Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf ihrem Sondergipfel in der letzten Woche auf die Grundzüge für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für 2014 bis 2020 der Europäischen Union verständigt. Vorbehaltlich der Zustimmung des Europäischen Parlamentes stehen die Eckdaten für den neuen EU-Haushalt der nächsten Jahre nun fest.
Gut ist, dass es – nach einem ergebnislosen Gipfel im November und einem jetzigen erneuten Marathongipfel – am Ende überhaupt zu einer Einigung kam. Dies ist ein wichtiges Signal für die Handlungsfähigkeit der EU: Auch in Zeiten der Krise können wir uns auf eine gemeinsame Finanzgrundlage und einen (zumindest formalen) Finanzfrieden einigen. Es ist auch als Signal an die Briten zu verstehen, dass der Rest Europas sie weiter mit im Boot behalten möchte.
Schlecht ist, dass der neue Haushalt keiner ist, der sich an den politischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen, der Aufgabenstellung und den Zielsetzungen der EU orientiert.
Der Beschluss ist symptomatisch für die institutionellen Stärken und Schwächen der EU, vor allem aber für die Schwächen, die in Zeiten der Krise und der derzeitigen politischen Gemengelage geradezu betont werden. Der Haushalt ist ein Kompromiss. Dies liegt zunächst einmal in der Natur der Dinge, wenn es um einen europäischen Beschluss geht, zumal im Europäischen Rat zwischen 27 Staats- und Regierungschefs. Ohne (Kuh-)Handel geht dort in der Regel nichts.
Der neue Finanzrahmen: strukturkonservativ statt zukunftsorientiert
Doch sieht man diesem Budget an, dass es ein Kompromiss war, um den lange gerungen werden musste und für den an vielen Stellen Zugeständnisse gemacht wurden. Es ist ein Kompromiss zwischen den Geber- und Nehmerländern der EU. Die Deckelung des Budgets auf 960 Milliarden Euro, was einer Kürzung von circa 3 Prozent gleichkommt, zeugt davon. Zugeständnisse gab es insbesondere für die großen Agrarländer wie Frankreich und Polen beim Agrarsektor, der trotz Kürzungen in seiner jetzigen Form im Kern erhalten bleibt. Dringend erforderliche ökologisch-soziale Reformen in der Gemeinsamen Agrarpolitik, zum Beispiel die Abschaffung von Subventionen auf EU-Exporte in Entwicklungsländern, bleiben aus. Entgegenkommen gab es auch für Länder wie Italien und Spanien beim Strukturfonds. Auch er bleibt in seiner Form erhalten und wird noch stärker auf Infrastrukturmaßnahmen, sprich auf Straßenbau, zugeschnitten. Hier ging es vor allem um Besitzstandswahrung.
Um es auf den Punkt zu bringen: Der Mehrjährige Finanzrahmen, der die Ausgaben der EU für die nächsten sieben Jahre vorsieht, ist strukturkonservativ. Sieht man einmal von positiven Beschlüssen wie etwa der Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit oder der Aufstockung des Erasmus-Programms ab, so sind insgesamt nach wie vor zu wenige Investitionen für Bildung, Forschung und Innovation vorgesehen. Dass in Zeiten der Krise und Sparpolitik in den Mitgliedsländern auch beim EU-Budget gespart wird, ist nachvollziehbar. Doch sollten die Kürzungen nicht zu Lasten von Zukunftsinvestitionen gehen, sondern sich beispielsweise auf die hohen Direktzahlungen an die Agroindustrie, den zweiten Parlamentssitz in Straßburg sowie nicht-nachhaltige Ausgaben aus den Strukturfonds beziehen. Abgesehen davon gilt es jenseits rigider Sparpolitik durch nachhaltige Investitionen Wachstumschancen in Europa zu generieren.
Mit dieser Budgetplanung löst die EU ihr Versprechen, Europa für den globalen Wettbewerb „fit machen“ zu machen, nicht ein. Dieses Budget wird auch den von der EU bereits beschlossenen Zielen, wie der Strategie 2020, nicht gerecht. Hier wurde eine Chance verpasst, sich im Rahmen der Budgetverhandlungen auf die wesentlichen Zukunftsaufgaben zu besinnen, insbesondere auf die Aufgaben, bei der die EU im Vergleich zu den einzelnen Mitgliedstaaten einen echten Mehrwert leisten könnte: z.B. eine Energiepolitik, die eine Energiewende in ganz Europa verfolgt oder eine werteorientierte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als gelebtes Beispiel für überstaatliche Zusammenarbeit und geteilte Souveränität. Das ist bedauerlich. Noch dazu ist es gefährlich. Denn die EU-Integration wird zunehmend damit legitimiert, dass wir die Stärke eines gemeinsamen Europas brauchen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Deshalb sollte man diese Ziele ernst nehmen und sie nicht nationalen Einzelinteressen opfern.
Quintessenz für die Zukunft: Das Europäische Parlament als ausschlaggebende Instanz in Haushaltsfragen
Konsequenterweise sollte der Europäische Rat nicht das ausschlaggebende Organ bei der Festlegung des MFR sein, da die institutionelle Logik des Europäischen Rates nun einmal vorrangig die Verteidigung nationaler Interessen ist. Dies sieht man schon daran, dass es am Ende immer darum geht, welche Regierung als Gewinner und welche als Verlierer von Brüssel nach Hause kommt. Dabei ist das EU-Budget kein Budget für Brüssel oder die Europäischen Institutionen. Von jedem Euro des EU-Budgets fließen 94 Cent in Projekte in den Mitgliedsländern oder die EU-Außen- und Entwicklungspolitik zurück. Dieser Aspekt fällt in der öffentlichen Debatte oft unter den Tisch. Dabei geht auch verloren, dass der EU-Haushalt nicht zuletzt auch eine Frage der innereuropäischer Umverteilung und der Solidarität ist.
Um dem nationalen Geschacher bei den Budgetverhandlungen entgegenzuwirken, sollte das Europäische Parlament die ausschlaggebende Rolle in Haushaltsfragen spielen. Das Parlament sollte dem Europäischen Rat eine Budgetplanung zur Bestätigung vorlegen, und nicht umgekehrt. Dann würde immer noch der Kuhhandel losgehen, Zugeständnisse gemacht, Rabatte verteilt werden, doch wäre in dieser Reihenfolge die Chance höher, am Ende ein Budget zu bekommen, das zukunftsorientierter wäre, das Investitionen in nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, in Bildung, Forschung und Entwicklung Priorität einräumt und mit dem gesamteuropäische Zukunftsprojekte wie etwa der Ausbau grenzüberschreitender Verkehrs- (insbesondere Bahntrassen), Energie- und Digitalnetze finanziert werden.
Immerhin haben die Parlamentarierinnen und Parlamentarier das Recht, ein Veto gegen den Mehrjährigen Finanzrahmen einzulegen. Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz hat bereits mitgeteilt, dass das beschlossene Budget in dieser Form ein Defizitbudget sei und vom Parlament so nicht angenommen werde. Unabhängig davon, wie diese Äußerung im Detail zu bewerten ist, wirft sie Licht auf einen Aspekt, der bei diesen Budgetverhandlungen nicht im Vordergrund stand: die Einnahmeseite. Die EU sollte dringend mehr eigene Einnahmen generieren. Diese sollten steuerungspolitisch sinnvoll sein, wie etwa eine EU-Finanztransaktionssteuer oder eine Kerosinsteuer. Hier liegen bereits eine Reihe sinnvoller Vorschläge auf dem Tisch, die die Mitglieder des Europäischen Parlaments in den nun bevorstehenden, laut einer Einschätzung eines Vertreters des Auswärtigen Amtes rund sechs Monate dauernden Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten hoffentlich einzubringen verstehen.
Christine Pütz ist Referentin und Christian Schwöbel ist Projektmanager im EU/Nordamerika im Europa-Referat der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.