen.

Es ist offensichtlich, dass die rechtspopulistischen Politiker es in dieser Hinsicht viel einfacher haben. Sie können sich eine Rolle auf den Leib schneidern und diese weitgehend durchziehen. Von Ideologie im strengen Sinn sind sie selten behindert, und wenn ja, werfen sie sie, sobald sie stört, gerne über Bord. Gegenüber der „etablierten Politik“ nehmen sie die Rolle des Robin Hood ein. Sie konstituieren ein „Wir“ der kleinen Leute, das sie in einer vertikalen Unterscheidung nach Oben hin gegenüber den Eliten, in einer horizontalen Unterscheidung meist gegen ethnisch andere – die Ausländer, den Islam etc. – in Stellung bringen. Reiner Negativismus und eine maximale Konfliktstrategie ist ihr Lebenselexier. Im medialen Bild, das durch diese Inszenierung produziert wird und auch die Inszenierung wieder zurückwirkt, sind sie „volle“ Charaktere, leicht zu begreifen, leicht darzustellen. Sie sind, jedenfalls nach außen hin, in keinem Widerspruch verfangen.

Inszenierung, Theatralisierung und Medialisierung bestimmt heute sowohl das Handeln von Politikern etablierter und seriöser Parteien als auch das populistischer Total-Oppositioneller. Aber diese Gemeinsamkeit darf die Differenzen nicht verdecken: Inszenierung und Theatralisierung sind bei den „normalen“ Politikern eine Strategie, der „Glaubwürdigkeitskrise“ der Politik zu begegnen, und das hat deshalb immer auch den Hauch des Bemühten, des händeringend Hilflosen; noch die beste Inszenierung kann den Verlust an Anerkennung praktisch nie vollständig einholen. Der Rechtspopulist hingegen ist der Gewinner dieser Glaubwürdigkeitskrise und seine mediale Inszenierung ist für ihn das Mittel, den Profit möglichst vollends einzufahren.

Medien und Rechtspopulismus – ein Resümee und ein „Was tun?“

In der politischen und wissenschaftlichen Debatte stehen sich, geht es um „Rechtspopulismus und Medien“, grob gesprochen zwei Deutungsschulen gegenüber. Schule Eins betont die politischen Gründe des populistischen Moments – die schwindende Integrationswirkung traditioneller Parteien, die Entideologisierung der Politik und das Reißen kommunikativer Fäden zwischen Parteipolitik und Bürgern. Diese Schule Eins würde also am ehesten so formulieren: Die massenmedialen Logiken, die oben beschrieben sind, gereichen den Populisten zum Vorteil, sie sind aber nicht die Ursache für den Aufstieg des Populismus. Gäbe es bessere Zeitungen, weniger skrupellose Boulevardblätter und wäre das Fernsehen nicht zum Sensationalismus verkommen – die Populisten würden dennoch ihren Aufstieg erleben. Schule Zwei unterstreicht dagegen die Bedeutung der Medien, die Komplizenschaft der medialen Lärmmaschine mit den Populisten. Fluchtpunkt dieser Argumentation: Ohne Medien wären die Populisten nichts.

Kurzum: Schule Eins betont das politische Primat des Problems, die medialen Mechanismen geraten hingegen zum relativ belanglosen Hintergrundrauschen. Schule Zwei legt allen Ton auf die mediale Ordnung des Diskurses – und insinuiert damit, Politik könne ohnehin nichts tun. Diese strenge Dichotomie ist unfruchtbar und wirklichkeitsfremd, wie so oft, wenn man Argumente übertrieben zuspitzt. In der konkreten Wirklichkeit ist beides wahr.

Populistische Stimmungen gewinnen an Macht, wenn die kommunikativen Fäden reißen, die die politischen Repräsentanten mit der Bevölkerung verbinden. Von einer „Sprachstörung“ redete Joachim Gauck, der gemeinsame Präsidentschaftskandidat der deutschen Sozialdemokraten und Grünen. Der britische Politikwissenschafter Colin Crouch hat in diesem Zusammenhang von „Postdemokratie“ gesprochen, ein Begriff, der institutionelle Veränderungen, mediale und politische Konstellationen und politische Emotionslagen zusammenfasst. Crouch: „Wir haben Demokratie, wir haben die Institutionen, aber eigentlich interessieren sie niemanden mehr so richtig. Die Bürger wählen, aber eigentlich wissen viele nicht, wen sie wirklich wählen sollen. Die Demokratie existiert weiter, aber jenseits davon hat die Demokratie ihre vitalen Energien verloren.“

Wie denken die verdrossenen Bürger über „die Politik“? Hier gibt es, erstens, jene, die der Parteienanordnung als solcher zunehmend reserviert gegenüber stehen, die sie etwa so charakterisieren würden: hier gibt es eine unbegründete und überholte „Parteilichkeit“, nichts als Gezänk, kleinliche Streitereien um Vorteile im politischen Spiel. Hier gibt es, zweitens, jene Bürger, die den Staat als bürokratisches Monstrum betrachten, das von „den Parteien“ gekapert wurde, um es sich an seinen Futtertrögen gut gehen zu lassen. Motto: Die leben auf unsere Kosten. Und dann gibt es, drittens, die einheimischen Unterprivilegierten. Diese sind, keineswegs mehr nur instinktiv, sondern sehr manifest, der Auffassung: dass sich im Grunde niemand für sie interessiert; dass sie links liegen gelassen werden; dass keiner weiß, wie es ihnen wirklich geht in ihren „stigmatisierten Wohnvierteln“; dass sie eigentlich keine der etablierten, demokratischen Parteien repräsentiert. Das hat auch zu tun mit der sozialen Zusammensetzung des politischen Personals der allermeisten demokratischen Parteien. Dieses rekrutiert sich, längst auch bei „Arbeiterparteien“ wie der Sozialdemokratie, meist auch bei den Spitzenfunktionären konservativer Volksparteien (sofern sie nicht aus dem ländlich-bäuerlichen Milieu stammen), bei Grünen und Liberalen sowieso, aus Akademikern, Angehörigen der oberen Mittelschicht, Beamten. Kurzum: Aus Menschen, die von ihren gesamten Lebensumständen und ihrem personalen Habitus, ihrer Art, sich zu kleiden, zu sprechen und sich zu bewegen, mit diesen Unterprivilegierten nichts mehr zu tun haben. In der Sprache des populistischen Ressentiments klingt das dann so: „Die“ leben ja ganz anders. „Die“ leben ja ganz wo anders. „Die“ haben ja gar keine Ahnung, wie es uns geht. Das ist der Kern des Populismus: dieses Wir-Gegen-Sie-Setting, diese symbolische Ordnung von „Wir, die normalen, einfachen Leute“ gegen „Die, die Eliten, die da Oben, die Politiker“. Insofern ist der Populismus eine populare Revolte, antielitär und genuin politisch. Nichtsdestoweniger sind viele dieser Ressentiments, mögen sie auch einen wahren Kern haben, nicht nur medial geschürt, sondern medial produziert. Es ist nicht so, dass sie gewissermaßen „roh“ vorhanden waren und dann medial aufgebauscht würden – eine solche Vorstellung unterstellt Linearität, wo eher die Vorstellung der Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung angebracht wäre.

Demokratische Politik kann auf die Art, wie Medien berichten und welche Stimmungen sie schüren kaum direkt Einfluss nehmen und schon gar nicht, welchen Zorn sie zu ihrem ökonomischen Nutzen ausbeuten. Also: Auf die medialen Ursachen kann Politik nur sehr vermittelt einwirken. Auf die politischen Ursachen schon eher.

Wenn der Populismus auch eine – manche mögen meinen: pervertierte – Form der popularen Revolte gegen den Elitismus in Politik und Wirtschaft ist, dann hat er aber einen Kern, den demokratische Politik ernst nehmen muss, ja, der für demokratische Politik sogar fruchtbar gemacht werden kann.

Dass Politik sich oft in kleinlichem Parteiengezänk erschöpft – ist wahr. Dass der etablierte politische Apparat selbstreferentiell geworden ist, sich in seiner Sprache mit seinen Themen beschäftigt und den Bürgern allenfalls dann seine Ergebnisse zu „verkaufen“ versucht – ist wahr. Dass in politischen Parteien über Codes kommuniziert wird und der, der hier erfolgreich sein will, sich diese Codes antrainieren muss, und dann oft nicht mehr in der Lage ist, auf normale Weise mit normalen Leuten zu sprechen – ist wahr. Dass Politiker dann oft versuchen, „Übersetzungsleistung“ zu erbringen und den Leuten ihre Erfolge in PR-Sprache anzupreisen – ist wahr. Dass sie deshalb oft mit Recht als unauthentisch erscheinen – ist wahr.

Dass das politische Personal der meisten Parteien sich auf politische „Professionals“ verengt hat, die allesamt dem oberen Mittelstand angehören – ist wahr.

Die Fragen, die das auch für die Parteien der demokratischen Linken aufwirft, liegen auf der Hand. Ist ihre politische Rhetorik nicht viel zu oft auf ihren Binnendiskurs orientiert? Vorsicht, Rücksicht und natürlich auch das Wissen um die Komplexität der Dinge hindern sie viel zu oft daran, „Klartext“ zu reden. Es ist auch keine allzu gute Idee, die frei flottierenden Anti-Establishment-Emotionen einfach den Populisten zu überlassen. Womöglich müssen Progressive erst wieder erlernen, von ihren Werten zu sprechen, und nicht nur von praktischen Lösungen oder von Interessenskonflikten. Schließlich sind Progressive ja die einzige Kraft, die einen Begriff von Gemeinnutz hat und die von einer geteilten Moralität angetrieben wird. Wenn das „populistische Moment“ ein Symptom dafür ist, dass breite Teile der Bevölkerung auch einfach Hoffnung verloren haben, dann zeigt das aber: Die Mitte-Links-Parteien müssen klare, konkrete Ziele formulieren, für die man sich begeistern kann. Etwa, das Ziel einer Gesellschaft, in der alle gleiche Chancen haben und alle ihre Talente entwickeln können. Übrigens kann man das auch auf folgende Weise plakativ formulieren: „Wir brauchen jeden und jede!“ Aber die Linke ist viel zu defensiv geworden und sie hat für dieses „auf zu neuen Zielen“ praktisch keine Sprache mehr.

All dies befeuert auch die antipolitischen Ressentiments in den Medien, die der Populismus dann ausbeuten kann. So entsteht der Humus, auf dem der rechte Populismus gedeiht.

Literatur:

Crouch, Colin (2004): Post-democracy. Cambridge 2004.
Elmani, Dina (2003): Den Medien ihre Populisten. Den Populisten ihre Medien. Unter: http://textfeld.ac.at/text/461.
Hensel, Alexander, Daniela Kallinisch und Katharina Rahlf (Hrsg.) (2010): Parteien, Demokratie und gesellschaftliche Kritik. Stuttgart, S. 243

Robert Misik ist ein österreichischer Journalist und politischer Schriftsteller.

Buch

Rechtspopulismus in Europa

Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit Green European Foundation, Grüne Bildungswerkstatt und Bureau de Helling
Aus dem Englischen von Jochen Schimmang und Annette Bus
planetVerlag, 1. Auflage, Wien 2012, Abbildungen, 222 Seiten, Preis: € 18,00
ISBN 978-3-902555-32-8

Das Buch "Rechtspopulismus in Europa" erscheint am 17. August 2012 und kann über unseren Bookshop direkt bestellt werden.