Die Nachricht war ein Schock für alle ihm Nahestehenden. Selbst bei einer aggressiven Krebserkrankung, wie Ludwig sie hatte, glimmt die Hoffnung auf Heilung oder ein verlängertes Leben weiter. Die Zeit zwischen dem Ausbruch der Krankheit und dem jähen Ende war erschreckend kurz. Noch einen Tag vor dem Tod saßen Freunde an seinem Krankenbett in der Berliner Charité und er nahm an allem Anteil. Niemand glaubte, dass es so schnell gehen könnte.
Ludwig Mehlhorn wurde im Januar 1950 geboren, wenige Wochen nachdem die DDR ausgerufen worden war. Als Arbeiterkind aus dem Erzgebirge, gläubiger Protestant und Mathematiker engagierte er sich seit Ende der sechziger Jahre in der Aktion Sühnezeichen und der evangelischen Studentengemeinde und knüpfte darüber auch seine ersten polnischen Kontakte. Ihm blieb die Phase kommunistischer Gläubigkeit, die andere Biographien späterer DDR-Oppositioneller mitprägte, erspart. Er sah seine Verantwortung darin, als Christ der Diktatur zu widerstehen. Als Autodidakt eignete sich Ludwig Mehlhorn die polnische Sprache an, übersetzte und kommentierte Dokumente der demokratischen Opposition, Texte des Soziologen Jan Strzelecki, von Jan Jozef Lipski und Czeslaw Milosz. Als Redakteur und Mitherausgeber von Untergrundzeitschriften spielte er für zahlreiche Oppositionskreise, darunter die Initiative Frieden und Menschenrechte, eine entscheidende Rolle. Die DDR-Staatsmacht ahndete sein Engagement mit langjähriger Reisesperre und Berufsverbot, Repressalien und immer stärkerem Druck.
Ludwig Mehlhorn sah das Ende der DDR, zu dem er beigetragen hatte, und die Zeit der friedlichen Revolution als eine Chance, die weit über Deutschland hinausreichte. Ihm ging es insbesondere um eine neue und bessere Zukunft mit den polnischen und den anderen osteuropäischen Nachbarn. Nichts konnte seinen Anspruch besser ausdrücken als der Name der von ihm mitbegründeten Bürgerbewegung: „Demokratie Jetzt“. Im „Bündnis 90“, das die Kräfte von Demokratie Jetzt mit aufnahm, drückten sich die besten Traditionen der ostdeutschen Bürgerbewegung aus.
Ludwig strebte nie eine politische Karriere an, vielleicht nicht einmal, weil er zu bescheiden war, sondern weil ihn andere Herausforderungen stärker reizten. Er wollte weiter mit bauen am deutsch-polnisch-osteuropäischen Verständigungswerk und fand in der Evangelischen Akademie Berlin eine Wirkungsstätte, die ihm dabei entsprach. Für seine Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung wurde Ludwig Mehlhorn unter anderem mit dem Dialogpreis 2009 und im September 2010 mit der Dankbarkeitsmedaille des Europäischen Solidarnosc-Zentrum in Gdansk geehrt.
Als die Heinrich-Böll-Stiftung in Köln nach dem Mauerfall ihre Gremien um Mitglieder der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung erweiterte, wurde Ludwig Mehlhorn Mitglied des Fachbeirates „Nachbarschaft in Europa“. 20 Jahre lang hat er seither als Fachbeiratsmitglied unsere Arbeit in Polen, der Ukraine und Russland mit tiefem Verständnis und Engagement begleitet. Gemeinsam mit ihm als Studienleiter der Evangelischen Akademie und mit dem Deutsch-Russischen Austausch haben wir zudem 15-mal die Deutsch-Russischen Herbstgespräche organisiert.
Wir trauern um einen guten Freund.
Barbara Unmüßig, Ralf Fücks, Birgit Laubach, Walter Kaufmann, Wolfgang Templin