Von Ralf Fücks
Für eine Geburtstagsparty kommen wir ein bisschen spät – formell haben sich die Grünen bereits im Januar 1980 gegründet, nachdem sie schon bei den Europawahlen im Juni 1979 als „Besondere politische Vereinigung“ aus dem Stand 3,2 Prozent der Stimmen auf sich ziehen konnten. Schon das war ein Signal, dass da eine neue politische Kraft auf dem Weg war, die auf starke gesellschaftliche Resonanz stieß.
Aber angesichts des grünen Höhenflugs in den Umfragen und den schwindelerregenden Aussichten für die kommenden Wahlen konnte das Timing dieser Konferenz nicht besser sein. Bevor wir also heute Abend Party feiern, tun wir das, was einer politischen Stiftung zukommt: Wir ziehen Bilanz und blicken nach vorn. Dabei geht es nicht um grüne Nabelschau. Zu Wort kommen nicht nur die fabulous four der Grünen, die berühmte doppelte Doppelspitze, sondern Personen aus Wissenschaft, Kultur, Umweltbewegung und Wirtschaft, die uns einen Spiegel vorhalten, ihre Kritik und ihre Erwartungen vortragen sollen.
Die Entwicklung in diesen 30 Jahren war atemberaubend. Man ist versucht, sie rückblickend als eine einzige Erfolgsgeschichte zu beschreiben. Das wäre allerdings eine allzu rosige Sicht. Bis in die 90er Jahre stand die Partei immer wieder am Rand der Spaltung, und die innerparteilichen Auseinandersetzungen waren grässlich, auch wenn man selbst kräftig mitmischte.
Als wir 1990, im Jahr der deutschen Einheit, aus dem Bundestag flogen, konnte man schon die Geier kreisen sehen. Wer weiß, ob wir wieder auf die Beine gekommen wären, hätten die ostdeutschen Freunde von Bündnis 90 nicht die grüne Fahne im Bundestag hochgehalten. Dafür können wir ihnen nicht dankbar genug sein.
Die Partei konnte sich sogar leisten, reichlich politische Talente zu verschleißen – es kamen immer neue dazu. Auch die bitteren Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden, das vorzeitige Ende der rot-grünen Koalition und der Abgang des großen Zampano Joschka haben den grünen Aufstieg nicht gebremst.
Weshalb ist das so? Die Grünen gelten als sachkundig, einfallsreich, engagiert und gemeinwohlorientiert. Sie verfügen über ein politisches Personal, das sich parteiübergreifende Wertschätzung erworben hat. Aber das erklärt nicht alles.
Die Grünen sind so erfolgreich, weil sie auf einer langen historischen Welle reiten, die sie selbst mit losgetreten haben. Als Partei der Ökologie repräsentieren wir ein Jahrhundertthema. Und als Partei der Selbstbestimmung, der Bürgerbeteiligung, der kulturellen Vielfalt, der Geschlechter¬demokratie spiegeln wir Tiefenströme in der Gesellschaft, mit denen sich die anderen Parteien sehr viel schwerer tun.
Als Außenseiter gestartet, sind die Grünen heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In den Städten sind sie bereits eine Großmacht. Alle Welt schaut gespannt nach Berlin, wo wir vielleicht schon bald die erste grüne Regierende Bürgermeisterin sehen werden. In Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein liegen sie in Umfragen deutlich über 20%. Fast jeder zweite Bürger kann sich vorstellen, die Grünen zu wählen. Auch wenn Umfragen noch lange keine Garantie für Wahlerfolge sind, spürt man doch, dass wir auf dem Sprung in eine neue Dimension sind.
Wer die Bilder von der Beerdigung Sepp Daxenbergers gesehen und die Nachrufe auf ihn gelesen hat, bekam eine Vorstellung davon, was die Grünen bewegen und welche unterschiedlichen Kräfte sie zusammenbringen können. Ob man den Begriff der grünen Volkspartei mag oder nicht – hier wurde deutlich, dass sie eine Kraft sein können, die nicht spaltet, sondern zusammenführt, und zwar über die traditionellen politischen Lager hinweg.
Die grünen Themen - Klimaschutz, erneuerbare Energien, der ökologische Umbau unserer Städte, soziale Teilhabe und ein Bildungssystem, das alle Kinder gleichermaßen fördert - werden die nächsten Jahrzehnte prägen. Bioprodukte und fairer Handel liegen im Trend, grüne Technologien sind die Wachstumsmärkte der Zukunft.
Die amtierende Regierungskoalition kann die grüne Trendwende verzögern, aber nichts Eigenes dagegen setzen. Sie erscheint schon jetzt als Auslaufmodell.
Die Kehrseite des Erfolgs ist, dass die Grünen kein Monopol mehr auf ihre Themen haben. Das ist gut so, denn grundlegende Reformen brauchen möglichst viel Resonanz in der Gesellschaft. Aber deshalb werden die Grünen noch lange nicht überflüssig. Sie werden auch künftig gebraucht: als vorwärtstreibende Kraft, als unbequeme, kreative und diskussionsfreudige Partei. Und genau dafür brauchen sie auch eine Stiftung, die mit neuen Ideen experimentiert, Brücken in andere Milieus baut und kontroverse Debatten nicht scheut.
Mit ihrer neuen Stärke wächst den Grünen auch eine neue Verantwortung zu. Sie müssen eine Politik für die ganze Gesellschaft entwerfen, die auf grundlegende Veränderungen zielt und zugleich Vertrauen stiftet, dass das mit Augenmaß und Verantwortung geschieht. Dafür reicht es nicht aus, das Erbe der Vergangenheit zu verwalten. Wir müssen unsere programmatischen Batterien neu aufladen, und dafür wollen wir auch als grüne Stiftung unseren Beitrag leisten.
Wir stehen vor riesigen Herausforderungen, die in den kommenden Jahrzehnten bewältigt werden müssen: die ökologische Transformation der Wirtschaft, der demographische Wandel, die Sanierung der Staatsfinanzen, das Zusammenhalten einer immer stärker fragmentierten Gesellschaft, der Ausbau der europäischen Gemeinschaft und die Sicherung des Friedens in einer konfliktträchtigen Welt. Manchmal kann einem angst und bange werden angesichts dieser Zusammenballung von Problemen. Aber so abgedroschen es auch klingt: Krisen sind immer Chancen für Veränderung und Neubeginn, und die Grünen können an der Spitze dieses Wandels stehen.
Sie werden dabei das Kunststück fertigbringen müssen, sich gleichzeitig treu zu bleiben und selbst zu verändern: „Ich will so bleiben, wie ich bin“ wird als Rezept für die nächsten 30 Jahre nicht funktionieren. Die Aussichten sind gut, dass die grüne Erfolgsgeschichte erst begonnen hat.