Sudan nach der Teilung: Expertin warnt vor zwei neuen Kriegen

Julie Flint am 8.9.2011 in der Heinrich-Böll-Stiftung auf der Veranstaltung "Sudan nach der Teilung". Foto: Heinrich-Böll-Stiftung. Lizenz: CC BY-NC 2.0

11. Oktober 2011
Stefan Schaaf
Mit der Unabhängigkeitserklärung des Südsudan am 9. Juli 2011 sind die Konflikte im ehemals größten Flächenstaat Afrikas nicht beigelegt. In den Gebieten Abyei, Blauer Nil und Südkordofan entlang der Grenze zwischen den beiden sudanesischen Staaten kommt es seit Monaten zu bewaffneten Auseinandersetzungen, die im September eskaliert sind.

Ein Protokoll des „Comprehensive Peace Agreement“ (CPA) von 2005 sah vor, dass in diesen Gebieten „Konsultationen der Bevölkerung“ stattfinden sollten. Doch es kam nicht dazu, somit wurden die Hoffnungen der lokalen Bevölkerung auf mehr Selbstbestimmung und Entwicklung enttäuscht. Stattdessen versuchten die Streitkräfte der Republik Sudan, die verbliebenen Milizionäre, die vor der Teilung auf der Seite des Südens gekämpft hatten, mit militärischen Mitteln zu entwaffnen.

Die britische Auslandskorrespondentin Julie Flint bereist den Sudan seit mehr als zwei Jahrzehnten, gerade ist sie von dort zurückgekehrt. Auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit Bonn International Center for Conversion (BICC), Pax Christi, World Vision und Crisis Action berichtete sie über die Lage in den Nuba-Bergen in Südkordofan. Welche Herausforderungen es für eine friedliche Zukunft der beiden Staaten gibt, schilderten je zwei offizielle Vertreter aus dem Norden und Süden, die mit der Demilitarisierung und Reintegration ehemaliger Kämpfer befasst sind.

Julie Flint bezeichnete die Nuba als Verlierer des CPA. „Sie hatten sich Säkularismus und Selbstbestimmung erhofft, aber keines von beiden erhalten“, sagte sie. Obendrein habe die internationale Gemeinschaft in den vergangenen Jahren nur nach Darfur geschaut und dabei das Schicksal der Nuba ignoriert. Der von ihnen geführte Widerstand sei ein eigenständiger Konflikt gewesen, in dem sie um „ihr Recht, Nuba zu sein“ gestritten hätten. Als sie in den 90er-Jahren erstmals in die Nuba-Berge kam, habe dort ein Völkermord stattgefunden, über den die Welt nichts erfuhr. Sie beschrieb die Nuba, deren Zahl in den Bergen von Südkordofan auf etwa eine Million geschätzt wird, als „bemerkenswerte Gesellschaft“, die sich durch Anstand, religiöse Toleranz und Gleichberechtigung der Frauen auszeichnete. Entscheidungen würden auf basisdemokratischem Weg getroffen. „Die Nuba sind, was der Sudan sein sollte“, sagte sie.

Im vergangenen Jahr verfasste sie einen Bericht für Pax Christi, in dem sie vor einem neuen Krieg warnte. Dieser habe sich nun bereits auf die Gebiete Blauer Nil und Abyei ausgeweitet. Schon gebe es 500 000 Vertriebene. Eigentlich handele es sich um zwei Kriege: Einer zwischen zwei konventionellen Armeen, in dem mit regulären wie irregulären Mitteln gekämpft werde, und ein zweiter, schmutziger Krieg vor allem in den Städten Kadugli und Dilling, also im Zentrum der Nuba-Berge.

Dort habe es Meutereien in den Garnisonen der Regierungstruppen gegeben, die offenbar auf brutale Weise niedergeschlagen wurden. Augenzeugen berichteten von mehreren Massengräbern, sie habe selbst aber die Orte nicht besuchen können. Sie wisse aber von gezielten Verhaftungen, Folterungen und Hinrichtungen. Die Regierung des Sudan hat bisher verhindert, dass internationale Beobachter die Vorwürfe schwerer

Menschenrechtsverletzungen überprüfen können. Flint wies Behauptungen als unglaubwürdig zurück, dass Regierungstruppen chemische Waffen einsetzten oder Völkermord begingen. Kritisch sah sie auch die Lobbyarbeit von Prominenten und Organisationen in den USA, die solche Vorwürfe erhoben haben. Man müsse bei den Begriffen sehr genau sein. Bisher seien bei Bombardements mit Antonow-Flugzeugen Bomben eingesetzt worden, die durch schwere, scharfkantige Metallbrocken Zivilisten verletzen oder töten. Aus Angst vor diesen Bombenflügen würden die Felder nicht bestellt. Flint befürchtet, dass mit Beginn der Trockenzeit im Oktober oder November die Regierungstruppen eine große Offensive beginnen. Es sei überlebenswichtig, dass endlich internationale Hilfe zur Zivilbevölkerung nach Südkordofan gelangen könne und dass es zu ernsthaften Verhandlungen komme, verlangte sie. Die Nuba seien dazu ohne Vorbedingungen bereit. Ihr primäres Ziel sei, sich in eine zu schaffende demokratische Ordnung des Nordsudan, in dem es dann auch eine Trennung von Religion und Staat gebe, einfügen zu können.

Flint erläuterte, dass der Norden keine UN-Truppen auf seinem Gebiet zulassen werde, nicht einmal eine kleine mobile Beobachtermission. Sie übte scharfe Kritik an der früheren UN-Präsenz, die einseitig Partei genommen und Falschinformationen verbreitet habe.

Sulafeldeen Salih Mohammed, Leiter der sudanesischen Kommission für Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration, machte Gruppen „von außen“ für die neuen Konflikte verantwortlich. Seine Kommission bemühe sich um Konfliktbewältigung und habe bei ihrer Arbeit Erfolge vorzuweisen: Von 90 000 Kämpfern aus dem Geltungsbereich des CPA und 8000 im Ostsudan seien 42 000 bzw. 5000 entwaffnet und reintegriert worden, bis Ende 2013 soll dieser Prozess abgeschlossen sein.

William Deng Deng, der in gleicher Funktion im Südsudan tätig ist, sagte, sein Land unterstütze heute nicht aktiv die früheren Verbündeten nördlich der Grenze. Es sei weiterhin erforderlich, den vorgesehenen Konsultationsprozess zu führen, um friedlich über die Zukunft der drei umstrittenen Gebiete entscheiden zu können.

Mahmoud Zinelabdin ist im Innenministerium der Republik Sudan für die Kontrolle von Kleinwaffen und lokalen Streitigkeiten zuständig. Er räumte ein, dass es zwar regional begrenzte Feindseligkeiten in den Nuba-Bergen gebe, aber man könne nicht von einem allgemeinen Krieg reden. Sein Gegenpart aus dem Südsudan, Daniel Deng Lwal, beschrieb die Schwierigkeiten der Entwaffnung eines Volkes von Viehhirten, für die ihr Gewehr traditionell zum Alltag gehört und mit dem man seine Herde verteidigen müsse. „Es reicht nicht die Waffen einzusammeln, man muss sie aus den Köpfen der Leute herausbekommen.“ Das sei aber nach 30, 40 Jahren Krieg ohne Entwicklung nicht zu schaffen. Es gebe auch viel Waffenschmuggel aus den Nachbarländern, eine Kontrolle sei daher äußerst schwierig.

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