Myanmar/Burma im Wandel

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Zeya Thu, ehemaliger Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Bildrechte liegen bei: Zeya Thu.

2. April 2012
Für Myanmar, das frühere Burma, war 2011 ein Jahr großer Veränderungen. Nach Antritt der neuen halbzivilen Regierung unter Präsident Thein Sein folgte für viele unerwartet eine Welle von Reformen. Die aktuellen Herausforderungen auf dem Weg der Öffnung sind jedoch vielfältig. Es fehlt vor allem an qualifizierten und gut ausgebildeten Kräften, die den Wiederaufbau des einstmals blühenden Landes in die Hand nehmen könnten.

Das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Bangkok vergibt daher seit 2004 Stipendien für MA-Programme an thailändischen Universitäten. Eines dieser Stipendien erhielt Zeya Thu, der 2006 an der Chulalongkorn-Universität seinen Master-Abschluss in „International Development Studies” erworben hat und im Gespräch mit der Heinrich-Böll-Stiftung über die jüngsten Veränderungen in Myanmar berichtet.


Was haben Sie nach Ihrem Hochschulabschluss gemacht? War das Master-Programm für Ihre Arbeit hilfreich?

Da ich seit 2004 leitender Redakteur bei der regionalen Wochenzeitung „The Voice" war, bin ich 2006 nach meinem Master-Abschluss in mein Heimatland zurückgekehrt und habe meine frühere Arbeit wieder aufgenommen. Mein Arbeitsplatz war also der gleiche, aber ich brachte jetzt ein neues Rüstzeug mit. „Development Studies“ ist ja eine multidisziplinäre Fachrichtung, die die Entwicklung eines Landes aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht. Genau das hilft mir bei meiner Arbeit als Redakteur, weil ich ein tieferes und umfassenderes Verständnis entwickelt habe. Ich bin, so würde ich sagen, dank des Programms heute ein besserer Journalist.

Als ich in mein Land zurückkehrt bin, wurde gerade eine neue lokale Nichtregierungsorganisation namens „Myanmar Egress“ gegründet. Sie ist zum einen ein Ort, an dem Kompetenz vermittelt werden soll, und zum anderen eine Ideenschmiede. Ich wurde eingeladen, verschiedene Fächer dort zu unterrichten: „Entwicklungstheorie und -praxis“, „Leadership“ und „Theorien der Massenkommunikation“. Das Fach „Entwicklung“ könnte ich ohne das MA-Programm nicht unterrichten. Die Menschen, die ich unterrichte, kommen aus allen Lebensbereichen in Myanmar – es sind Politiker, Geschäftsleute, Studenten und Beamte. Gleichzeitig nehme ich als Kolumnist für „The Voice“ Stellung zu Entwicklungsfragen und politischen Themen, mit denen sich das Land auseinandersetzen muss. Dabei kommt mir zugute, dass ich durch das Programm in Bangkok mein Wissen und meinen Horizont erweitern konnte.

Ich habe vor der Wahl 2010 zwei Bücher in meiner Landessprache geschrieben: „Der Reichtum einer Nation: Strategien und Taktiken der Entwicklung“ und „Auf der Suche nach Führung: Die Geschichte von Aung San“. Das erste Buch beschäftigt sich mit Entwicklungsproblemen und der Frage, wie die Entwicklung von Myanmar insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Ostasien gestaltet werden kann. Das zweite Buch behandelt das Thema „Leadership” am Beispiel des Unabhängigkeitshelden Aung San, des Vaters von Aung San Suu Kyi. Beide Bücher wurden Bestseller, die nicht nur, aber auch von Politikern nach eigenem Bekunden als hilfreiche Begleiter in der Phase des Übergangs empfunden werden. Das Studium in Thailand war übrigens mein erster Auslandsaufenthalt überhaupt. Es hat meinen Horizont erweitert und nicht nur wissenschaftlich, sondern auch persönlich mein Selbstvertrauen gestärkt.

Wie haben Sie die Veränderungen erlebt, die sich im vergangenen Jahr in Myanmar vollzogen haben? Waren Sie überrascht?

Nachdem die neue Regierung hundert Tage im Amt war, brach über das Land eine regelrechte Welle von Reformen herein. Einiges kam ziemlich unerwartet wie zum Beispiel der Baustopp des umstrittenen Staudamms im Norden Myanmars unweit der Grenze zu China. Hier ging es nicht bloß um eine inländische Angelegenheit, sondern um eine außenpolitische Frage, die einen sehr großen Nachbarn betrifft, der zugleich eine künftige Supermacht, ein wichtiger Handelspartner und der größte Investor im Lande ist. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, Myanmar wolle im Eiltempo die Zeit aufholen, die das Land in der Vergangenheit verschwendet hat.

Damit die Reformen ein Erfolg werden können, brauchen wir allerdings Kapazitäten oder Humanressourcen in jedem Sektor: in der öffentlichen Verwaltung, im privaten Sektor, in der Zivilgesellschaft – einfach überall. Eine wirksame Umsetzung von Reformen ist, auch wenn die Absichten noch so gut sind, nicht möglich ohne fähige Personen.

Wie hat sich seit dem letzten Jahr die Situation für Sie als Journalist verändert?

Ich habe mehr zu tun. Alle Journalisten haben mehr zu tun. Früher gab es einige Tabuthemen, über die wir nichts veröffentlichen durften. Dazu zählten zum Beispiel Aung San Suu Kyi und die Menschenrechte. Heute ist Aung San Suu Kyi auf den Titelseiten abgebildet und eine Menschenrechtskommission wurde ins Leben gerufen. Zwar gibt es nach wie vor eine Zensurbehörde, aber die Regeln wurden gelockert, sodass wir mehr Spielraum haben. Wir können also viel mehr Themen behandeln als früher – und haben deshalb mehr zu tun.

Die Medien werden heute verstärkt als Informationsquelle genutzt. Früher hatten die Nachrichten schon keinen Neuigkeitswert mehr, wenn man sie am Kiosk kaufen konnte. Sie waren durch das Zensurverfahren veraltet, die Neuigkeiten hatten sich schon herumgesprochen. Heute sind die Nachrichten, die in den Zeitungen stehen, echte Neuigkeiten. Darum lesen die Menschen auch verstärkt Zeitung. Die Auflagen der Zeitungen steigen rasant. Wir fühlen uns stärker verantwortlich, weil die Menschen mehr auf uns bauen.

In seiner Antrittsrede hat der Präsident die Medien neben den drei Gewalten – Exekutive, Legislative und Judikative – ausdrücklich als vierte Stütze des Staates bezeichnet. Dergleichen hatte man in der jüngeren Geschichte unseres Landes noch nie gehört. Für viele – auch für mich – kam das überraschend. Damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen können, müssen die Medienleute mit den entsprechenden Fähigkeiten und Kenntnissen ausgerüstet werden. In unserer Redaktion werden die Journalisten zum Beispiel von uns fortgebildet. Wir vermitteln ihnen unter anderem, wie man Wahlberichterstattung macht, was politischer Journalismus bedeutet etc.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Ich möchte an der Ideenschöpfung für die Entwicklung des Landes mitwirken, weil wir ganz dringend solche Ideen brauchen. Ich werde schreiben, reden und unterrichten. Ich möchte zum Aufbau einer qualitativ hochwertigen politischen Diskussionskultur beitragen, denn je gehaltvoller die politische Debatte ist, umso bessere Politikentwürfe kann das Land formulieren. Wenn es uns gelingt, Ideen zu entwickeln, kommt das allen Sektoren zugute.

Wie sollte eine gemeinnützige Organisation wie die Heinrich-Böll-Stiftung den demokratischen Wandlungsprozess unterstützen? Was meinen Sie?

Die Heinrich-Böll-Stiftung war eine der ersten Organisationen, die den Menschen im Land geholfen hat, als das noch nicht populär war. Als frischgebackene Demokratie oder als Land im Übergang sind wir auf die Unterstützung von Freunden wie der Heinrich-Böll-Stiftung angewiesen. Da es uns in vielen Bereichen an den nötigen Kapazitäten fehlt, ist der Kapazitätsaufbau natürlich ein Hauptschwerpunkt. Sie könnten zum Beispiel unsere Parlamentarier in den Deutschen Bundestag einladen, damit sie dort von Ihren Erfahrungen lernen, auch wenn die Situation dort eine andere ist. Ein weiteres dringendes Anliegen ist der Kapazitätsaufbau im öffentlichen Dienst. Auch die Medien stecken noch in den Kinderschuhen und brauchen ebenfalls mehr Praxis sowie Aus- und Weiterbildung. Die Liste lässt sich noch lange, lange fortsetzen, da wir noch in vielen Bereichen Defizite haben. Welche Unterstützung möglich ist, hängt möglicherweise auch von den Schwerpunkten ab, die die NGOs setzen.

 

Weitere Informationen zum Thema:

Veranstaltung: Myanmar/Burma einen Schritt weiter auf dem Weg zur Demokratie?

Zeya Thu

Zeya Thu ist ehemaliger Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung und leitender Redakteur bei der regionalen Wochenzeitung „The Voice". 2006 erwarb er an der Chulalongkorn-Universität seinen Master-Abschluss in „International Development Studies”.