Die Saat der Gewalt

Lesedauer: 5 Minuten

21. Januar 2010
Von Ralf Fücks

Rede zum 65. Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs
Abschlusskundgebung der „Meile der Demokratie“, 16. Januar 2010

Der 16. Januar 1945 war ein Höllentag für Magdeburg. Man darf das nicht klein reden, bloß weil die Neonazis „Völkermord“ grölen. Die erste Staffel des Luftangriffs galt den kriegswichtigen Betrieben – Magdeburg war ein Zentrum der Treibstoff- und Rüstungsindustrie im Dritten Reich. Die zweite Welle legte die dicht bewohnte Altstadt in Schutt und Asche. Niemand weiß genau, wie viele Menschen in jener Nacht verbrannten, von den Trümmern einstürzender Gebäude erschlagen wurden oder in den Kellern ihrer Häuser erstickten – Einheimische, Flüchtlinge und Zwangsarbeiter, denen die Zuflucht in die Luftschutzbunker verwehrt wurde. Die Schätzungen reichen von zweitausend Toten bis zu deutlich höheren Zahlen. Zu Beginn des Krieges hatte Magdeburg 330.000 Einwohner. Im April 1945 waren es noch rund 90.000.

Von den britischen und amerikanischen Bomberpiloten, zumeist sehr junge Männer, überlebte nur jeder Dritte den Krieg. Ihr Einsatz sollte den verlustreichen Kampf gegen Hitlerdeutschland abkürzen. Tatsächlich trugen die Angriffe auf Rüstungsbetriebe zu einem Rückgang der Waffenproduktion bei. Aber den Durchhaltewillen der Bevölkerung haben selbst die Flächenbombardements nicht gebrochen. Es gehört zu den erschreckenden Tatsachen des zweiten Weltkriegs, dass die Deutschen nicht kapitulierten, bevor sie vollständig besiegt waren. Die Truppen kämpften noch, als der Krieg längst verloren war; der Widerstand in Armee und Zivilbevölkerung blieb auf  kleine Minderheiten begrenzt. Weshalb war das so? Es gab natürlich fanatische Nazis, die bis zuletzt an den „Endsieg“ glaubten und für die Kapitulation Verrat war. Zugleich gab es die Überwachung durch die Gestapo, die drakonischen Strafen gegen „Wehrkraftzersetzung“ und die Terrorjustiz gegen Deserteure. Aber Fanatismus und Terror allein reichen nicht aus, um den Kampf bis zum bitteren Ende zu erklären.

Hinter dem sturen Weiterkämpfen stand das weit verbreitete Wissen um die Verbrechen, die SS und Wehrmacht in ganz Europa begangen hatten – der Vernichtungskrieg im Osten, die Ausrottung der Juden, die Trümmerwüsten, die von Hitlers Armeen auf ihren Rückzügen hinterlassen wurden. Die Deutschen haben weitergekämpft aus Angst vor dem Strafgericht, das auf die Niederlage folgen würde, und im Bewusstsein des moralischen Bankrotts, in den sie der Nationalsozialismus geführt hatte.

Wie in der Bibel steht, dass durch das Schwert umkommen wird, wer zum Schwert greift, fiel auch der Bombenkrieg mit vielfacher Wucht auf Deutschland zurück. Die Legion Condor hatte schon mit der Bombardierung von Guernica im spanischen Bürgerkrieg die Generalprobe geliefert. Seit September 1939 folgten dann die Luftangriffe auf Warschau, Rotterdam, London, Coventry, Belgrad und Stalingrad, bei denen zahllose Zivilisten starben. Daran muss man erinnern, um Ursache und Wirkung nicht zu verwischen. Die Bombardierung der deutschen Städte war der Rückschlag der Gewalt, die von Nazideutschland in ganz Europa ausgeübt wurde.

Im Verlauf des zweiten Weltkriegs wurden Millionen Deutsche selbst zu Opfern, Schuldige wie Unschuldige. Aber das Gedenken der Opfer darf die Verantwortung für den totalen Krieg nicht verwischen. Sonst spielen wir denen in die Hände, die am Ende Deutschland als das eigentliche Opfer des Krieges und die Alliierten als die wahren Kriegsverbrecher darstellen wollen. Die Neonazis wären nicht so gefährlich, wenn es bei uns nicht immer noch ein unterschwelliges Ressentiment gegen die Siegermächte von damals gäbe. Die Anklage gegen den „angloamerikanischen Bombenterror“ von damals findet ihr Echo im Feindbild USA heute.

Man kann darüber streiten, ob es gerechte Kriege gibt. Der Krieg der Alliierten gegen Hitlerdeutschland war zumindest ein notwendiger Krieg. Es ist wahr: auch wer für eine gerechte Sache kämpft, kann sich schuldig machen, und jeder Krieg ist eine menschliche Katastrophe. Kriege schon im Vorfeld zu verhindern und Konflikte friedlich zu lösen, ist deshalb oberste Verpflichtung. Und dennoch kann die Völkergemeinschaft auch in unserer Zeit vor der Notwendigkeit stehen, mit Gewalt gegen Krieg und Völkermord vorzugehen, wie das im zweiten Weltkrieg der Fall war.

Unser Traum ist eine friedliche Welt, die Bomben nur noch aus dem zeitgeschichtlichen Museum kennt. Die beste Gewähr für friedliche Konfliktlösungen ist eine demokratische politische Kultur im eigenen Land wie auch in allen anderen Ländern. Wir brauchen starke internationale Gemeinschaften, die das Zusammenwachsen der Völker befördern. Das beste Beispiel dafür ist die Europäische Union, die jahrhundertlange Feindschaften in Zusammenarbeit verwandelt hat. Wir dürfen rassistischen Ideologien, religiösem Fanatismus und totalitärem Denken keinen Raum lassen. Und wir brauchen eine gerechte, nachhaltige Weltwirtschaft, die den Hunger überwindet und die ökologischen Lebensgrundlagen schützt.

Aber zugleich dürfen wir jenen, die keine Scheu haben, im Namen der Nation, Gottes oder einer höheren Rasse Krieg zu führen, nicht das Feld überlassen. Glücklich ist eine Generation, die nicht vor die Entscheidung gestellt wird, das Völkerrecht militärisch zu verteidigen. Arbeiten wir daran, dass den kommenden Generationen diese Entscheidung erspart bleibt!

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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